Mit dem Amazon-Service Kindle Direct Publishing (KDP) war es noch nie so einfach, eigene E-Books zu veröffentlichen. Datei hochladen, Cover gestalten – und schon wird man in wenigen Minuten zur Autorin oder zum Autor eines veröffentlichten Werkes. Die Plattform vermittelt den Eindruck: Geld verdienen leicht gemacht.
Zumindest, wenn man den Versprechungen auf Social Media glaubt. Dort kursieren unzählige Tutorials, die zeigen, wie man mit Canva ein Kindermalbuch bastelt oder sich mithilfe von ChatGPT in Rekordzeit einen Roman „zusammenzimmern“ lässt. Dass die Qualität vieler solcher Veröffentlichungen zu wünschen übrig lässt, überrascht kaum noch jemanden.
Weitaus brisanter ist allerdings ein anderes Thema – das des Urheberrechts. Auf Instagram berichtet Designerin Inga etwa von gestohlenen Häkelanleitungen und einer zunehmenden Resignation im Umgang mit Amazon.
Urheberrechtsabfrage via Checkbox
Aber: Beginnen wir von vorn. Designerin Inga veröffentlicht seit fünf Jahren selbst Bücher mit Häkelanleitungen. Bereits seit einiger Zeit beobachtet sie die Entwicklung der über KDP veröffentlichten Werke. Über ihren Instagram-Account @byfrauline klärt sie regelmäßig auf. Sie ist auch international in der Handmade-Szene vernetzt und hat eine starke Community.
Irgendwann fällt ihr auf, dass auf Amazon Bücher mit ihr bekannten Häkelanleitungen erscheinen.
„Da ich in der Häkelszene auch international gut vernetzt bin, habe ich dort direkt Modelle von bekannten Designerinnen aus dem Ausland erkannt.“
Für Inga ist das – auch wenn sie selbst bisher nicht betroffen ist – ein großes Problem. „Wir Häkeldesignerinnen – und ich denke, das betrifft im Prinzip alle, die im Handmade- und DIY-Bereich arbeiten – haben ohnehin ständig mit Piraterie zu kämpfen. Zum Beispiel mit Anleitungen und E-Books, die einfach in Facebook-Gruppen geteilt werden, oder mit Fake-Etsy-Shops und Websites, die unseren Content illegal verkaufen“, teilt sie uns mit. Auch die Flut an KI-generierten Anleitungen stellt demnach ein wachsendes Problem für die gesamte Branche dar. Viele dieser Anleitungen sind schlecht gemacht oder funktionieren schlichtweg nicht – doch gerade Anfänger:innen erkennen das oft nicht. Sie kaufen digitalen Schrott, geben Geld dafür aus und am Ende bleibt nur Frust, weil nichts funktioniert.
„Laien erkennen das nicht auf den ersten Blick, kaufen schlechte Anleitungen und verlieren so das Vertrauen in die gesamte Branche.“
Amazon selbst prüft nicht, inwiefern die Inhalte der Selfpublisher Urheberrechte verletzen. Die Nutzer:innen müssen lediglich über eine Checkbox bestätigen, dass sie selbst die Rechte an den Inhalten haben. „Plattformen wie Amazon prüfen in der Regel nicht aktiv, ob Urheberrecht eingehalten wird. Es liegt in der alleinigen Verantwortung des Self-Publishing-Autors, sicherzustellen, dass er die erforderlichen Rechte an seinem Inhalt besitzt und keine Gesetze oder Rechte Dritter verletzt“, erklärt uns dazu der Händlerbund-Anwalt Christian Hartert.
Aber: Sind Häkelanleitungen überhaupt urheberrechtlich geschützt?
Bevor wir mit der Geschichte fortfahren, müssen wir uns erst mal die Frage stellen, ob ein vermeintlicher Diebstahl rechtlich überhaupt relevant ist, also ob Häkelanleitungen generell urheberrechtlich geschützt sind. Rechtsanwalt Christian Hartert meint dazu, dass Häkel-, Bastel- oder Bedienungsanleitungen urheberrechtlichen Schutz genießen können, aber: „Der Schutz gilt nicht automatisch, sondern nur, wenn die jeweilige Anleitung eine persönliche geistige Schöpfung darstellt, die sich durch eine individuelle Gliederung, originelle Gedankenführung oder besondere Gestaltung auszeichnet.“
Die bloße Aufzählung technischer Schritte, also zum Beispiel „1. 10 Luftmaschen häkeln, 2. Faden wechseln, 3. Runde schließen“ sei hingegen in der Regel nicht geschützt.
Ob jede einzelne der kopierten Anleitungen die Hürde zum urheberrechtlichen Schutz meistert, lässt sich nicht abschließend bewerten. Aber: Zum einen gibt es natürlich eine moralische Komponente. Urheberrecht hin oder her. Wer fremde Anleitungen kopiert, verdient mit der Vorarbeit anderer Geld. Zum anderen muss aber natürlich auch der Umgang von Amazon mit dem Thema generell hinterfragt werden.
Lässt Amazon die Branche im Stich?
Stellt man fest, dass auf einer Plattform gestohlene Inhalte veröffentlicht werden, ist es naheliegend, diese der Plattform zu melden. Das ist auch in den Fällen passiert, die Inga aufgefallen sind. „Ich habe Amazon über das Melde-Tool auf der Produktseite kontaktiert und auf die Urheberrechtsverletzung hingewiesen“, teil sie uns mit. Sie hat die Namen der betroffenen Designer:innen benannt und Belege eingereicht.
Passiert ist – nichts.
„Amazon hat meine Meldung von einem Bot beantworten lassen. Ein richtiger Mensch hat sich das nicht angesehen und daher wurde die Meldung abgelehnt.“
Ob die Meldungen von einem echten Menschen bearbeitet wurden, kann an dieser Stelle nicht belegt werden. Allerdings liest man immer wieder von Händler:innen und Kund:innen, dass der Service von Amazon oft mit automatisierten Antworten arbeitet. Ganz abwegig ist die Vermutung also nicht.
Eine solche Vorgehensweise von Amazon würde laut den Erfahrungen des Rechtsexperten Christian Hartert gängigen Vorgehensweisen eher widersprechen: „Sollte eine Rechtsverletzung festgestellt werden, kann diese der Plattform gemeldet werden, die dann entsprechend tätig werden muss. Meistens wird der streitige Artikel daraufhin vorübergehend aus dem Verkauf genommen, bis die Angelegenheit geklärt ist.“ So kennt man es auch von anderen Plattformen, wie etwa YouTube. Meldet dort jemand einen Inhalt als urheberrechtlich problematisch, wird das Video erst mal heruntergenommen und der Publisher um Stellungnahme gebeten.
Außerdem kann man natürlich auch gegen die Anbieter:innen vorgehen und eine entsprechende Abmahnung aussprechen. Allerdings sollte man sich hier laut Hartert gut beraten lassen, denn: „Vor einer Meldung an die Plattform oder der Aussprache einer Abmahnung sollte jedoch sorgfältig geprüft werden, ob tatsächlich eine Rechtsverletzung vorliegt. Andernfalls besteht die Gefahr, selbst vom Autor bzw. Verkäufer auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden.“
Auf Anfrage teilt uns eine Amazon-Sprecherin zum Umgang mit dem Urheberrecht folgendes mit: „Amazon verbietet strikt Produkte, die gegen Rechte an geistigem Eigentum verstoßen. Sobald ein Verstoß identifiziert wird, handeln wir schnell, um Angebote zu entfernen und gegebenenfalls weitere Maßnahmen zu ergreifen. Wir haben Kanäle für Rechteinhaber:innen und Kund:innen eingerichtet, über die sie potenzielle Probleme mit Produkten melden können. Unsere spezialisierten Teams prüfen jeden Fall und ergreifen angebrachte Maßnahmen. Unser kontinuierliches Engagement gilt dem Schutz von Rechteinhaber:innen und Kund:innen vor Akteuren, die unsere Dienste missbräuchlich nutzen wollen.“
Werden Rezensionen gelöscht?
Um mögliche Interessent:innen darauf aufmerksam zu machen, dass die über Amazon vertriebenen Bücher potenziell gestohlene Inhalte beinhalten, wurden entsprechende Rezensionen verfasst. Diese seien aber als nicht zertifizierte Bewertungen gelöscht worden, berichtet sie uns. „Interessant ist zum Beispiel, dass Amazon eine Welle positiver Bewertungen nicht löscht – selbst dann, wenn sie von nicht verifizierten Käufer:innen stammen“, merkt Inga zu diesem Vorgehen an. Eine systematische Bevorzugung lässt sich jedoch nicht belegen.
„Amazon interessiert sich vor allem für Verkaufszahlen. Alles, was hierbei stört, wird abgefangen, alles, was nützlich ist, wird toleriert, auch wenn es illegal ist“, so der Vorwurf der Unternehmerin.
Das System hinter dem Diebstahl
Bei ihrer Spurensuche wird Inga schnell klar: Hier handelt jemand systematisch. „Die Bücher stammen definitiv alle aus der gleichen Quelle. Layout und Aufmachung sind jedes Mal gleich. Auch die Texte im Buch (Vorwort etc.) sind alle im gleichen Stil und mit ähnlichen Übersetzungsfehlern. Hier war dieselbe Person am Werk, bzw. dieselben Personen.“
Mittlerweile hat sie auch festgestellt, dass Anleitungen bekannterer Verlage von den Räubereien betroffen sind. Sie hofft, dass diese die Mittel haben, rigoros gegen die Verletzungen vorzugehen. Für die Branche an sich ist das Vorgehen der Raubkopierer, aber auch der Umgang durch Amazon ein Schlag: „Wir sind das kleinste Rädchen im Getriebe, aber ohne uns würde nichts laufen. Eine so dreiste Aneignung unserer Arbeit macht es für uns noch schwerer, zu existieren und unseren Beruf auszuüben.“
Von Amazon selbst erwartet sie gar nichts mehr – in ihren Augen beruht das System ohnehin auf der Ausbeutung von Menschen. Ihr Appell richtet sich daher an die gesamte Branche:
„Seid laut! Fordert ein, was euch zusteht! Dazu gehören faire Bezahlung – in Geld, nicht in Produkten oder ‚Reichweite‘ – und ein respektvoller Umgang mit eurem geistigen Eigentum. Vernetzt euch! Redet miteinander: über Geld, über Arbeitsbedingungen, über Rechte! Bildet Banden – denn gemeinsam sind wir lauter!“
Fazit: Amazon verlässt sich auf das Ehrenwort der Autor:innen
Laut den KDP-Richtlinien müssen Autor:innen beim Upload bestätigen, dass sie die Rechte an den Inhalten besitzen. Wie Amazon die Einhaltung dieser Pflicht prüft, bleibt offen. In der Praxis scheint die Kontrolle oft an ihre Grenzen zu stoßen – ein Problem, das mit dem Boom generativer KI noch drängender wird.
Artikelbild: http://www.depositphotos.com
Kommentar schreiben