Sensape: Wenn das Schaufenster mit dem Kunden spricht

Veröffentlicht: 04.08.2016 | Geschrieben von: Christoph Pech | Letzte Aktualisierung: 04.08.2016

Das StartUp Sensape freute sich kürzlich über eine EU-Förderung in Höhe von 135.000 Euro. Mit ihrem Konzept eines interaktiven Schaufensters, das via Deep Learning lernt, Personen verschiedener Altersgruppen zu erkennen, sorgt das Unternehmen für Furore. Dabei ist man längst viel weiter, als „nur“ Schaufenster aufzupeppen.

Sensape Hallo

© Sensape

„Wir haben einen Stau verursacht“, sagt Matthias Freysoldt, einer der Gründer von Sensape im Interview, als er von der Touristik & Caravaning Messe 2015 (TC) in Leipzig erzählt. Ein Aussteller hatte einen Monitor aufgestellt, auf dem eine der Grundfunktionen der Sensape-Technologie, der Chimp, lief. Dieser erkennt Menschen automatisch, die vor dem Monitor stehen. Ihr Geschlecht, ihr ungefähres Alter, ihre Gemütsverfassung – all das kann der Chimp einordnen und blendet dementsprechend Sprechblasen über den Personen ein, je nachdem, was sie gerade wollen oder denken könnten.

Chimp als Dosenöffner

Was einfach klingt, erfordert diffizile Rechenoperationen im Hintergrund, denn es sind nicht alle Menschen dieser Erde eingespeichert. Der Computer lernt via Deep Learning. Der KI werden Bilder von Männern und Frauen gefüttert, „dann bekommt er ein Verständnis dafür, wie eine Frau und wie ein Mann aussieht. Er sucht sich selbständig Merkmale heraus – wir wissen auch nicht genau, welche Merkmale das sind. Das funktioniert so gut, dass wir bei der Alterserkennung mittlerweile in einem Korridor von 4 bis 5 Jahren sind. Dieselbe Technologie wird auch für Siri verwendet. Es ist die momentan mächtigste Möglichkeit, den Computer ‚anzulernen‘.“

Sensape Bubbles

© Sensape

Was ist nun das Ziel dahinter? Lustige Sprechblasen sind schön und gut, doch mehr als Unterhaltung bieten sie erst einmal auch nicht. Freysoldt zur Erfahrung auf der TC Messe: „Die Leute bleiben davor stehen, spielen ein wenig damit herum und schon hat man den Einstieg und kann die Leute ansprechen und seine Produkte vorschlagen.“ Durch die spielerische Zugkraft werden die Menschen angelockt, der Anbieter sammelt automatisch einen potenziellen Kundenpool. Der Chimp fungiert als Dosenöffner, um überhaupt ins Gespräch zu kommen.

Umgekehrt ist er für Sensape der Dosenöffner, um auf die eigene Technologie aufmerksam zu machen. Denn diese kann mehr als Sprechblasen. „Wir haben verschiedene Standard-Apps und bauen momentan spezielle Apps, je nach Kundenbedarf.“ Neben der genannten Bubbles-App bietet Sensape zum Beispiel eine Wetter-App, die nicht nur das Wetter anzeigt, sondern passend dazu auch Kaufempfehlungen geben kann. Stünde ein Gerät etwa in einem Baumarkt und ein 30-jähriger Mann zieht den virtuellen Ansprechpartner zu Rate, so könnte er passend zum Sonnenwetter einen Grill vorschlagen und gleich den Gang angeben, wo dieser zu finden wäre – oder einen Pavillon bei strömendem Regen.

Spannender wird es bei den speziellen Apps, die das StartUp den Kundenwünschen anpasst. Einer der bekanntesten ist derzeit die Postbank, für die Sensape einen virtuellen Berater gebaut hat. Eine virtuelle Postbank-Mitarbeiterin gibt darin Beratungsmöglichkeiten oder zeigt an, wo der nächste Geldautomat zu finden ist. Generell zeigen sich, Freysoldt zufolge, Banken gerade sehr interessiert, ohne, dass er Namen nennen will, man befindet sich schließlich erst in Verhandlungen. Die boomende Fintech-Branche ist zu einer echten Konkurrenz herangewachsen, neue Lösungen sind nötig, um die Kunden zu behalten und neu zu gewinnen. Sensape kommt da gerade richtig.

Online-Services im Einzelhandel

Für den Einzelhandel bietet die Technologie ganz neue Möglichkeiten, das Kauferlebnis des Kunden zu optimieren. Auf der vergangenen Leipziger Buchmesse stellte Sensape eine Buch-App vor. Diese erkennt verschiedene Bücher, die man in die Kamera hält und zeigt passende Informationen an. So ließe sich etwa prüfen, wie viele Kunden das Buch bereits gekauft haben, wie es bewertet wurde etc., also klassische Infos, die man von Online-Anbietern kennt, die im Laden ohne zusätzliche Technologie aber nur schwer umzusetzen sind. Die App kam gut an, es gab Gespräche mit stationären Händlern, doch einen Abschluss gab es nicht.

Warum? Weil der Innovationsgrad im klassischen Buchhandel eher gering einzuschätzen ist und weil die nötigen Margen fehlen, um so ein Projekt zu finanzieren. Generell ist der traditionelle Einzelhandel immer noch sehr konservativ. Das ist einerseits schade für Sensape, vor allem aber schade für die Branche. Die Idee zu Sensape kam Mitgründer Artur Lohrer, weil er die üblichen Schaufenster in den deutschen Städten ziemlich langweilig fand und überlegte, wie man das Shopping-Erlebnis in der realen Welt wieder spannender machen kann. Ein solches „Schaufenster“ könnte stationären Händlern einen enormen Schub geben, könnten sie doch Services, die bislang dem Online-Handel vorbehalten waren, fast eins zu eins in die Innenstädte übertragen.

Sensape - Company Introduction from Sensape on Vimeo.

Sensape, wie hältst du’s mit dem Datenschutz?

Eine KI, die via Kamera Menschen verschiedenen Alters erkennt und Empfehlungen oder Hinweise gibt – passionierte Datenschützer werden an dieser Stelle sofort hellhörig. Freysoldt beruhigt und stellt das Thema Datensicherheit direkt als Alleinstellungsmerkmal heraus: „Datenschutz ist für uns ein USP. Wir analysieren die Daten kurzzeitig und ziehen nur diese heraus, die für uns wichtig sind. Es werden keine personenbezogenen Daten gespeichert. Die Datenverarbeitung läuft lokal auf den Geräten.“ Indem man etwa nur Altersgruppen prüft, macht man die Informationen „unscharf“. Außerdem merkt sich die KI nicht, wer vor ihr stand: „Die Technik hat eine Art Kurzzeitgedächtnis. Wird die Interaktion beendet, wird die Person wieder ‚vergessen‘. Kommt sie wieder, ist sie für das Programm eine neue Person.“

Erst die Fotobox, dann Google

Man hat sich von der Ursprungsidee des interaktiven Schaufensters nicht verabschiedet und sieht den Einzelhandel weiterhin als potenziell interessant. Doch Messe-Anbieter oder Banken scheinen derzeit empfänglicher. Ein frisches Projekt hat Sensape außerdem bereits in der Pipeline. Der Augmented-Reality-Hype, den spätestens Pokémon Go auch gesamtgesellschaftlich losgetreten hat, lässt sich für das eigene Produkt ausnutzen, schließlich sind die Bubbles nichts anderes als AR. Planmäßig im September will Sensape eine spezielle Fotobox mit AR-Elementen vorstellen. Das StartUp beweist hier einen guten Riecher, denn nicht nur AR liegt im Trend, auch die Fotokabinen, die vier Schnappschüsse ausspucken, werden immer beliebter.

Und wo steht Sensape in 5 Jahren? „Wenn Google mit dem richtigen Angebot an die Tür klopft, wird keiner ‚Nein‘ sagen.“ Freysoldt lacht dabei. Sensape ist ein Herzprojekt, mit dem gerade zu Beginn auch Rückschläge verbunden waren. Der berühmte StartUp-Rollercoaster, in dem man erst die große Förderung an Land zieht und am nächsten Tag alles hinschmeißen will – und das mehrfach – war auch bei Sensape allgegenwärtig. So ging etwa die erste Präsentation gründlich in die Hose, als die interaktive Weltkarte für Reiseunternehmen technisch versagte. Beirren ließ man sich nicht.

Auch hereinreden ließ man sich irgendwann nicht mehr: „Wenn du ganz frisch bist, hörst du auf alles. Das Problem ist, dass du alle paar Wochen deine Richtung wechselst und deinen Fokus veränderst und wieder etwas anderes entwickelst. Dein ganzes Ziel wird diffus und du hast nicht mehr vor Augen, was du eigentlich machen willst. Das ist ein Fehler, den viele StartUps am Anfang machen, es gehört aber auch zum Selbstfindungsprozess. Ab einem gewissen Punkt musst du einfach geradeaus laufen, sonst kommst du nie ans Ziel.“ Ob das Ziel am Ende dann Google oder Mittelstand oder etwas ganz anderes heißt, wird man sehen. Aktuell investiert man das Geld der EU-Förderung von Finodex erstmal erneut in Hardware und Entwicklung, um die Technologie-Plattform auszubauen, den Service irgendwann Browser-basiert anzubieten und das 12 Personen starke Team im Leipziger Spin Office auszubauen. Der Rollercoaster ist gerade mal wieder auf dem Weg nach oben.

Sensape Team

© Sensape

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