Die neue Billig-Plattform im E-Commerce heißt nun also Amazon Haul. Das Konzept ist so einfach wie bekannt: Produkte werden nicht über den klassischen Marktplatz angeboten, sondern kommen direkt vom Hersteller aus China. Das dauert dann zwar ein bis zwei Wochen, aber dafür zahlen Kund:innen auch nur maximal 20, meistens eher zehn Dollar und weniger. Eingesparte Kosten durch den Direktvertrieb machen es möglich. Von Kleidung über Schmuck bis hin zu Technik-Gadgets ist alles dabei, was sich preisbewusste Verbraucher:innen wünschen.
Das Konzept ist natürlich bekannt. Temu ist so in kürzester Zeit zu einem der größten Player der Branche geworden. Das Echo auf Amazons Vorstoß ins Superbillig-Segment ist relativ eindeutig: Wirklich viel halten wenige davon. Dabei stellt sich die Frage: Warum ist das so? Wirklich überraschen kann das doch niemanden – aus zwei Gründen, für die man sich nicht einmal sonderlich tief mit der Amazon-Geschichte auseinandersetzen muss.
1. Der Preis machte bei Amazon immer die Musik
Mit Amazon Haul setzt Amazon nun also vollkommen auf eine totale Billigstrategie. Ist das verwunderlich? Der US-Konzern war noch nie dafür bekannt, teuer zu produzieren, geschweige denn teuer zu verkaufen. Die Amazon Basics gehören in ihren jeweiligen Segmenten immer zu den absoluten Preisknallern. Was das über die Qualität aussagt, steht auf einem anderen Blatt.
Gleiches gilt für die Tech-Produkte, die Amazon über die Jahre entwickelt hat. Egal, ob es die Fire-Tablets sind, die Echo-Lautsprecher oder der Kindle: Das war und ist technologisch nie das High-End-Segment, sondern immer der bestmögliche Kompromiss aus Preis und Leistung mit starker Tendenz zum Preis. Amazon hat sich schon immer angeschaut, was die Kundschaft will und darauf so reagiert, dass ein möglichst großer Teil dieser Kundschaft dann bei Amazon kauft. Was uns zum zweiten und noch viel wichtigeren Grund für Amazon Haul bringt:
2. Erfolgreiche Konzepte wurden schon immer adaptiert
Amazon war noch nie dafür bekannt, ein Innovations-Powerhouse zu sein. Wenn überhaupt, dann hat es der Konzern in den vergangenen 25 Jahren perfektioniert, erfolgreiche Geschäftsmodelle der Konkurrenz zu adaptieren oder direkt einzukaufen. Die Älteren werden sich erinnern, dass Amazon mal als Online-Buchhandel angefangen hat. Das Produktportfolio wurde erst später hin zu einem echten Marktplatz erweitert. Konkurrenten wie Ebay waren da schon längst weiter.
Als Amazon mit den Amazon Web Services ins Cloud-Computing eingestiegen ist, war das bereits ein alter Hut. Das Logistikgeschäft hat der Konzern ohnehin nur adaptiert und für die eigenen Bedürfnisse perfektioniert. Videostreaming, Gaming- und Audio-Angebote, smarte Lautsprecher – das alles hat sich der Konzern entweder über den Zukauf anderer Unternehmen gesichert oder die Tech-Branche analysiert und erfolgreiche Konzepte im eigenen Kosmos aufgebaut.
Von der Adaptionsstrategie können ja sogar Händler:innen ein Lied singen: Wie oft ist es schon passiert, dass Amazon selbst sich auf dem Marktplatz gut laufende Produkte abgeguckt und selbst aufgelegt hat und dann dank veritabler Kampfpreisstrategie eine Produktkategorie für kleinere Händler:innen etwas schwieriger gemacht hat?
Mit der Billigplattform der Kundschaft folgen
Nun haben wir mit Temu und Shein also zwei Emporkömmlinge, die dem Preis alles unterordnen. Wer billig kaufen will und wenig auf Marken, Nachhaltigkeit und Liefergeschwindigkeit gibt, findet dort alles, was man braucht. Ob man das kritikwürdig findet oder nicht, sei dahingestellt. Aber Amazon hat erkannt, dass dieses Konzept weltweit enorm nachgefragt wird und hat, ganz so, wie man es vom (noch?) wichtigsten Online-Marktplatz der Welt kennt, darauf mit einer eigenen Adaption reagiert.
Wird Amazon der Asia-Konkurrenz damit den Wind aus den Segeln nehmen? Vermutlich nicht, dafür wirkt Amazon Haul Stand jetzt zu klein und zu überstürzt. Bei Erfolg wird sich aber auch das ändern. Dass der Konzern diesen Trend aber mitnehmen will, solange er noch heiß ist, das kann nun wirklich niemanden überraschen.
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