Interview mit Shopifys Head-of-Blockchain Alex Danco

„NFTs sind kein Produkt, sondern der Vibe-Check an der Tür“

Veröffentlicht: 02.11.2022 | Geschrieben von: Ricarda Eichler | Letzte Aktualisierung: 02.11.2022
Illustration von Smartphone mit hinterlegter Blockchain

Wer in einem exklusiven Louis-Vuitton-Laden in Mailand einkauft und diesen bereits mit einer Louis-Vuitton-Tasche betritt, wird vom Verkaufspersonal wahrscheinlich anders behandelt, als jemand mit einer Tasche einer Konkurrenz-Marke. Ein solcher sogenannter Vibe-Check – eine kurze Überprüfung der Stimmung eines potenziellen Kunden – kann von Händlern genutzt werden, um Kundinnen und Kunden vorab einzuordnen und ihnen entweder mit entsprechender Beratung oder exklusiven Angeboten bestmöglich behilflich zu sein.

Im E-Commerce gab es für Händler bisher nur bedingt Möglichkeiten, Kunden vorab einzuordnen. Alex Danco, Head-of-Blockchain beim Shopsystem-Anbieter Shopify, erklärt im Interview mit OnlinehändlerNews, wie NFTs künftig helfen können, diese Lücke zu schließen. Das Konzept „Tokengated Commerce“ soll Inhabern von NFTs den Zutritt zu einem völlig neuen E-Commerce bieten. 

Shopify möchte die „bestmögliche Version des Internets“

OnlinehändlerNews: Sie haben vor 2,5  Jahren angefangen, für Shopify zu arbeiten. Wie war damals der Stand der Dinge in Bezug auf Blockchain-Technologie? Welche Innovationen konnten Sie seitdem anstoßen?

Alex Danco: Als ich bei Shopify anfing, fiel mir direkt auf, dass es eine Menge Leute gab, die damals schon sehr Krypto-affin waren und genau verstanden hatten, worum es dabei ging. Gleichzeitig gab es allerdings keine treibende Kraft, die, abgesehen von neuen Payment-Lösungen, eine Richtung vorgegeben hat, für die wir dieses Wissen nutzen könnten. 

Krypto-Zahlungen spielen für Shopify schon seit einigen Jahren eine Rolle. App-Entwickler:innen bauen Zahlungs-Gateways, um den Shopify-Händlern zu ermöglichen, Krypto-Zahlungen anzunehmen. Wir bieten wiederum die Plattform für diese Transaktionen und den Krypto-basierten Handel. Als im vergangenen Jahr NFTs immer präsenter wurden, hat uns das richtig motiviert. Wir wollten herausfinden, ob NFTs etwas sind, mit dem wir das Erlebnis für unsere Merchants noch besser machen können und ob sie Bestandteil dessen sein sollten, was man „the best Version of the Internet“ nennt. Mittlerweile wissen wir, dass dem so ist, auch wenn wir etwas Zeit brauchten, um herauszufinden, warum. 

Shopify bietet Händlern eine breite Vielfalt an Zahlungsmethoden an, die sie in ihre Shops integrieren können. Soweit ich weiß, gehört die direkte Zahlung mit Kryptowährungen bisher nicht dazu. Möglich gemacht wird diese jedoch über Apps von Drittanbietern. Ist weiterhin geplant, auf Drittanbieter zu setzen oder arbeitet Shopify daran, Kryptowährungen direkt als Zahlungsmethode zu integrieren?

Unsere Product Roadmap können wir zwar nicht teilen, ich kann aber sagen, dass wir planen, weiterhin eng mit App-Entwickler:innen zusammenzuarbeiten. Externe Entwickler:innen sind ein wichtiger Teil der Shopify-Community und unser Ziel ist es, ihre Mitarbeit für sie so unkompliziert wie möglich zu gestalten, damit diese Web3-Anbindungen bauen können, von denen sowohl Kund:innen als auch Händler profitieren. 

NFTs als Ticket zu einer neuen Welt

Was versteht man unter Tokegated Commerce und wer kann sich an dieser Form des Handels denn beteiligen?

Am Anfang stand eine Beobachtung: Es gibt eine neue Art von Internetnutzer:innen, die man vereinfacht „Menschen mit Wallet“ nennen kann. Basierend darauf ist Tokengated Commerce entstanden. Menschen mit Wallet verhalten sich nämlich auf eine ganz bestimmte Weise: Ihr Ziel ist es, ihr Wallet mit Dingen zu verbinden. Zum Beispiel mit „DApps“, also dezentralen Apps, oder NFT-Marktplätzen. Und dann gibt es den magischen Moment, in dem sich das Wallet verbindet und dadurch ein Portal in eine neue Welt geöffnet wird. 

Denn die Dinge im Wallet haben eine Bedeutung: Tauchen wir an einem neuen Ort im Internet auf, zeigen sie, wer wir sind. Und genau um diesen Moment geht es beim Tokengated Commerce. Stellen wir uns vor, wir besuchen einen Shop, verbinden unser Wallet und plötzlich verändert sich der Shop, basierend auf den NFTs im Wallet. Das ist nur dank Tokengating möglich. Der Token dient dabei als Trägermedium, ähnlich einer Datei oder einer physischen Konzertkarte.

Wurde der Begriff „Tokengated Commerce“ von Shopify etabliert?

Tokengating ist ein Begriff, den es schon länger in der Branche gibt. Raj Kallem, Head of Development beim 1687 Club, einem NFT-basierten Mitglieder-Club, definiert Tokengating als „(...) eine Möglichkeit, den Wert eines NFT zu erhöhen, indem dem Inhaber zusätzlich zum digitalen Token exklusiver Zugang zu einer Community, zu Inhalten oder sogar zu physischen Produkten gewährt wird”. Tokengated Commerce nennen wir bei Shopify dieses Verhalten. 

Gewähren nur Non-Fungible Token (NFT) Zugang zu diesen exklusiven Communities oder würden auch Fungible-Token, wie beispielsweise der Bitcoin, genügen?

NFTs haben nicht die gleiche Bedeutung wie andere Token im Internet. NFTs vermitteln ihren Besitzer:innen „fit in, and stand out”. Man fügt sich ein, weil man Teil einer Community ist und man hebt sich hervor, weil man dieses eine ganz bestimmte NFT aus einer Kollektion hat. Ein Online-Shop konnte bisher keinen Vibe-Check an der Tür machen (also die Stimmung eines Kunden oder einer Kundin interpretieren und darauf reagieren). 

Anders als in einem Geschäft können Mitarbeitende Kund:innen nicht basierend auf dem Auftreten Empfehlungen aussprechen. Die zwischenmenschliche Ebene fehlt. Allerdings können NFTs sie durch ihre Bedeutung ersetzen. Anderen Token fehlt diese Bedeutung „fit in, and stand out” und damit auch die Wirkung von NFTs.

Wie NFTs dabei helfen die Persönlichkeit des Besitzers widerzuspiegeln

Viele Menschen verstehen den Zweck von NFTs nicht wirklich. Könnten diese exklusiven Shop-Communities das ändern?

Mit Sicherheit. Denn Tokengated Commerce schreibt NFTs einen Zweck zu, der für viele Menschen einfacher zu verstehen ist. Hier noch ein Beispiel, das dem Verständnis helfen kann: Wenn man im Flagship-Store einer Marke einkaufen geht, dann bemerkt man schnell, wie viel Mühe in das Gesamterlebnis gesteckt wurde: nicht nur in die Einrichtung oder die Atmosphäre, sondern vor allem auch in die Interaktion mit den Kund:innen. Das können schon Kleinigkeiten sein, wie das Erkennen eines T-Shirts und ein anerkennendes Nicken oder ein Rabatt, weil man sich als Teil der Community identifiziert hat. 

Tokengated Commerce bringt solche Erlebnisse in die digitale Welt. Das ist die Beziehung zwischen NFTs und dem Handel: NFTs sind kein Ergebnis des Handels, sondern Input für den Prozess des Handelns. Sie sind keine Art von Produkt, sondern stellen etwas dar, nämlich im weitesten Sinne die Persönlichkeit der Konsument:innen. Es hat klare Vorteile, NFT-Kund:in zu sein. Denn es gibt damit die standardisierte Möglichkeit, eine Empfindung oder eine Stimmung über den Computer oder das Smartphone zu transportieren. Und das auf eine Art und Weise, bei der dieses Gefühl nicht nur originalgetreu erhalten bleibt und weitergeführt wird, sondern auch für andere Dinge nutzbar ist, die über das Internet zugänglich sind. 

Wenn Kund:innen mit ihrem Wallet einen Shop öffnen, dann sollten alle Inhalte ihrer Wallet und all die dazugehörigen Empfindungen, die sie damit vermitteln möchten, zugänglich für den Shop und unabhängige Entwickler:innen sein. 

Mit welcher Art von Shops wird Tokengated Commerce aktuell getestet? Welcher Art von Shops würden Sie Tokegated Commerce empfehlen?

Aktuell sehen wir, dass sowohl Web3-Brands als auch traditionelle Marken bereits Tokegating in ihren Shops einsetzen. Dafür nutzen sie momentan Partner-Apps, die ihr (online-)Schaufenster durch Tokegating zum Leben erwecken. Es ist eine große Freude, mit diesen Partner-Apps von Drittanbietern zusammenzuarbeiten und wir bauen sehr gezielt Anwendungen mit ihnen zusammen. Darüber hinaus haben wir vor Kurzem auch eine neue eigene Mobile-App für Tokegated Commerce angekündigt: den Gated Merch Shop (kurz „GM Shop”) [mit dem Produkt GM Shop bietet Shopify Händlern die Möglichkeit, einen eigenen Tokengated Shop exklusiv für Besitzer bestimmter NFTs aufzubauen, Anm. d. Red.].

Das gesamte System ist sehr auf das Metaverse und digitale Güter ausgelegt, dennoch müssen Kundinnen und Kunden nicht unbedingt mit Krypto zahlen und Sie empfehlen Tokengated Commerce auch für POS-Aktivitäten. Widerspricht sich das nicht?

Bei Tokengated Commerce geht es weniger um Zahlungen, sondern mehr um das Erlebnis, das Marken ihren Fans und Kund:innen mit NFTs bieten können. Das gilt besonders für persönliche Erlebnisse. Wir sind überzeugt, dass Einkaufen in physischen Geschäften gerade ein Comeback erlebt – in der ersten Jahreshälfte 2022 sind die Verkäufe von Händlern über Shopify's POS-System um fast 60 % gestiegen. Deshalb werden besonders Live-Erlebnisse für NFT-Besitzer:innen es Marken ermöglichen, die Verbindung zu ihren Kund:innen zu stärken wie nie zuvor.

„99 Prozent der Apps warten nur darauf, entwickelt zu werden“

Was ist Ihre Zukunftsvision für Tokengated Commerce?

Alex Danco von Shopify

Ich bin besonders gespannt darauf, wie der Tokengated Commerce Marken dabei helfen wird, sich gegenseitig zu unterstützen. Dabei stelle ich mir unter Unterstützung eine Art von Kollaboration wie beispielsweise in der Musikwelt vor, bei der bekannte Künstler:innen neue, unbekannte Talente in ihr Programm aufnehmen oder Elemente ihrer Kunst vermischen.

Wenn wir in zehn Jahren auf 2022 zurückschauen und uns fragen „Welche Lösung war die ganze Zeit direkt vor unserer Nase?”, dann glaube ich, eine Antwort wird sein, dass kollaboratives Gating extrem vereinfacht, wie Marken miteinander kollaborieren und sich gegenseitig unterstützen. 

Diese Vereinfachung bedeutet auch, dass Community-Commerce an Beliebtheit gewinnen wird. Zukünftig wird es bei Shopify eine neue Generation von Apps geben, die Storefronts ganz neue Möglichkeiten bieten. Heute schon haben wir vier großartige Tokengating-Apps – PERC Engage, Manifold, Shopthru und Lit Protocol – die Tokengated Commerce für Händler möglich machen. Viele weitere, die aktuell noch in Arbeit sind, werden bald folgen. Falls App-Entwickler:innen Teil dieser neuen Bewegung werden möchten, dann kann ich versichern, wir haben aktuell nur an etwa ein Prozent der möglichen Apps gedacht. 99 Prozent warten nur darauf, entwickelt zu werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Über die Autorin

Ricarda Eichler
Ricarda Eichler Expertin für: Nachhaltigkeit

Ricarda ist im Juli 2021 als Redakteurin zum OHN-Team gestoßen. Zuvor war sie im Bereich Marketing und Promotion für den Einzelhandel tätig. Das Schreiben hat sie schon immer fasziniert und so fand sie über Film- und Serienrezensionen schließlich den Einstieg in die Redaktionswelt.

Sie haben Fragen oder Anregungen?

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Kommentare  

#1 lux 2022-11-03 11:14
Klingt interessant, aber auch nach dem was Datenschutzgese tzgebung nicht ohne Grund versucht zu verhindern.
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