Bei Amazon wird es bald eine vollkommen neue Titelstruktur geben. Künftig werden Produkttitel zweiteilig sein: Im ersten Teil sollen alle wesentlichen Identifikationsmerkmale der Produkte – wie Modell, Produkttyp, Größe und Stil – stehen, während im zweiten Teil individuelle Merkmale und Produkt-Highlights aufgezeigt werden.
Diese Neuerung wurde zunächst für den US-Markt verkündet und wird dort voraussichtlich im zweiten oder dritten Quartal starten. Allerdings dürfte es nicht lang dauern, bis die Umsetzung auch hierzulande zum neuen Standard wird. Neben einer besseren Kundenbindung zielt Amazon mit der Anpassung auf eine Anhebung der Händler-Umsätze ab.
Traditionelle Titel funktionieren mobil schlechter
Ersten Einschätzungen zufolge handelt es sich um eine „geschichtsträchtige“ Änderung – eine Umwälzung, die es in diesem Maße noch nie auf dem Online-Marktplatz gegeben habe. Nötig sei der Schritt offenbar, um sich besser auf „mehrere kritische Herausforderungen der aktuellen E-Commerce-Landschaft“ einzustellen, urteilt das Marketingportal PPC Land.
Gemeint ist damit unter anderem die hohe Rate an Einkäufen, die inzwischen über Mobilgeräte erfolgen: Bei rund 70 Prozent soll der Wert liegen. Das Problem dabei: Über Smartphones und Co. werden die traditionellen Titel häufig abgeschnitten, weil sie schlicht und ergreifend zu lang sind. Im Test der OHN-Redaktion wurde in der mobilen Suche kaum ein Titel vollständig angezeigt, wie auch anhand des Beispiels sichtbar wird (mobile Suche, Stichwort: „Salatbesteck“):
Diese verkürzte Darstellung der Titel ist nicht nur ärgerlich, sondern auch umsatzschädlich, weil unter Umständen zentrale Produktdaten, aber auch Verkaufsargumente nicht angezeigt werden. Mithilfe der neuen zweiteiligen Titelstruktur solle dieses Problem künftig gelöst werden, indem „die wichtigsten Produktinformationen sichtbar bleiben, während gleichzeitig ein eigener Bereich für Unterscheidungsmerkmale geschaffen wird“, heißt es weiter.
Zweiteilige Titel zielen auf bessere Suche und Empfehlungen
Neben den rein praktischen und darstellungsbasierten Vorteilen, die die zweiteiligen Amazon-Title mit sich bringen sollen, gibt es offenbar auch gute Gründe, die das System des Marktplatzes betreffen: Die Systeme von Amazon, die teils auf künstliche Intelligenz (KI) zurückgreifen, können besser mit Daten umgehen, die gut strukturiert sind.
Wenn die vielen verschiedenen Informationen und Informationstypen aus den bisher sehr langen Produkttiteln also künftig durch die Zweiteilung besser organisiert sind, können die Systeme effektiver mit ihnen arbeiten. Die angestrebte effektivere Verarbeitung und Analyse der Daten soll dann wiederum die Genauigkeit von Produktempfehlungen erhöhen und somit auch die gesamten Suchergebnisse besser machen.
Außerdem vermuten die Branchenexperten von PPC Land, dass die Änderung auch dazu führen könnte, dass das sinnlose „Keyword-Stuffing“ im Zuge der Title-Erstellung weniger attraktiv wird. Mit dieser Methode versuchen einige Händlerinnen und Händler ihre Sichtbarkeit und Rankings zu verbessern, indem sie massenweise Keyword in die Produkttitel packen.
Experten sagen Umbruch im Wettbewerb voraus
Es wirkt vielleicht etwas dramatisch, wenn Spencer Millerberg die Ankündigung von Amazon mit den Worten „Winter is coming“ (zu Deutsch: „Der Winter naht“) zusammenfasst. Doch offenbar geht der bekannte Datenanalyse-Spezialist davon aus, dass der Branche große Veränderungen bevorstehen: Das Zitat aus der Fantasy-Serie „Game of Thrones“ ist dort stets als Warnung zu sehen, dass Schlimmes, quasi Weltveränderndes passieren wird.
Laut Millerberg wird die Anpassung sowohl Gewinner als auch Verlierer hervorbringen. Für Marken, die sich gut vorbereiten und sich klug auf die entsprechenden Gegebenheiten anpassen, stellt er „Landgewinne“ auf dem Marktplatz in Aussicht. Nach seiner Einschätzung gilt Folgendes zu beachten:
- Seller, die die Neuerung lediglich als Anpassung der Formatierungen verstehen oder sie nur nutzen, um stumpf neue Werbetexte zu kreieren, werden verlieren.
- Ebenfalls verlieren werden demnach Seller, die im neuen „Highlights“-Teil nur leere Floskeln nutzen und der Kundschaft keine inhaltliche Relevanz bieten. „Konzentrieren Sie sich auf häufig verwendete, relevante Suchbegriffe, die mit den tatsächlichen Eingaben der Kunden übereinstimmen – denn diese werden von der KI indexiert, um Traffic auf Ihre Seite zu leiten“, so sein Rat.
- Wer zögert, verliert: Marken und Unternehmen seien angehalten, sich zeitnah auf die Umstellung vorzubereiten. Nur so seien sie in der Lage, sich gegen Konkurrenten durchzusetzen und sich neue Positionen zu sichern. Nachzügler müssten ihre schwächeren Positionen dann mithilfe von Anzeigen bezahlen.
An dieser Stelle soll nicht unterschlagen werden, dass es auch Branchenexperten gibt, die zumindest von einem überstürzten Handeln abraten: Steven Pope, Gründer der Amazon-Agentur My Amazon Guy, ist beispielsweise der Meinung, dass Seller erst dann auf Änderungen reagieren sollten, wenn Amazon sie im System tatsächlich erzwingt. Andernfalls könnten sie Zeit, Geld und Ressourcen in die Umsetzung von Anforderungen stecken, die entweder gar nicht im Algorithmus implementiert oder nach kurzer Zeit wieder zurückgenommen werden.
Gute Planung, um Sichtbarkeit zu sichern
Trotz möglicher Vorbehalte gegen eine allzu schnelle Umsetzung, sollten Amazon-Händlerinnen und -Händler alles in allem genau überlegen, wie sie künftig ihre Produkte präsentieren wollen – wie sie Merkmale, Vorteile und Stärken kommunizieren, wie sie Identifikationskriterien und Marketinginhalte sauber trennen und die Daten für die Systeme bestmöglich aufbereiten. Kommt es tatsächlich zur angekündigten Umstellung, werden die strukturierten Daten dann wiederum zu noch detaillierteren Analysen und besseren Seller-Strategien bei den Produktlistings führen.
Nicht zu vergessen: Natürlich wird es aller Voraussicht nach auch Auswirkungen auf das Werbe-System von Amazon geben. Denn schließlich wird sich die neue Titelstruktur nicht nur auf die organischen Suchergebnisse beschränken, sondern zwangsläufig auch Optimierungen in den Anzeigen erfordern.
Bislang hat Amazon noch nicht bekanntgegeben, ob und wann die neue Titelstruktur auch nach Deutschland kommt. Mit Blick auf den globalen Handel auf dem Marktplatz wird es aber wohl nicht lange dauern. Um auch künftig die Sichtbarkeit der eigenen Produkte zu sichern, sollten Unternehmen frühzeitig planen, agieren, analysieren und reagieren – zumindest in dieser Strategie bleibt dann doch alles beim Alten.
Artikelbild: http://www.depositphotos.com
Kommentar schreiben
Antworten
Ihre Antwort schreiben
Antworten
Ihre Antwort schreiben