Hintergrund

Deep Learning und Co: So nutzt Brille24 künstliche Intelligenz

Veröffentlicht: 02.01.2019 | Geschrieben von: Markus Gärtner | Letzte Aktualisierung: 23.06.2023
Auge

Etwa jeder zweite Deutsche trägt immer oder gelegentlich eine Brille. Das ergab eine Statista-Umfrage 2018. Der Umsatz in der Augenoptik betrug 2018 rund neun Milliarden Euro – ein großer und heiß umkämpfter Markt, in dem sich etablierte Unternehmen wie Fielmann und aufstrebende Online-Händler wie Mister Spex oder Brille24 gegenüberstehen. Zwar wächst der Online-Markt stetig, machte aber 2017 trotzdem nur 4,3 Prozent des Gesamtumsatzes aus, so der Branchenbericht des Zentralverbands der Augenoptiker. Dennoch muss sich etwa auch Branchenriese Fielmann nach einiger Kritik langsam der Digitalisierung öffnen: Ende November hat Fielmann Ventures etwa 20 Prozent des französischen Technologieunternehmens FittingBox übernommen. FittingBox ist nach eigenen Angaben weltweit führend im Bereich der 3-D-Anprobe von Brillenfassungen. Bis man eine Fielmann-Brille komplett online kaufen kann, wird es aber noch einige Jahre dauern, sagt Vorstandschef Marc Fielmann.

Bei Brille24 ist man schon deutlich weiter. Das Unternehmen nutzt vor allem künstliche Intelligenz (KI), Neuronale Netze und Algorithmen in verschiedenen Bereichen, damit der Kunde seine neue Brille von seinem Laptop aus kauft. „Unser Ziel ist es, dass die Endgeräte der Nutzer mittelfristig alle Funktionen und Fähigkeiten eines Beraters im stationären Handel mindestens gleichwertig erfüllen können – von der Messung der Korrekturwerte bis hin zur Stilberatung“, erklärt Manuel Zapp. Der 27-Jährige leitet seit Mai 2018 die Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei Brille24 und arbeitete zuvor für das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken, mit dem Brille24 seit mehreren Jahren kooperiert.

Kunden sollen mit der Brille24-App ihr Wunschprodukt finden

Die neueste Errungenschaft von Brille24 ist die App „Sichtwechsel“, die Ende Januar auf der Optikfachmesse Opti in München vorgestellt werden soll. Kunden, die irgendwo in der realen oder digitalen Welt eine Brille sehen, die ihnen gefällt, können ein Foto dieser hochladen. Die App zeigt dann aus dem Brille24-Sortiment das Stück, das der gesehenen Wunschbrille in Form, Farbe und weiteren Details am nächsten kommt. Hier steckt künstliche Intelligenz dahinter, genauer gesagt der Teilbereich maschinelles Lernen bzw. Deep Learning. Ein Algorithmus wird zum Beispiel mittels Datensätzen trainiert, bestimmte Informationen wie etwa die Farbe einer Brille zu erfassen und kann nach zigtausendfachem Wiederholen dann neue Bilder im Idealfall selbst richtig erkennen. Je mehr einzelne Informationen dafür notwendig sind und je mehr Details dafür verknüpft werden müssen, desto „tiefer“ muss der Algorithmus vordringen – daher der Begriff Deep Learning.

Brille24 ist 2008 gestartet, seit 2015 setzt das Unternehmen in allen Unternehmensbereichen auf künstliche Intelligenz. Im Kundenservice helfen Chatbots. Beim eigenen Einkauf beim Großhändler testet Brille24 eine KI, die Vorschläge für die Menge und den Typ von nachzuliefernden Brillen macht. Dabei bezieht das schlaue Programm vorherige Verkaufszahlen, Mode- und Fashiontrends sowie die hohe Saisonalität der verschiedenen Modelle mit ein. Auch bei der Messung der Pupillendistanz kommen die Algorithmen zum Einsatz, der Kunde muss nur ein Foto von sich hochladen. Die virtuelle Anprobe funktioniert ähnlich. 

Darum wird der Online-Handel mit Brillen kritisiert

Gerade diese Messungen könne der Online-Händler aber nicht wirklich leisten, meint der Zentralverband der Augenoptiker in seinem aktuellen Positionspapier zum Online-Brillenhandel. „Eine Brille ist ein beratungsintensives Produkt, das für ein optimales Ergebnis nicht ohne den direkten Kundenkontakt verkauft werden kann. Ungeachtet der Beratung, der Augenprüfung, den vielen optometrischen Dienstleistungen und der abschließenden anatomischen Anpassung sprechen viele weitere Argumente gegen den Handel mit Korrektionsbrillen im Internet“, heißt es in dem Papier. Unter anderem kritisiert der Verband, dass die Online-Händler noch zu wenig medizinische Daten abfragen und damit gewisse DIN-Normen für Brillen nicht erfüllen. Solche Brillen könnten zu Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit führen, heißt es.

Der Kampf Online-Stationär wird auch in einem Gerichtsurteil deutlich: Der Bundesgerichtshof hat Online-Händlern untersagt, ihre Brillen mit dem Attribut „in Optiker-Qualität“ zu bewerben. Für den Verbraucher sei diese Aussage irreführend, weil die Leistung eines im stationären Handel tätigen Augenoptikers im Internet aufgrund des fehlenden direkten Kundenkontakts nicht erbracht werden könne.

Auch stationäre Optiker sollen KI-Software nutzen

Bei Brille24 arbeitet man trotzden weiter daran, dass Kunden auch online die richtige Brille finden. „Unsere Kunden unterscheiden nicht zwischen Online und Offline, sondern zwischen guten und schlechten Einkaufserlebnissen. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit unseren Softwarelösungen einen wichtigen Beitrag zur Verschmelzung aller Kanäle leisten und damit insgesamt für noch mehr Komfort und bessere Beratung in der Optikerbranche sorgen“, sagt Christophe Hocquet, CEO von Brille24. Nicht umsonst arbeitet der Online-Brillenhändler deutschlandweit auch mit Partneroptikern zusammen, bei denen KI-gestützte Software auch zum Einsatz kommen soll. 

Knapp zwei Millionen Brillen hat das Unternehmen seit dem Start des Online-Shops im Jahr 2008 verkauft. Wie viele Menschen sich bei ihrer nächsten Brille für den Online-Kauf entscheiden, ist unklar. Doch Manuel Zapp ist optimistisch, was den Einsatz von KI-basierten Methoden und Produkten angeht. Er verweist auf ein Zitat von John McCarthy, der als Vater der künstlichen Intelligenz gilt: „As soon, as it works no one calls it Artificial Intelligence anymore“. Zapp meint: „Viele Dinge die früher als Künstliche Intelligenz bezeichnet wurden, sind heute bereits ein so integraler Bestandteil unseres täglichen Lebens, dass wir diese gar nicht mehr als solche wahrnehmen. Ich bin überzeugt davon, dass es sich mit einigen Dingen, die wir heute als KI verstehen, in Zukunft genauso verhalten wird.“

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