Ein Blick zurück auf ein beeindruckendes Jahr, in dem sich Höhen und Tiefen abwechselten.
Was haben Boote, Hobbits und Titanen gemeinsam? – Sie alle prägten die Amazon-Nachrichten aus den vergangenen zwölf Monaten. Neben einer Mega-Yacht, die Jeff Bezos nicht mal mit Geld durch eine Brücke quetschen konnte, ging es zum Beispiel um den Serienstart der neuen „Herr der Ringe“-Verfilmung. Auch die massiven Verluste, die den Online-Titanen 2022 ins Straucheln brachten, schlugen hohe Wellen. Viele Kunden ärgerten sich indes über einschneidende Änderungen rund um ihr Prime-Abo.
Unsere Redakteure haben ihre Highlights bzw. Lowlights aus dem vergangenen Amazon-Jahr noch einmal heraus gekramt …
Amazon Prime dekonstruiert sich selbst – von Ricarda
Kundinnen und Kunden von Amazon Prime sind dies meistens aus einem der drei Gründe: Gratis-Versand, Filme und Serien oder aber Musik. In diesem Jahr nun dachte man sich im Hause Amazon, dass es an der Zeit wäre, die Kosten für dieses durchaus tolle Angebot anzuheben. Statt zuvor 7,99 Euro pro Monat beziehungsweise 69 Euro im Jahr darf man jetzt 8,99 Euro im Monat beziehungsweise 89,90 Euro im Jahr für den Dienst berappen.
Und hey – in Anbetracht des gebotenen Wertes und der Tatsache, dass derzeit alle Unternehmen die Preise anziehen, wäre dieser Schritt durchaus verständlich und zu verkraften gewesen. Doch dann urplötzlich kam die Idee, noch im selben Jahr, in dem man die Preise anhebt, den Wert von zwei der drei Hauptverkaufsargumente wesentlich zu mindern.
Mit Freevee hat Amazon einen kostenlosen Streamingdienst gestartet, welcher viele der Film- und Serien-Highlights, die man von Prime Video kennt, bietet und sich über Werbeeinblendungen finanziert. Klingt zunächst toll – für Nicht-Prime-Kunden. Denn für Kunden des Prime-Abonnements bedeutet dies, dass sie einige Inhalte, die sie zuvor in ihrem Abo werbefrei genießen konnten, jetzt plötzlich nur noch mit Werbung bei Freevee sehen.
Ähnlich kundenfeindlich verfuhr Amazon wenig später mit der Musik-Sparte Prime Music. Dort können Musik-Freundinnen und -Freunde nun statt 2 Millionen gleich 100 Millionen Titel hören. Also zumindest per Zufallswiedergabe und damit nur unwesentlich besser, als gleich Radio zu hören.
Was bleibt Prime, wenn Musik- und Seriengenuss plötzlich deutlich weniger brauchbar daherkommen? Gratis-Versand. Wahnsinn. Den haben viele Shops. Und in Zeiten von immer stärkeren Nachhaltigkeitsbestrebungen bei Verbraucherinnen und Verbrauchern ist das im besten Fall ein fragwürdiges Verkaufsargument.
Bezos läuft auf Grund – von Micha
Folgendes Szenario: Sie sind ein Mann mit unfassbar viel Geld und wollen sich endlich mal eine angemessene Mega-Yacht im Wert von 430 Millionen Euro gönnen. An wen wendet man sich da? Korrekt, das Seefahrervolk der Niederländer. Was sollte man bedenken? Dass der neue Luxus-Kahn in einer Werft zusammengeschraubt wird, die hinter der Königshaven-Brücke liegt und damit eine Durchfahrt bei zu extravaganten Ausmaßen unmöglich wird. Wer hat das vergessen? Jeff Bezos.
Der wollte jedenfalls seine von der Firma Oceanco gebaute Yacht aus der Werft bekommen, indem er die historische Brücke (1878 erbaut) kurzerhand abbauen lässt. Bei den Kosten für die Yacht wäre der Abbau und anschließende Aufbau Kleingeld gewesen. Aber die Niederländer weigerten sich, die „De Hef“ genannte Brücke weichen zu lassen – nicht zuletzt, weil die Menschen von Rotterdam die Brücke nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut und geschworen hatten, dass sie nie wieder abgerissen werden sollte. Da kann auch ein Jeff Bezos mit all seinem Geld ankommen.
Am Ende musste Bezos seine Yacht über einen Umweg aus Rotterdam schleppen lassen, um die offene See zu erreichen. Die Brücke blieb stehen. Zudem musste das Schiff auf dieser Fahrt auf seine Masten verzichten. Die Überfahrt hat Bezos offenbar in der Nacht durchführen lassen, wohl auch um auf Drohungen der Niederländer zu reagieren, die sein Schiff mit Eiern bewerfen wollten. Und so zeigt sich, dass Geld eben doch nicht alles kaufen kann.
Endlich Herr des Streamings? – von Christoph
Nun ist sie endlich da, die Milliardenserie, die Amazon jetzt aber mal wirklich endlich das eigene „Game of Thrones“ bescheren soll. Und die Zahlen scheinen Amazon recht zu geben. 25 Millionen Zuschauer sollen allein zum Release der ersten Folge eingeschaltet haben, insgesamt soll die Serie weltweit bislang 24 Milliarden Minuten lang gestreamt worden sein – Amazon selbst spricht von über 100 Millionen Fans. So oder so: Amazon hat mit der bislang teuersten Serie alle Zeiten endlich ein Event geschaffen, das viel diskutiert und heiß erwartet wurde. Aber passt auch die Qualität? Die Antwort ist ganz eindeutig: Jein.
Audiovisuell ist Rings of Power hervorragend gelungen, orientiert sich stilistisch stark an Peter Jacksons Trilogie aus den Anfangsjahren des neuen Jahrtausends und hat für Fans starke Homecoming-Vibes in die Welt von Mittelerde. Look and Feel sind die ganz großen Pluspunkte der ersten Staffel.
Inhaltlich sieht das bisher leider noch nicht so rosig aus. Ja, die Geschichte entwickelt sich in den acht teils 70-minütigen Episoden äußerst langsam, das ist aber verschmerzbar. Das Worldbuilding ist toll. Das große Problem der Serie sind bislang leider die Charaktere. Wie es heute zum guten Ton gehört, sind es viel zu viele, für die sich die Serie viel zu wenig Zeit nimmt. Wenn quasi jeder Dialog reine Exposition ist, sprich: erklärt, was warum vor sich geht, dann bleibt kaum Platz für Character Building. Das muss in Zukunft deutlich geschliffen werden, um nicht nur eine teure Event-Serie zu bleiben, sondern auch die Herzen der Fans zu erobern.
Trotzdem: „Rings of Power“ schwitzt heftig Mittelerde, hat große Momente und ist in dieser ersten Staffel eine mindestens solide Grundlage für eine epische Geschichte. Es bleibt zu hoffen, dass Amazon das hinbekommt. Für die Fans – und für die eigenen Ansprüche.
Auch Titanen fallen – von Tina
Aus der griechischen Mythologie wissen wir, dass auch Titanen – also göttliche, schier unantastbare Überwesen – stürzen können. Und, man mag es kaum glauben, auch in der realen Welt scheint nun eine Art Götterdämmerung angebrochen zu sein: Denn Amazon, der unangefochtene Riese unter den Online-Playern, ist mächtig ins Straucheln geraten.
Schon im ersten Quartal schrieb der Konzern Unternehmensgeschichte. Im negativen Sinne. Er verbuchte einen nie dagewesenen Nettoverlust in Höhe von satten 3,8 Milliarden Dollar. Das zweite Quartal sah nicht viel besser aus: Der Verlust sank auf „nur“ noch 2,0 Milliarden Dollar. Amazon hielt mit deftigen Maßnahmen gegen: Die Errichtung verschiedener Logistik-Lager wurde verschoben oder abgesagt. Auf Einstellungsstopps folgten massenhafte Entlassungen. 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen betroffen gewesen sein. Auch Entlassungen in derartiger Größe sind im Hause Amazon ein absolutes Novum.
Neben den steigenden Kosten kämpft Amazon indes mit Fachkräftemangel. Interne Dokumente, über die erst im Herbst berichtet wurde, sollen belegen, dass das Unternehmen durch hohe Fluktuation innerhalb der Belegschaft jedes Jahr Milliarden verliert. Die konkrete Zahl wird wohl auf acht Milliarden Dollar geschätzt.
Spürbar wird der ganze Druck und Abschwung nicht zuletzt auch an der Börse. Dort zeichnen sich innerhalb des vergangenen Jahres enorme Verluste ab. Lag der Wert der Aktie Ende März 2022 beispielsweise bei mehr als 150 Dollar, krauchte er kurz vor Weihnachten rund um die 80-Dollar-Marke. Milliarden Dollar sind verpufft und im Spätherbst flog der Konzern sogar aus dem äußerst exklusiven Billion-Dollar-Club, verlor also seine Marktkapitalisierung von über einer Billion Dollar.
Nun. Die Erfahrung zeigt: Amazon weiß, wie Wirtschaft geht. Der Konzern wird weitere Maßnahmen ergreifen und neue Wege beschreiten, um sich schließlich wieder zu fangen. Der Stolperer wird dem Milliarden-Konzept von Amazon wohl nichts anhaben können – einzelnen Mitarbeitenden, ja. Aber nicht dem Konzernuniversum. Doch zumindest wurden wir daran erinnert, dass selbst die Mächtigsten nicht unantastbar sind.
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