Will Amazon mit Homeoffice-Ende im KI-Wettrennen aufholen?

Veröffentlicht: 18.09.2024
imgAktualisierung: 18.09.2024
Geschrieben von: Ricarda Eichler
Lesezeit: ca. 4 Min.
18.09.2024
img 18.09.2024
ca. 4 Min.
Amazon Firmenzentrale in Seattle
dnewman8 / Depositphoto.com
Mitarbeitende bei Amazon müssen ab kommendem Jahr wieder vollständig im Büro arbeiten. Doch das ist nicht die einzige Änderung, die Andy Jassy am Montag verkündete.


Rund 350.000 Mitarbeitende von Amazon arbeiten in Bürojobs wie der Verwaltung, Entwicklung sowie Kundenbetreuung. Für diese gab es am Montag eine Überraschung, als sich Konzernchef Andy Jassy in einem offenen Brief an die Belegschaft wandte.

In diesem kündigte er nicht nur die Rückkehr zur vollen Arbeitswoche im Büro an. Auch die Verwaltungsstrukturen des Unternehmens sollen verändert werden. So möchte Jassy unnötige bürokratische Strukturen abbauen und das Unternehmen zurück zu seinen innovativen Wurzeln führen. Die Vermutung liegt nahe, dass man damit auch in Sachen künstlicher Intelligenz (KI) aufholen möchte, denn die bisherigen Erfolge auf dem Gebiet halten sich eher in Grenzen.

Zurück an den Stammschreibtisch

Die Coronapandemie führte, wie in vielen anderen Unternehmen, auch bei Amazon zu starken Veränderungen des Arbeitsalltags. Viele Amazon-Angestellte gewöhnten sich an das Leben im Homeoffice. So viele sogar, dass als Jassy im Mai 2023 verkündete, dass Angestellte zumindest drei Tage pro Woche zurück ins Büro kommen sollten, einige Angestellte stattdessen lieber die Kündigung wählten.

Jetzt soll sogar wieder alles zurück auf Anfang. Wie aus dem Schreiben Jassys hervorgeht, sollen sämtliche Büro-Angestellte ab dem 2. Januar 2025 wieder volle fünf Tage pro Woche im Büro arbeiten. Dort sollen zudem wieder feste Arbeitsplätze etabliert werden. Lediglich in Ausnahmefällen, wie familiären Krankheitsfällen, Arbeiten am Haus oder einem konzentrierten Arbeitseinsatz, können Mitarbeitende nach Absprache dann noch daheim arbeiten.

Des einen Leid, des anderen Freud

Dass sich die Mitarbeitenden über diesen Beschluss wenig freuen, dürfte nach den Protesten im vergangenen Jahr klar sein. Als die Rückkehr zu drei Tagen ins Büro beschlossen wurde, protestierten zahlreiche Angestellte. Viele hatten das Homeoffice und seine Vorteile zu schätzen gelernt und konnten kein Verständnis für den „Rückschritt“ aufbringen.

Aber nicht alle tun sich mit der Neuerung schwer. Wie das US-Portal Geekwire schreibt, freut sich die Downtown Seattle Association sehr darauf, wieder mehr Kundschaft in der Innenstadt zu haben. So äußerte der Präsident der Vereinigung, Jon Scholes, gegenüber Geekwire: „Dass der größte Arbeitgeber der Stadt dafür sorgt, dass wieder mehr Menschen in die Stadt kommen, ist für uns ein echter Volltreffer.“

So erfreuen sich bereits seit vergangenem Jahr lokale Cafés und Foodtrucks wieder an der verstärkten Kundschaft. Die lokale Gastronomie war durch die Pandemie stark gebeutelt und kann jetzt aufatmen.

Jassy will zurück zu den Start-up-Tagen

Die Rückkehr ins Büro ist aber nicht die einzige Änderung der Ankündigung, welche Geekwire sogar als Jassys bisher größten Versuch, die Unternehmenskultur umzugestalten. Denn beim Überdenken eben jener Kultur war Jassy darauf gestoßen, dass die vielen unterschiedlichen Hierarchien innerhalb des Unternehmens, welche über die Jahre geschaffen wurden, vor allem Innovationen behindern.

Um dies zu ändern, sollen sämtliche Teams jetzt bis Ende des ersten Quartals 2025 das Verhältnis zwischen Mitarbeitenden und Manager-Positionen um mindestens 15 Prozent erhöhen. Dadurch sollen Entscheidungen schneller getroffen werden können und Mitarbeitende mit guten Ideen darin bestärkt werden, diese auch zu äußern, ohne Bedenken haben zu müssen, dass diese ohnehin nie umgesetzt werden.

Beide Maßnahmen sollen helfen, das Unternehmen zurück zu seinen Ursprüngen zu bringen. Wie Jassy es ausdrückt: „Wir wollen wie das größte Start-up der Welt arbeiten. Das bedeutet, dass wir eine Leidenschaft dafür haben, ständig etwas für unsere Kunden zu erfinden, eine hohe Dringlichkeit, ein hohes Maß an Eigenverantwortung, eine schnelle Entscheidungsfindung, Kampfgeist und Genügsamkeit, eine eng vernetzte Zusammenarbeit und ein gemeinsames Engagement füreinander.“

Will Amazon endlich als KI-Innovator wahrgenommen werden?

Amazon galt lange Zeit als technisch hochgradig innovatives Unternehmen. In Sachen Cloud ist Amazon Web Services (AWS) ganz vorne mit dabei. Und grundsätzlich scheint die künstliche Intelligenz Claude, an deren Mutterunternehmen Anthropic Amazon Anteile besitzt, auch gut anzukommen. Im März dieses Jahres konnte Claude 3 sogar kurzzeitig ChatGPT 4 im Leaderboard des Portals Chatbot Arena überholen.

Doch trotz unterstützender Arbeiten seitens Amazons KI-Team ist Claude immer noch eine Leistung und ein Produkt von Anthropic – und eben nicht von Amazon. Die hauseigenen KI-Versuche konnten bisher niemanden wirklich überzeugen. Im größten technischen Thema des Jahrzehnts hinkt Amazon schlicht und ergreifend hinterher.

Wie Geekwire-Redakteur Todd Bishop daher mutmaßt, könnte Jassys Anliegen nun vor allem darin liegen, die Innovationskraft der frühen Amazon-Tage wiederzubeleben. In Jassys Augen gelingt dies nun vor allem durch direkte Zusammenarbeit und flache Strukturen. Ob es gelingt, könnten die nächsten Monate bereits offenbaren. 

Artikelbild: http://www.depositphotos.com

Veröffentlicht: 18.09.2024
img Letzte Aktualisierung: 18.09.2024
Lesezeit: ca. 4 Min.
Artikel weiterempfehlen
Ricarda Eichler

Ricarda Eichler

Expertin für Nachhaltigkeit

KOMMENTARE
1 Kommentare
Kommentar schreiben

Robert
19.09.2024

Antworten

Als Selbstständiger kann ich die Entscheidung von Unternehmen wie Amazon gut nachvollziehen, den Großteil der Homeoffice-Mitarbeiter so oft wie möglich ins Büro zurück zu holen. Ich bekomme oft mit, wie im Homeoffice gearbeitet wird, vor allem bei großen Konzernen, und der Begriff "Arbeit" ist in diesem Zusammenhang manchmal nicht wirklich zutreffend. Auch in meinem familiären Umfeld sehe ich, wie dort "gearbeitet" wird – das ist definitiv nicht vergleichbar mit der Effizienz im Unternehmensbüro. Von der mangelnden Erreichbarkeit einiger Homeofficer ganz zu schweigen. Aus unternehmerischer Sicht verstehe ich das vollkommen, auch in Bezug auf Meetings und Co.