Meinung

Kann Anonymität im Netz denn echt die Antwort sein?

Veröffentlicht: 02.02.2022 | Geschrieben von: Ricarda Eichler | Letzte Aktualisierung: 02.02.2022
Dinosaurier am Laptop

Gestatten: Tyrannosaurus Netz. Am liebsten tyrannisiere ich Menschen online, denn da sieht niemand, was sich hinter meiner Maske verbirgt. So oder so ähnlich würde es zumindest aussehen, wenn sich der Wunsch einiger kühner Freibeuter und EU-Bürger durchsetzt. Denn die Piratenpartei schaffte es jüngst, ein Recht auf Anonymität im Internet in die Verhandlungsposition des EU-Parlaments zum Digital Services Act (DSA) zu schreiben. Ob sich der entsprechende Passus auch im fertigen Gesetz findet, das wird sich in den nächsten Monaten in den Verhandlungen zwischen EU-Parlament und EU-Mitgliedstaaten entscheiden. 

Das Für und Wider der anonymen Internetnutzung

Das zentrale Argument, welches immer wieder im Rahmen der Debatte angeführt wird, ist die Zunahme an Datenskandalen innerhalb der letzten Jahre. Immer mehr große Unternehmen und Organisationen werden Opfer von Hackern oder weisen eigene Pannen in Sachen Datensicherheit auf. Befürworter der Anonymität verweisen nun darauf, dass es an vielen Stellen nicht notwendig ist, sich mit vollen Namen und weiteren privaten Daten zu registrieren, um den jeweiligen Dienst zu nutzen.

Ein Beispiel für den komplexen Streit um die Anonymität im Netz während der Beratungen rund um den DSA in der EU, ist die Bekämpfung illegaler Inhalte auf Porno-Plattformen. Denn das EU-Parlament macht sich mit dem Änderungsantrag 291 (a) für eine verpflichtende Registrierung sämtlicher Uploader inklusive Handynummer und E-Mail-Adresse auf Erotik-Portalen stark. Der EU-Abgeordnete und Pirat Patrick Breyer und die European Sex Workers Rights Alliance sehen dadurch Sexarbeitende gefährdet. 

Hier zeigt sich, dass es kein klares Für und Wider geben kann. Denn wo Anonymität natürlich die gesellschaftlich stigmatisierte Berufsgruppe der Sexarbeitenden vor Anfeindungen, Stalking und Datenleaks schützen kann, gefährdet sie diese ebenso. Schließlich werden nicht alle Inhalte, die auf einschlägigen Portalen landen, auch durch und im Einvernehmnis der Darsteller und Darstellerinnen hochgeladen. 

Neben dem Recht am eigenen Bild und Körper gehen durch solche unbefugt hochgeladene Inhalte vielen Inhaltsschaffenden auch Einnahmen verloren, da diese Inhalte dann nicht mehr über deren Bezahl-Angebote wahrgenommen werden. Und natürlich bietet die geplante Registrierungspflicht für Uploader auch Schutz für Frauen, die keine professionellen Sexarbeiterinnen, aber Betroffene von heimlich erstellten Nacktaufnahmen sind, die ins Netz gestellt werden. 

Doch auch abseits der Erotik-Portale  wird der Schatten der Anonymität für viele Internetnutzer zum Freifahrtschein für konsequenzloses Hetzen. Das Thema Cybermobbing hat dabei in den letzten Jahren ebenso einen Aufwärtstrend erlebt, wie die genannten Datenleaks. Einer aktuellen Studie zu Folge ist mittlerweile jeder zehnte Deutsche betroffen. Facebooks Versuch, eine Klarnamenpflicht für Nutzer des Netzwerkes verpflichtend einzuführen, sollte an sich zum Schutz und zur besseren Verfolgbarkeit beitragen. Doch erst kürzlich beschloss der BGH, dass diese Pflicht vor allem für langfristige Nutzer nicht greifen kann. Wie sinnvoll dieser Beschluss ist, erörterte mein Kollege Christoph Pech bereits.

Täterschutz vor Opferschutz?

Meiner persönlichen Meinung nach hat Anonymität im Internet nur dann einen Sinn, wenn diese dem Schutz von Opfern und nicht dem Schutz von Tätern gilt. Doch da wir diese Zuordnung natürlich nicht im Vorfeld treffen können, kann eine allgemeingültige Anonymität nicht die Lösung sein.

Anstatt es Tätern einfacher zu machen, Hatespeech, Revenge Porn und Co. zu verbreiten, sollte viel mehr an Wegen gearbeitet werden, Daten effektiver zu schützen. Eine erweiterte Nutzung der Blockchain und eine verpflichtende Zwei-Faktor-Authentifizierung für alle Logins wären hier doch ein guter Schritt, um Hackern den Arbeitsalltag zumindest ein wenig zu erschweren. 

Anonymität wird eure Daten auch nicht schützen

Wir leben in einer Zeit, in der Angriffe auf die Psyche so langsam ernst genommen werden und Opfer sich zur Wehr setzen können. Ein Recht auf Anonymität wäre in meinen Augen ein herber Rückschlag. Und seien wir mal ehrlich: Anonymität wird eure Daten auch nicht schützen. 

Denn die Stellen, an denen diese am wahrscheinlichsten im großen Stil erbeutet werden, sind Stellen, an denen ihr eure Daten trotzdem bereitwillig zur Verfügung stellt: Online-Shops oder soziale Netzwerke. In der Verhandlungsposition des EU-Parlaments zum Digital Services Act heißt es nunmehr zwar auch, dass Zahlungen im Internet, wo umsetzbar, anonym zu gestalten sein sollen, aber die Bequemlichkeit der schnellen Logins und Lieferungen wird für viele Internetnutzer sicher dennoch zum Verhängnis. 

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Über die Autorin

Ricarda Eichler
Ricarda Eichler Expertin für: Nachhaltigkeit

Ricarda ist im Juli 2021 als Redakteurin zum OHN-Team gestoßen. Zuvor war sie im Bereich Marketing und Promotion für den Einzelhandel tätig. Das Schreiben hat sie schon immer fasziniert und so fand sie über Film- und Serienrezensionen schließlich den Einstieg in die Redaktionswelt.

Sie haben Fragen oder Anregungen?

Kontaktieren Sie Ricarda Eichler

Kommentare  

#1 Anonym 2022-02-02 16:47
Viele demokratische Prozesse laufen anonym ab, so wählen wir geheim und können demonstrieren, ohne unsere Identität preiszugeben.
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