Revolution in der Content-Erstellung

Wenn eine Maschine die Produkttexte schreibt

Veröffentlicht: 04.11.2019 | Geschrieben von: Hanna Behn | Letzte Aktualisierung: 26.08.2020
Roboter an Schreibmaschine

Sind Artikelbeschreibungen im Online-Shop hilfreich, aktuell und korrekt formuliert, können sie Kunden dabei unterstützen, das für sie optimale Produkt leichter zu finden. Dadurch wiederum erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für den Kauf. Allerdings sind zum Erstellen von passendem Content stets mehrere gute Texter notwendig. Oder?

„Ecksofa Masion, schlichte Form, grauer Bezug aus Webstoff, Longchair beidseitig montierbar“ ‒ derartige Produktbeschreibungen, die Artikelmerkmale auflisten, sind übersichtlich und vom Kunden leicht zu erfassen. Allerdings lassen sich bei solch einfach aufbereiteten Informationen kaum Emotionen transportieren oder der entsprechende Mehrwert für den Kunden beschreiben. Anders als beispielsweise mit diesem Texteinstieg: „Für diejenigen, die auf der Suche nach einem Möbelstück im klassischen Design sind, ist dieses graue Ecksofa mit Longchair von Ars Natura aus der Serie Masion eine gute Wahl. Der unempfindliche Webstoff ist besonders strapazierfähig.“

Nicht nur für die Kunden und damit für den Umsatz sind derart ausführliche und einzigartige Inhalte von Vorteil, sondern auch für ein gutes Ranking in den Suchmaschinenergebnissen: So straft beispielsweise Google laut seinen Webmaster-Richtlinien Inhalte von minderwertiger Qualität mit geringem oder gar keinem Mehrwert ab. Doch spätestens, wenn es das Ecksofa der Serie noch in 20 weiteren Farben und mit 15 anderen Bezügen gibt, wird es aufwendiger und auch teurer, für jedes Sofa einen ansprechenden Text zu schreiben. Angesichts dessen kann man leicht auf die Idee kommen, dass gute Inhalte sich idealerweise auf Knopfdruck produzieren lassen sollten. Genau darauf haben sich Unternehmen wie Arria aus Großbritannien, welches als Pionier auf dem Gebiet gilt, sowie hierzulande beispielsweise AX Semantics aus Stuttgart oder Retresco aus Berlin spezialisiert.

Aus Daten und künstlicher Intelligenz werden Texte in natürlicher Sprache

Die Lösungsansätze für die Lieferung solch hochwertiger Inhalte fußen auf „Natural Language Generation“, kurz NLG. Übersetzt bedeutet dies in etwa „natürliche Textgenerierung / automatische Texterstellung“. Hierbei handelt es sich um einen Teilbereich der Computerlinguistik und eine besondere Form künstlicher Intelligenz (KI). 

Die KI wandelt sogenannte strukturierte Daten in Texte um, die letztlich so klingen, als wenn sie ein menschlicher Autor verfasst hätte. Bei AX Semantics heißt das entsprechende Tool „NLG Cloud“, Retrecsos Variante trägt den Namen „Textengine“. Frank Feulner, Chief Business Development Officer bei AX Semantics, erklärt die Funktionsweise genauer: „Um zu wissen, was sie sagen darf, beobachtet die Plattform die Schreibe unserer Nutzer. In einer Web UI [webbasierte Anwendung, die sich via Browser bedienen lässt, Anm. d. Red.] geben diese ein kleines Set an Beispieltexten ein und annotieren es, bis die Plattform die Mechanismen versteht, die diese Texte gestaltet haben. Anschließend schickt man ihr nur noch Daten und innerhalb von ca. 100 Millisekunden kommt ein Text zurück.“ Der Vorgang der Annotation umfasst hier etwa die Anreicherung mit Synonymen, aber auch das Einstellen grammatischer Parameter. 

Damit das überhaupt funktioniert, müssen die Daten bestimmte Voraussetzungen erfüllen.  Es werden aussagekräftige Fakten zum Produkt benötigt: „Die Informationen, die Sie auf dem Rücken der Verpackung finden, sind üblicherweise das, was AX zum Texten braucht“, erläutert Frank Feulner. Um eine gute Qualität der Texte zu erzielen, gilt laut Fabian Michel, Communications Manager bei Retresco: „Je mehr Daten bereitstehen, desto umfangreicher und vielfältiger wird der daraus entstehende Text. Bezogen auf den E-Commerce werden also möglichst spezifische Eigenschaften des zu beschreibenden Produkts zur Textgenerierung benötigt, wie Angaben zu Größe, Farbe, Marke oder Preis.“

Der Nutzer trainiert die Maschine

Wer glaubt, dass Texter, Redakteure oder Content Manager nun nicht mehr notwendig sind, irrt. So bleibt die Kontrolle über die Textproduktion stets beim entsprechenden Shop-Betreiber. Einen erhöhten Personalbedarf gebe es hier laut Retresco nicht, allerdings benötigt ein Nutzer sehr gute sprachliche und darüber hinaus einige technische Fertigkeiten: Damit die Maschine mit den strukturierten Daten korrekt arbeitet, muss dieser sie zunächst trainieren und eine Art Textvorlage erstellen.

„Mittels eines ihr im Vorfeld beigebrachten Wortschatzes und des Satz- und Phrasenbaukastens wandelt unsere Software strukturierte Daten in passende Sätze um, die sinnvoll miteinander verknüpft einen vollständigen Text ergeben“, führt Fabian Michel dazu aus. „Die Bedingungen für den Einsatz, unter welchen Umständen eine jeweilige Aussage formuliert werden soll, werden der Soft ware vorab beigebracht.“ Und hierfür sollte sich der Benutzer mit allen Regeln der Textkunst auskennen, auch wenn bzw. gerade weil die Maschine selbstständig grammatische Regeln kennt und berücksichtigt. Je nach Datenlage sowie Ausprägung und Vorhandensein der Daten kann die Maschine dann anhand des Templates die passende Formulierung auswählen und den Text zusammensetzen.

Das Tool textengine.io von Retresco / Bild: Retresco

Damit letztlich nicht jeder Text gleich klingt, können die Tools teilweise auch Varianz erzeugen ‒ sei es durch die unterschiedlich ausgeprägten Daten oder auch mithilfe ähnlicher Phrasen, Synonyme oder eines veränderten Satzbaus. Auch verfügt AX beispielsweise über Algorithmen, mit denen Art und Anzahl von Keywords definiert werden können.

Mit AX Semantics erstellter Text. Die rot markierten Felder zeigen an, wann und wie ein Datenwert im Text verwendet wurde. / Bild: AX Semantics

Schneller und konsistenter Content

Durch die schablonenartigen Templates, die mit Daten angereichert werden, ist es nicht nötig, jedes Mal einen komplett neuen Text zu einer Produktvariante zu schreiben. Einerseits lässt sich Content so schneller produzieren. Andererseits gestaltet es sich einfacher, eine konsistente Kommunikation der Marke und des Shops zu verwirklichen und diese an die jeweilige Zielgruppe anzupassen. So können etwa einheitliche Schreibweisen zuvor festgelegt werden. Auch Tippfehler haben wenig Chancen und lassen sich im Zweifel gleich in vielen Texte auf einmal beheben.

Die Einbindung in den Online-Shop funktioniert in der Regel über Schnittstellen (APIs), sodass sich ein Datenaustausch bzw. -abgleich gut realisieren lässt. Die Textmaschine von AX wird in der Regel über eine solche Schnittstelle an Produktinformations- (PIM) bzw. Content-Management-Systeme (CMS) angebunden. „Das PIM dient als Datenquelle und bestimmt, wann geschrieben wird ‒ Ausspielkanal ist natürlich das CMS. Das mag kompliziert klingen, aber eine IT braucht im Schnitt einen halben Personentag, um eine Anbindung an AX Semantics zu realisieren“, erläutert Frank Feulner. Auch Retrescos Tool kann per API ins Kundensystem integriert werden. Produkte lassen sich laut Fabian Michel letztlich auch in Echtzeit im Shop listen und gleichzeitig mit suchmaschinenrelevantem Content versehen. Dies ist etwa für die Hervorhebung saisonaler Aktionen ein praktisches Feature. 

Neben der vereinfachten Erstellung von Produktbeschreibungen kann der E-Commerce auch davon profitieren, dass die Technologie eine persönliche Kundenansprache vereinfacht: Auf Basis demographischer Daten lasse sich, so Retresco, eine individualisierte Ansprache über den jeweils gewünschten Ausgabekanal generieren.

Ideal für mehrsprachige Inhalte

Lohnenswert sind die NLG-Tools auch dann, wenn es komplexere Produkte mit hochwertigen Inhalten auszustatten gilt. „Spannend finde ich immer die Fälle, in denen Produkte erklärungsbedürftig sind, und der Nutzer eigentlich eine Fachberatung braucht. Da kann es schon einiges ausmachen, wenn ein Text einfach nochmal deutlich sagt: ‚Ja, diese Jacke ist wasserdicht‘, Ja, diese Schraube trägt deinen Küchenschrank‘ und ‚Ja, dieser Dübel darf in Hohlräume‘“, führt Frank Feulner dazu aus. 

Grundsätzlich biete eine solche Textsoftware jedem Händler Vorteile, der seine Produkte einigermaßen gut in Daten abgebildet habe. Und je mehr, desto besser: „Besonders große Effekte sehen wir, wenn mal eine vierstellige Zahl an Produkten da ist oder wenn das Unternehmen in mehreren Ländern aktiv ist und daher mehr Sprachen braucht“, so Frank Feulner. Die Texte lassen sich nämlich auch gleich in mehreren Sprachen erzeugen, bei AX derzeit beispielsweise in 110 verschiedenen, bei Retresco via Textengine in Deutsch, Englisch, Niederländisch, Französisch und bald auch Italienisch. Grundsätzlich sei es möglich, Texte in beinahe jeder weiteren Sprache zu erzeugen.

Beispiel für Texte in unterschiedlichen Sprachen, denen dieselben Daten zugrunde liegen / Bild: AX Semantics

So hoch ist der Aufwand

Damit Nutzer die Textmaschinen selbst erfolgreich bedienen können, bieten die Betreiber Schulungen an. „Mittlerweile dauert es knapp 90 Minuten, bis jemand die ersten Schritte in der Plattform selbstständig machen kann. Teams, bei denen es richtig gut anläuft , haben ihre ersten Texte teils schon in wenigen Tagen online gebracht“, so Frank Feulner. Er rät aber auch dazu, erst einmal mit einer minimalen Texteversion online zu gehen und der Plattform dann nach und nach mehr über das Sortiment beizubringen. „Man kann ja alle seine Artikel jederzeit wieder generieren“, so der Experte ‒ und müsse somit keine kostbare Zeit bis zur Markteinführung verschenken.

Pro Monat zahlt man für die Nutzung des AX-Tools im Basis-Paket 279 Euro und 8 Cent pro Text. Für 159 Euro gibt es zusätzlichen Support und Beratung zu möglichen Erfolgsfaktoren, die man im eigenen Fall berücksichtigen könne. Auch komplette Aufträge setzt das Unternehmen um. Restresco hat seinerseits mit textengine.io zum einen eine Self-Service-Plattform im Portfolio, die „mithilfe unseres Onboardings auch jedem Nicht-Entwickler das selbständige Generieren von Texten ermöglicht“.

Zum anderen steht ein Managed Service zur Auswahl, bei dem ebenfalls individuelle NLG-Projekte für Auftraggeber umgesetzt werden. So könnten Kunden ein auf ihre Bedürfnisse abgestimmtes Lizenzmodell nutzen: „NLG-Projekte sind daher für große wie kleine E-Commerce-Unternehmen realisierbar“, so Fabian Michel. Der konkrete Zeit- und Kostenaufwand sei dabei abhängig von den jeweiligen Wünschen des Kunden.

Inhalte als Segen, nicht als Last

Mehrere große Händler nutzen solche Content Tools bereits, darunter etwa Otto, Euronics, Cyberport oder Home24, aber auch kleinere Unternehmen wie Barado. Bei Home24 zeigte sich beispielsweise in einer Case Study von AX Semantics, dass es dank der Texterstellung via NLG Cloud 20 Tage weniger dauerte, um eine neue Sprache hinzuzufügen, dass die Conversions auf dem Portal um 21 Prozent zunahmen und dass die Textproduktion um 150 Prozent gesteigert werden konnte. Simon Pokorny, Leiter SEO bei Home24, erklärt dazu: „Die Beschleunigung des Prozesses zur Erstellung von Inhalten war ein großer Gewinn für uns, da wir Markteinführungsprozesse massiv verkürzt haben. Außerdem haben wir begonnen, Inhalte als Segen und nicht als Last zu erkennen.“

Die Kemmler Baustoffe GmbH habe sich damals vor allem wegen der großen Menge an Artikeln für AX Semantics entschieden, berichtet eine Sprecherin: „Wir haben ca. 200.000 Artikel online, und diese einzeln zu betexten, würde sehr lange dauern. Mit AX Semantics werden viele Artikel auf einen Schlag betextet. Außerdem sind die mit AX erzeugten Texte dann einheitlich aufgebaut und schön formatiert.“ Auch Otto-Tochter Empiriecom verwendet die Self-Service-Plattform zur automatischen Erstellung von Produktbeschreibungen. 

Zahlreiche weitere Einsatzbereiche

Konversation via NLG / Bild: AX Semantics

„Dank unserer Lösung ist der Dienstleister in der Lage, den Aufwand zur Betextung von Produkten um 91 Prozent zu reduzieren“, erklärt Fabian Michel. Und auch in anderen Online-Branchen finden die Tools Verwendung. So nutzt etwa Immoscout Retrescos Textengine zur automatisierten Erstellung von Immobilien-Exposés. Weiter wird die Maschine auch zur Beschreibung von Hotel- und Reiseangeboten im Tourismus, zur Erstellung von Fonds-Reports oder für Service-Chatbots sowie im Finanzsektor oder zur Sportberichterstattung eingesetzt. „Grundsätzlich ist der Einsatz der Textgenerierung daher in jedem Bereich möglich, in dem in irgendeiner Form standardisiert kommuniziert werden möchte und die notwendigen Daten vorliegen, um dies zu tun“, resümiert Fabian Michel.

Auch die Einsatzbereiche von AX Semantics reichen über die Erstellung von Produktbeschreibungen hinaus. So wird deren KI-Tool auch für journalistische Zwecke genutzt: Bei der Stuttgarter Zeitung gibt es online das sogenannte Feinstaubradar – eine interaktive Live-Karte zur Feinstaubbelastung in und um Stuttgart. Darunter können für die gewünschte Region auch ausformulierte Feinstaubberichte angefordert werden. Der Nutzer wählt seinen Bezirk und kurz darauf öffnet sich der passende Artikel auf einer extra Unterseite – inklusive Headline, Subline, Teaser und Artikelfoto. Unter der Meldung findet sich auch ein entsprechender Hinweis: „Dieser Text wurde automatisiert erstellt – und zwar auf Grundlage von Messwerten des OK Lab Stuttgart sowie Vorhersagedaten von Kachelmannwetter.“

Feinstaub-Livekarte der Stuttgarter Zeitung / Screenshot Stuttgarter Zeitung

Generierter Feinstaub-Bericht / Screenshot Stuttgarter Zeitung

Theoretisch können Textmaschinen darüber hinaus auch in der Industrie automatisch Fehlermeldungen oder in der Logistik unterschiedliche Berichte generieren. In Bezug auf personalisierte Texte und Konversationen in Echtzeit sei zudem derzeit bereits vieles möglich und werde auch in die Praxis umgesetzt, so Frank Feulner: „Die Ansprache lässt sich an Alter, Geschlecht oder Ort anpassen, an Kontexte wie das Wetter vor Ort und den lokalen Veranstaltungskalender, aber auch an Verhaltensfaktoren wie die mögliche Kaufabsicht und die Frage, ob man den Kunden upsellen, cross-sellen, reaktivieren oder neu gewinnen möchte. Hier sind die Möglichkeiten schier unbegrenzt.“

Dieser Text erschien erstmals im OnlinehändlerMagazin in der Ausgabe Q4/2019. Die Online-Vorabversion (erstmals online veröffetlicht am 04.11.2019) wurde später komplettiert.

Über die Autorin

Hanna Behn
Hanna Behn Expertin für: Usability

Hanna fand Anfang 2019 ins Team der OnlinehändlerNews. Sie war mehrere Jahre journalistisch im Bereich Versicherungen unterwegs, dann entdeckte sie als Redakteurin für Ratgeber- und Produkttexte die E-Commerce-Branche für sich. Als Design-Liebhaberin und Germanistin hat sie nutzerfreundlich gestaltete Online-Shops mit gutem Content besonders gern.

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