Die meiste Zeit des Jahres habe ich als Amazon-Warenkorb einen recht entspannten Job. Mal liegen bestimmte Artikel wochenlang bei mir, ohne dass sie jemals gekauft werden, in anderen Zeiten, besonders vor großen Festen wie Geburtstagen oder Weihnachten, wird es randvoll und ich kann mich vor lauter Geschenken kaum noch retten. Und dann gibt es natürlich den Tag, auf den man als Warenkorb monatelang wartet. Der Tag, auf den man hinfiebert und alles Training der letzten Jahre zum Einsatz kommt: Der Amazon Prime Day.
Ein Knistern liegt in der Luft, der Shopping-Marathon beginnt
Als virtueller Einkaufswagen gibt es für mich fast nichts Aufregenderes als diesen Tag. Die Luft vibriert förmlich vor Spannung, ein Knistern liegt in der Luft. Schon Wochen vorher konnte ich spüren, wie die Menschen vor ihren Bildschirmen unruhig wurden. Wunschlisten wurden erstellt und mit allerlei Produkten versehen. Und auch ich wurde bereits mit allen möglichen Artikeln befüllt: Fernseher, Laptops, Socken in Massen – ja, sogar eine Fitnessmatte, die vermutlich nie ausgepackt wird. Aber was soll’s, die Aussicht auf 3.000 Prozent Rabatt lässt so manchen Schnäppchenjäger auch gerne mal etwas über das Ziel hinaus schießen.
Und dann ist es endlich Mitternacht, es geht los und ich bin bereit, wie nie zuvor. Es wird sich hektisch durch die Kategorien geklickt – „Elektronik“, „Mode“, „Haushaltsgeräte“ und wieder zurück, um auch ja keinen Deal zu verpassen. Ich kann das Herzklopfen förmlich spüren. Immer mehr Produkte landen in mir, oft ein buntes Sammelsurium an Waren, die man eigentlich gar nicht braucht, die aber mit den magischen Worten „Minus xxx Prozent“ versehen sind. In den ersten Minuten nach Mitternacht trennt sich aber auch gleich die Spreu vom Weizen, die erfahrenen Shopper von den hilflosen Schnäppchenjägern.
Während einige Kunden ganz gezielt an die Sache herangehen und präzise ihre Wunschliste abarbeiten, welches Produkt zu einem (vermeintlich) günstigeren Preis angeboten wird, verfallen andere in regelrechte Panik. „Was, wenn der Fernseher in den nächsten fünf Minuten ausverkauft ist? Hier muss ich jetzt zuschlagen. Ich brauch’ eigentlich keinen, aber bei 4.000 Prozent Rabatt wäre es ja dumm, diesen nicht jetzt sofort zu kaufen“, so die Denkweise mancher Kunden.
Manchmal lachen wir Einkaufswagen hinter den Kulissen über diese Hektik. Denn wir wissen, dass der Preis sich wahrscheinlich eh nicht ändert und der angebotene Rabatt von 5.000 Prozent doch mehr Schein als Sein ist. Und dass die Preise womöglich vor den großen Rabatttagen, wie Prime Day oder Black Friday, künstlich etwas nach oben gesetzt werden, um am Aktionstag dann einen möglichst hohen Rabatt anzubieten. Wissen kann ich das als Warenkorb natürlich nicht, aber man bekommt ja so einiges mit, wenn man lange genug dabei ist.
Der entscheidende Moment: Checkout oder Abbruch?
Aber zurück zum Thema, denn jetzt wird es spannend! Es kommt der berüchtigte Moment, vor dem ich mich jedes Jahr fürchte: der Abbruch. Oh ja, das ist die dunkle Seite vom Prime Day. Menschen werfen alles in den virtuellen Einkaufswagen, nur um kurz vor dem Abschluss wieder alles zu löschen oder erst gar nicht in Richtung Kasse zu gehen. Da liege ich dann, randvoll mit all diesen fantastischen Produkten, nur um mit einem einzigen, vernichtenden Klick wieder leergeräumt zu werden.
Lag es an mir, frage ich mich dann. Was habe ich falsch gemacht? Warum hat der Kunde mich verlassen? Ist der neue Fernseher doch nicht so toll? War der Vorsatz, künftig mehr Sport zu machen, nur ein Strohfeuer und die neuen Hanteln werden nun doch nicht gebraucht? Hätte ich als Warenkorb vielleicht auch mehr machen können? Die Fragen quälen mich.
Nach dem Prime Day ist vor dem Black Friday
Aber keine Zeit zum Grübeln, denn schließlich ist der Black Friday nicht mehr weit und dann geht das Spektakel in die nächste Runde. Wieder fülle ich mich mit Technikgadgets, Modeartikeln und noch mehr unnötigen Fitnessgeräten. Die Kunden klicken hektisch durch ihre Tabs, als ob ihr Leben davon abhängt. Es ist, als würden sie glauben, der perfekte Deal lauert in der nächsten Ecke, nur noch einen Klick entfernt.
Manchmal kommt aber auch ein erfahrener Warenkorb wie ich an seine Grenzen und man fühlt sich wie auf einer Achterbahn. Der Kunde zieht mich in alle Richtungen, löscht Artikel, fügt neue hinzu, wechselt von Elektronik zu Kinderspielzeug zu Gartengeräten und wieder zurück. Dann verliere sogar ich die Übersicht, was da jetzt alles an Produkten zusammengekommen ist. Doch dann kommt der Moment, auf den man die ganze Zeit wartet: der Checkout.
Das Gefühl, wenn ein Kunde endlich auf „Bezahlen“ klickt, ist mit nichts zu vergleichen. Es ist wie das Überqueren der Ziellinie bei einem Marathon. Empfinde ich in diesem Moment ein Gefühl des Stolzes? Natürlich. Der Kunde ist zufrieden und die Pakete machen sich bald auf den Weg.
So endet also ein weiteres Jahr in der wilden Schlacht um den besten Deal. Als Warenkorb habe ich schon alles gesehen – von den größten Schnäppchen bis zu den verrücktesten Fehlkäufen. Und ich kann es kaum erwarten, nächstes Jahr wieder anzutreten.
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