„Kritische Masse“ noch nicht erreicht

Metaverse – Zwischen Goldgräberstimmung und fehlendem Interesse

Veröffentlicht: 18.01.2023 | Geschrieben von: Christoph Pech | Letzte Aktualisierung: 20.01.2023
Metaverse

Mit technologischen Revolutionen ist es ja immer so eine Sache. Zu Beginn glaubt von einigen Eingeweihten abgesehen niemand an den Erfolg, ist aber tatsächlich eine kritische Masse an Nutzern erreicht, ist die Lawine schon gar nicht mehr aufzuhalten. Computer waren früher so groß wie 3-Zimmer-Wohnungen – dass sie irgendwann Büros und Eigenheime erobern würden, erwartete zunächst niemand. Die ersten Smartphones waren Spielereien für Techies, heute haben wir alle eines in der Hosentasche. Facebook war zu Beginn eine Seite, auf der männliche Harvard-Studenten Kommilitoninnen bewerteten. Heute ist Facebook zwar nicht mehr so wichtig wie noch vor ein paar Jahren, soziale Netzwerke sind aber nach wie vor die wichtigsten Anlaufpunkte im Internet.

Die Revolution klappt nicht immer. Virtual Reality war in den 90ern ein Außenseiterding mit klobigen Riesenbrillen, das eine Randerscheinung blieb. Mittlerweile setzen zwar Gaming-Studios wie auch Handelsunternehmen auf Virtual Reality und Augmented Reality, wirklich angekommen sind die Technologien aber nach wie vor nicht. Die Einstiegshürde ist groß, größer als beim Smartphone oder bei Facebook. Der Nutzen wiegt die Kosten noch nicht auf. Ähnliches lässt sich vom Konzept des Metaverse sagen. Nicht erst, seitdem Mark Zuckerberg das Metaverse von Meta als das nächste große Ding angekündigt hat, wird das Konzept von immer mehr Unternehmen vorangetrieben. Doch bei den Nutzern hapert es häufig schon an der Antwort auf die Frage, was das Metaverse überhaupt ist und wofür es gut ist. Ob sich das in naher Zukunft ändert, ob die kritische Masse an Interessierten irgendwann erreicht wird, ist fraglich – und das hat gute Gründe.

Was ist das Metaverse?

Ganz zuvorderst herrscht bei vielen Menschen nach wie vor offenbar Unkenntnis darüber, worüber wir sprechen, wenn wir über das Metaverse sprechen. In der Media Consumer Survey 2022 von Deloitte räumen fast zwei Drittel (59 Prozent) der Befragten ein, nie vom Metaverse gehört zu haben bzw. gar nicht zu wissen, ob ihnen der Begriff bekannt ist. 64 Prozent geben an, kein Verständnis des Begriffs zu besitzen. Schon der Begriff an sich ist erklärungsbedürftig und da haben wir noch nicht über Zugang, Nutzungsmöglichkeit und Mehrwert gesprochen.

Es ist eigentlich irreführend, von „dem“ Metaverse zu sprechen, denn es gibt nicht das eine, sondern schon jetzt sehr viele Metaversen unterschiedlicher Anbieter. Nachdem Facebook-Chef Mark Zuckerberg das eigene Metaverse ankündigte und den Mutterkonzern Meta gründete, bekam die Idee auch öffentlich Aufmerksamkeit, was dazu führte, dass vielfach der Trugschluss entstanden ist, Meta baue nun das Metaverse

 

Ein Metaverse ist eine Art virtuelle Erweiterung des Internets – eine virtuelle Welt mit eigener Wirtschaft und eigener Währung, in der Menschen als Avatare „leben“. Wer den auf dem Roman von Ernest Cline basierenden Spielberg-Film „Ready Player One“ gesehen hat, bekommt eine recht gute Vorstellung davon, wie ein Metaverse aussehen kann. Geprägt hat den Begriff Neil Stephenson 1992 im Science-Fiction-Roman „Snow Crash“.

Heute schon (virtuelle) Realität?

Second Life

Aber gibt es heute schon Angebote, die einem „echten“ Metaverse nahekommen? Das liegt wohl im Auge des Betrachters. Einige werden sich etwa noch an „Second Life“ erinnern. Das startete schon 2003 und hält sich bis heute. Über 70 Millionen registrierte Accounts zählt der virtuelle Spielplatz. Unklar ist allerdings, wie viele davon auch aktiv genutzt werden. Second Life war der erste erfolgreiche Versuch, ein Metaverse zu etablieren, ein wirklicher Game Changer ist es aber nie geworden und wird stets ignoriert, wenn heute über das Konzept diskutiert wird.

Ein Mann, der sich mit einem vielbeachteten Essay zum Thema einen Namen gemacht hat, ist der ehemalige Amazon-Manager Matthew Ball. Balls Essay „The Metaverse: What It Is, Where to Find it, and Who Will Build It“ soll Mark Zuckerberg so beeindruckt haben, dass es Pflichtlektüre im Team von Meta sein soll. Für Ball ist die Gaming-Plattform Roblox derzeit das beste Beispiel für ein Metaverse, wie er im ARD-Interview erklärte: „Dort hat man über alle Ebenen hinweg eine einzige Identität, ein fortbestehendes Netzwerk an Freunden, einen immer gleichen Zugang sowie eine gemeinsame Währung. Das kommt der Idee des Metaverse zur Zeit vermutlich am nächsten.“

Ready Player One

Online-Spiele mögen die Metaverse-Idee nutzen, wichtig ist dabei aber nicht der Spiele-Aspekt, sondern die Verlagerung von Tätigkeiten und Events in die virtuelle Welt. In Fortnite etwa finden Konzerte statt, bei denen die Spieler zusammenkommen und lauschen statt sich über den Haufen zu schießen. Das Spiel wird in diesen Momenten aber zweckentfremdet, ein Metaverse ist Fortnite deswegen nicht. Der verstorbene Rapper Notorious B.I.G. gab im Dezember ein Konzert in Horizon Worlds, dem Metaverse von Meta.

 

Kommunikation, Shopping, Arbeit

„Das Metaverse ist eine Erweiterung unseres heutigen Internet. Es geht nicht um den Super-Computer in unserer Hosentasche oder dass wir dauernd mit dem Netz verbunden sind. Es geht darum, dass wir mehr und mehr Zeit, Freizeit wie Arbeit in virtuellen Welten und Simulationen verbringen“, sagt Ball. Die virtuelle Welt soll eine Alternative zur realen sein und dafür muss sie entsprechende Inhalte bieten. „Voraussetzung des Erfolgs ist aber eben, dass die Geschäftsmodelle Leistungen mit echtem Mehrwert bieten, für den es auch eine Zahlungsbereitschaft der Kundinnen und Kunden gibt“, wirft Prof. Dr. Sabine Baumann ein. Baumann ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Jade Hochschule und beschäftigt sich sehr eingehend mit dem Konzept des Metaverse.

Doch was für Leistungen sind das? Was findet man derzeit in den Metaversen? Kaufland und H&M haben bereits eigene Inseln im Nintendo-Hit „Animal Crossing“, Ralph Lauren und Nike führen Shops in „Roblox“, Walmart hat sich Marken für den Start ins Metaverse schützen lassen. Adidas hat Millionen Dollar für virtuelle Grundstücke in The Sandbox ausgegeben, Gucci soll schon eine virtuelle Handtasche für über 4.000 Dollar verkauft haben. „Metaverse ist – nach dem Scheitern von Second Life in den frühen 2000ern – der nächste und sehr ernsthafte Versuch, eine volldigitale Welt zu erschaffen“, sagt Martin Schulte, Partner und Konsumgüter-Experte bei Oliver Wyman, gegenüber dem Handelsblatt. Morgan Stanley prognostiziert gar, dass allein Luxusmarken im Jahr 2023 50 Milliarden Dollar Umsatz im Metaverse machen werden.

Bislang scheint es allerdings so, als würden Experten und Unternehmen die Rechnung ohne die Nutzer machen. Für eine im Dezember 2022 veröffentlichte Studie befragte Capgemini knapp 7.500 Konsumenten, die bereits am Metaverse interessiert sind, wie sie dieses gern nutzen würden. 43 Prozent wollen demnach mit Freunden interagieren, 39 Prozent mit Arbeitskollegen. „Metaverse-Commerce“ und Einkauf ist demnach gerade noch für 28 Prozent der Befragten interessant. Wohlgemerkt solcher, die ohnehin Interesse am Konzept zeigen.

Um erfolgreich zu sein, muss ein Metaverse „einen klaren Mehrwert gegenüber Anwendungen der realen Welt bieten“, sagt Sabine Baumann und erklärt das so: „Ein klarer Mehrwert ist, wenn etwas besser, schneller oder kostengünstiger ist, als mit bisherigen Angeboten oder wenn Probleme gelöst werden, für die es bisher keine zufriedenstellende Lösung gab.“ Um als immersivere Variante des Internets dessen Vorzüge mit virtueller Realität so zu vereinen, dass die breite Gesellschaft erreicht wird, muss das Metaverse-Konzept allerdings mehr bieten als virtuelle Konzerte, virtuelle Bekleidung und lustige Avatare.

Wette auf die Zukunft

Bislang ist das Metaverse ein Versuchslabor, eine Wette auf die Zukunft. Viele Unternehmen versuchen, mit vielen Millionen Euro und Dollar, den Markt interessant zu machen, um dabei zu sein, wenn das Konzept richtig durchstartet – in der Hoffnung, dass es richtig durchstartet. Die Frage wird in den kommenden Jahren sein, wie man die Menschen abholt, wie man ihnen einen echten Mehrwert liefert. „Beim Internet war am Anfang auch nicht klar, was sich damit alles anstellen lässt und es gab nur wenige Nutzungsfelder, interessanterweise ähnliche wie im Metaverse, insbesondere Marketing. Auch für das Metaverse/die Metaverses müssen wir erst entdecken, welche Potentiale es bietet“, so Baumann.

Wichtig für den Erfolg ist das schon angesprochene Erreichen einer „kritischen Masse“. Wie Sabine Baumann weiter erklärt: „Das geht zu Beginn recht langsam, da erstmal unterschiedliche Nutzer*innengruppen und Angebote zusammengebracht werden müssen.“ Ist die kritische Masse einmal erreicht, werden gute Angebote laut Baumann eine Sogwirkung entfalten. Matthew Ball schlägt in seinem Essay in eine ähnliche Kerbe und vergleicht die Entwicklung mit dem Durchbruch des Smartphones, für welchen Apples iPhone sorgte. Mobiles Internet gab es – etwa via WAP – schon viel früher, es brauchte aber einen Durchbruchsmoment für die Massentauglichkeit. Heute leben wir nicht nur mit Smartphones, das Konzept der mobilen Erreichbarkeit hat Gesellschaft, Handel und Industrie gleichermaßen transformiert.

Das Metaverse werde Ball zufolge einen ähnlichen Transformationsprozess anstoßen. Damit er Recht behält, müssen in den kommenden Jahren aber sowohl die Inhalte relevanter werden als auch die Einstiegshürden sinken. Smartphones passen nicht nur in die Hosentasche und sind überall dabei, sie können auch eine ganze Menge, was über bloßen Zeitvertreib hinausgeht. Egal, ob Kommunikation, Banking, Kalender, Mobilitätsplanung, Wecker, Babyphone oder GPS-Tracker – Smartphones haben sich durchgesetzt, weil sie universell einsetzbar sind. Metaverse-Konzepte müssen die Menschen überhaupt erst davon überzeugen, in die digitale Welt einzutauchen und sie relevant zu nutzen. Das Metaverse ist kein Nebenbei-Medium, keine eierlegende Wollmilch-Sau, kein Praxis- oder Convenience-Gewinn. Zumindest noch nicht.

Wo das Smartphone das Internet noch raus aus den Computern und rein in die echte Welt als ewigen Begleiter holte, geht das Metaverse den konsequenten Weg in eine digitale Zukunft. Digital Natives sind für Unternehmen an dieser Stelle die ersten Ansprechpartner und die Zielgruppe, die für den Rest als Influencer agieren muss. Das Smartphone hat den Durchbruch nicht geschafft, weil es Technologie-Narren abholte, sondern weil es all den Menschen, die mit digitaler Technologie bis dato nichts am Hut hatten, ein Angebot machte, das sie nicht ablehnen konnten. Ob das Metaverse das auch schafft, wird wohl noch nicht 2023 entschieden.

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Über den Autor

Christoph Pech
Christoph Pech Experte für: Digital Tech

Christoph ist seit 2016 Teil des OHN-Teams. In einem früheren Leben hat er Technik getestet und hat sich deswegen nicht zweimal bitten lassen, als es um die Verantwortung der Digital-Tech-Sparte ging. Digitale Politik, Augmented Reality und smarte KIs sind seine Themen, ganz besonders, wenn Amazon, Ebay, Otto und Co. diese auch noch zu E-Commerce-Themen machen. Darüber hinaus kümmert sich Christoph um den Youtube-Kanal.

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