Amazon tut alles für seine Kunden. Alles. Das hat der Konzern immer wieder gezeigt. Und das ist auch das Geheimnis, warum das Konzept des US-Riesen so gut aufgeht. Doch wo die Kunden gehegt und gepflegt werden, sollen die Bedingungen für die Mitarbeiter allzu oft hinten runterfallen. Und zwar nicht nur in den Logistiklagern, sondern auch bei den höherrangigen Angestellten in der Manager-Ebene. Immenser Arbeitsdruck, weinende Mitarbeiter und öffentliches „Niedermachen“ sollen alltäglich sein.
Amazon ist ein Konzern mit vielen Facetten. Auf der einen Seite sehen die Kunden auf eine glänzende Fassade, auf eine außergewöhnlich gut strukturierte und betörende Einkaufswelt, die keine Wünsche offenlässt. Doch damit diese funkelnde Welt so reibungslos funktioniert, arbeiten hinter den Kulissen viele Tausende Mitarbeiter. Und wie man in regelmäßigen Abständen hört, geben die Arbeitsbedingungen immer wieder Grund zur Sorge: Am häufigsten wird dabei über die teils mangelnden Zustände in den Logistiklagern diskutiert. Doch auch in höheren Abteilungen seien viele Mitarbeiter unglücklich.
Amazon: 80-Stunden-Wochen und weinende Mitarbeiter
Wie die Welt berichtet, sollen Manager bei Amazon sogar „schonungslos verheizt“ werden. Vielmehr noch. Es herrsche ein institutionalisiertes Mobbing. 80-Stunden-Wochen seien ebenso üblich wie eine Totalüberwachung der Mitarbeiter oder E-Mails nach Mitternacht, die unverzüglich beantwortet werden sollen. Grundlage solcher Aussagen ist ein Bericht der New York Times. Die Zeitung habe mit zahlreichen ehemaligen Mitarbeitern gesprochen, die – sowohl namentlich als auch anonym – Stellung bezogen und über ihre Erfahrungen gesprochen haben.
„Du verlässt einen Meetingraum und siehst, wie ein erwachsender Mann sein Gesicht in den Händen verbirgt“, erzählt der ehemalige Mitarbeiter Bo Olsen. „Nahezu jede Person, mit der ich zusammengearbeitet habe, habe ich an ihrem Schreibtisch weinen sehen.“ – Eine Aussage, die nur einen kleinen Eindruck vermitteln soll, unter welchem Druck die Mitarbeiter bei Amazon stehen.
Vorwurf: Rücksichtsloser Umgang mit Krankheiten und privaten Sorgen
Eine Mitarbeiterin berichtet, sie hätte einmal vier Tage nicht geschlafen, um das Arbeitspensum zu schaffen. Auch auf gesundheitliche Aspekte werde nicht eingegangen: Molly Jay, eine ehemalige Mitarbeiterin aus dem Kindle-Team erzählte, sie habe um eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit gebeten, da ihr Vater an Krebs erkrankt sei. Doch der Antrag wurde abgelehnt. Stattdessen wurde ihr Anliegen als „Problem“ bezeichnet, da sie anscheinend die Arbeitsmoral untergrabe.
Auch anderem Mitarbeitern sei es nicht besser ergangen: Als zwei Frauen ebenfalls an Krebs erkrankten, sei ihnen mitgeteilt worden, dass ihre Arbeitsplätze aufgrund schlechter Leistung gefährdet seien. Die Erkrankungen wurden demnach als „Schwierigkeiten“ im „Privatleben“ abgetan.
Nicht umsonst ergab wohl eine Studie aus dem Jahr 2013, dass Angestellte durchschnittlich nur ein Jahr bei Amazon verbleiben.
Ein Sturm bricht los in den sozialen Medien
Sowohl der Artikel der New York Times als auch die hiesige Berichterstattung schlugen innerhalb weniger Stunden enorme Wellen. Natürlich hat man immer wieder von den vermeintlichen Mängeln in den Logistiklagern gehört. Doch die systematische Ausbeutung, die durch die Berichte der ehemaligen Mitarbeiter gezeichnet wurde, geht weitaus tiefer als von vielen vermutet. Entsprechend ungehalten reagierten viele User in den sozialen Medien.
Von Amazon selbst hört man in solchen Situationen – selbst im größten Shitstorm – nur selten eine Stellungnahme. Doch auch hier zeigt sich dieses Mal, dass das Ausmaß des möglichen Schadens höher sein dürfte als in vergangenen Fällen. Denn kein geringerer als Amazon-Chef Jeff Bezos versucht nun, die Wogen zu glätten. In einer E-Mail an Geek Wire geht er auf die gravierenden Vorwürfe ein.
Jeff Bezos: Eine Entschuldigung, die keine ist…
Amazon-Gründer Jeff Bezos fordert die Menschen dazu auf, den Bericht der New York Times zu lesen und sich aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Der Artikel beschreibe „schockierend gefühllose Managementpraktiken“. Doch er beschreibe nicht jenes Amazon, das er selbst kennt oder jene fürsorgliche „Amazonier“, mit denen er tagtäglich zusammenarbeite. Er ruft die Leser dazu auf, ihre Geschichten preiszugeben, sollten sie ähnliche Erfahrungen bei Amazon gemacht haben. Zudem verweist er auf eine Null-Toleranz-Politik, die bei solchen und ähnlichen Vorkommnissen herrschen müsse.
Auch er selbst könne sich nicht vorstellen, an so einem solchen „seelenlosen, dystopischen Arbeitsplatz“ zu arbeiten, „an dem es keinen Spaß gibt und kein Lachen zu hören“ sei. Er glaube nicht, dass ein Unternehmen, bei dem solche Zustände herrschen, überleben könne.
Auf den ersten Blick lesen sich die Zeilen von Jeff Bezos wie eine Entschuldigung. Doch das sind sie nicht. Der Chef von Amazon bringt in erster Linie seinen Unglauben zum Ausdruck und verweist darauf, dass die „Anekdoten“ der Mitarbeiter schockierend seien. Doch alles in allem scheint es, als sei das Fazit, dass er sein Unternehmen nicht auf diese Weise sieht. Schließlich stehe es jedem Mitarbeiter frei, sich bei einem anderen Unternehmen zu bewerben.
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