Johannes Dornisch von intive im Interview

Mit Composable Commerce zu mehr Flexibilität im UX-Design

Veröffentlicht: 14.03.2023 | Geschrieben von: Ricarda Eichler | Letzte Aktualisierung: 14.03.2023
Menschen beim UX-Design

Das Entscheidende im Online-Handel sind oft nicht nur Preis und gute Lieferkonditionen, sondern auch, wie intuitiv ein Shop sich bedienen lässt. Die meisten Shops setzen dabei auf etablierte Shopsysteme wie Shopify und Co. Doch ein Trend, der mittlerweile zunehmend an Fahrt gewinnt, ist das so genannte Composable Commerce.

Johannes Dornisch ist Head of Design and Innovation Hub beim Softwareunternehmen intive. Im Interview erklärt er, welche Rolle UX-Design spielt und wie Händler den richtigen Weg für sich finden können.

Als Händler muss man vor allem seinen Markt und seine Kunden kennen

OnlinehändlerNews: Was ist wichtiger für einen Onlineshop: ein richtig geiles Design oder Funktionalität?

Johannes Dornisch: Das gehört beides zusammen. Ich bin großer Fan davon, nur das zu optimieren, was auch notwendig ist. Und da muss man zunächst fragen: Was ist das Ziel eines Onlineshops? In der Regel ist es, zu verkaufen. Also egal wie viel Zirkus man darum macht, dass die Landingpage gut aussieht – am Ende zählt die Kunderennerfahrung: also, dass man die Produkte leicht findet, die Produktbilder anschaulich sind und alle wichtigen Informationen bereitstehen. Danach spielt auch ein reibungsloser Check-out eine Rolle.

Sprich: der Userflow ist hier am Ende viel wichtiger als Design. Es kommt dabei aber auch darauf an, ob man im B2B oder B2C Bereich handelt. Ein Hugo Boss kann jetzt beispielsweise nicht nur auf eine detaillierte Produktinformationsseite achten, sondern muss auch die Marke ansprechend widerspiegeln. Letztlich muss man als Händler wissen, was sein Markt ist und wie es um die Erwartungen der Kunden bestellt ist.

Warum ist es denn so, dass Shops im B2B-Bereich eher funktional und fast schon langweilig gestaltet sind? Legen Unternehmen keinen Wert auf ansprechendes Design?

Gutes Design heißt nicht nur, dass es schön aussieht. Vielmehr geht es bei gutem Design darum, dass es auf meine Zielgruppe ausgerichtet ist und gut funktioniert. Und im B2B-Bereich ist das der größere Fokus: Es muss funktional und schnell sein. 

Für eine gute Usability ist Geschwindigkeit einfach enorm wichtig. Und wenn es schnell und einfach ist und der Kunde schnell findet, was er will, dann ist das perfekt so. 

Rechtliche Richtlinien müssen kein Showstopper fürs Design sein

Hat man in Anbetracht dessen als Designer dann noch Freiraum für kreative Gestaltung? Schließlich muss man neben Geschwindigkeit auch gewisse Standards in Sachen Aufbau und Produktseiten einhalten, um den Kunden nicht letztlich nicht zu verwirren.

Ich vergleiche das gerne mit einem Auto. In der Regel sind Autotüren alle relativ ähnlich und Kunden haben an diese auch eine gewisse Erwartungshaltung. Trotzdem hat man als Designer natürlich Freiheiten hinsichtlich des Designs. Es gibt ja beispielsweise auch diese Autos, bei denen sich die Türen nach oben öffnen.

Als Brand sollte man sich vorab fragen: Was erwarten meine Kunden und was genau ist mein Geschäftsmodell? Sind wir im Bereich Omnichannel, stationärer oder purer Onlinehandel? Was verkaufe ich, wer sind meine Kunden, und wer meine Wettbewerber?

Im Rahmen dieser Gegebenheiten kann man hinsichtlich des Designs dann schon experimentieren. Aber letztlich verkaufe ich natürlich Kinderbekleidung anders als beispielsweise Autos. 

In Deutschland gibt es viele rechtliche Richtlinien und informelle Standards, die eingehalten werden müssen – wie gelingt es im Rahmen dieser trotzdem hervorstechen? 

Ja, auf jeden Fall. Man muss sich natürlich mit diesen Themen auseinandersetzen. Beispielsweise die Cookie-Thematik: für die User Experience sind diese Pop-ups nicht unbedingt das Beste. Als Showstopper würde ich diese aber nicht bezeichnen.  

Die Einkaufserfahrung als Ganzes: Holistic Shopping Experience

Bei intive promotet ihr die sogenannte Holistic Shopping Experience. Was kann man sich unter diesem Begriff vorstellen? 

Bei der Holistic Shopping Experience geht es uns vor allem darum, dass eine gute Shop-Lösung die folgenden vier Elemente erfüllen muss: 

  1. Experience Thinking: Das bedeutet, dass wirklich jeder Mitarbeiter eines Unternehmens mitverantwortlich für die Customer Experience der Kunden ist. Also vom Entwickler, über den Hotline-Mitarbeiter bis zum Personal in der Filiale – alle tragen zur Gesamterfahrung bei.  
  2. Mobile-First: Es reicht heutzutage nicht mehr, seine Website einfach responsive zu gestalten oder seinen Produktkatalog in eine App zu übertragen. Denn Mobile ist nicht gleich Mobile. Marken müssen ganz genau sehen, wie der eigene Markt funktioniert und wie die Erwartungshaltungen der Kunden ist. Ein Shein hat hier beispielsweise einen fundamental anderen Ansatz als Obi.
  3. Optimization und Insights: Dabei geht es darum, Weiterentwicklungen kontinuierlich zu testen und zu sehen, was funktioniert und was nicht. 
  4. MACH und Composable Commerce: (MACH steht für Microservices-based, API-First, Cloud-native and Headless, Anm. d. Redaktion) Bei diesem aktuellen Trend geht es darum, dass man verschiedene Software-Bausteine miteinander kombinieren kann. Verschiedene Software-Provider haben sich hierfür zu einer Allianz zusammengeschlossen und darauf geeinigt, ihre Softwarekomponenten zueinander kompatibel zu gestalten. Das heißt für den Kunden, dass er sich dann die besten Lösungen für seine Ziele individuell zusammenstellen kann. 

Behindert dieser Ansatz nicht auf gewisse Weise den Wettbewerb der Softwareunternehmen untereinander?

Johannes Dornisch / intive

Im Gegensatz zum Composable Commerce steht der vorherige Ansatz monolithischer Systeme. Anbieter wie Shopware und Salesforce stehen dabei mit ihren Lösungen natürlich in Konkurrenz zueinander. Aber hier konnten Kunden letztlich nur zwischen One-Size-Fits-All-Lösungen wählen und mussten dabei praktisch immer irgendwo Kompromisse eingehen. 

Im Composable Commerce findet der Wettbewerb eher auf Service-Ebene statt

Mit dem Composable-Ansatz sind Kunden dagegen flexibler in der Gestaltung. Der Wettbewerb besteht natürlich weiterhin, aber er verschiebt sich eher auf die Service-Ebene. 

Anbieter setzen hier auf unterschiedliche Geschäftsmodelle oder Nischen. Sie bieten zwar ähnliche Services an, aber dann beispielsweise einmal für die Fashion-Branche und einmal für den Retail-Bereich. Man kann sich das wie viele kleine Fische in einem großen Teich vorstellen. Beim Monolithen-Ansatz beherrschte ein großer Fisch den Teich und sicherte sich die Beute. Doch jetzt kooperieren viele kleine Fische und jeder konzentriert sich auf seine Expertise. So gesehen profitieren die Unternehmen durchaus von der Kompatibilität zueinander.  

Können kleine Shops, die bisher alles über irgendein Shopsystem selbst gemanagt haben, im Composable Commerce eigenständig agieren? Oder führt hier kein Weg an einer Agentur vorbei?

Für die Orchestrierung der Komponenten braucht man schon einen Partner vom Fach. Für den kleinen Händler, der beispielsweise mit Einmachgläsern und selbstgemachten Marmeladen handelt, ist das vermutlich noch nicht das richtige. Das sind Komplettlösungen wie Shopify einfach sinnvoller. 

Marken, die sich dennoch an den Composable Commerce wagen wollen, wenden sich beispielsweise an Unternehmen wie uns bei intive. Das Orchestrieren und Verwalten von Softwarekomponenten ist unser Kerngeschäft. Wir sind auch direkter Partner der MACH-Alliance. Und worauf wir auch großen Wert legen, ist neben der Customer Experience auch die User Experience – also dass neben dem Endkunden auch die Mitarbeitenden mit dem Produkt gut zurechtkommen.

Monolithische Systeme sind wie ein Berg

Kannst du euer Leistungsspektrum an einem Use Case konkretisieren?

Wir sind zum Beispiel für eine große europäische Elektronikhandelskette in Polen tätig. Das Unternehmen ist mit dem Anliegen an uns herangetreten, dass sie ein neues Composable-Shopsystem suchen. Das Unternehmen hat in Polen 60 Filialen und versendet aus diesen. Der Kunde wollte dabei keine Eigenentwicklungen, aber auch nicht hin zu den monolithischen Systemen. 

Daher mussten wir hier auf ein Composable-System übergehen. So lassen sich verschiedene Lösungen kombinieren und bei Bedarf einfach austauschen. Ich vergleiche die monolithischen Systeme in Anbetracht dessen immer mit einem Berg: bei Änderungswünschen ist es ähnlich aufwendig, wie einen Tunnel durch diesen auszugraben. Derartige Umstände hat man bei Composable einfach nicht. 

Wir haben dann zunächst mit dem Kunden zusammen analysiert, was sind Nutzeranforderungen, was sind die Business-seitigen Anforderungen, welche IT-Anforderungen gibt es? Dann haben wir einen Plan für die Orchestrierung passender Komponenten geschaffen und sind momentan in der Implementierung dessen. 

Das ist dann ein Prozess, der euch als Partner langfristig an den Kunden bindet, richtig?

Also die Grundidee ist schon, dass die Kunden ihre Systeme letztlich eigenständig managen können. Wir stehen bei Bedarf aber als langfristiger Partner zur Verfügung. So betreuen wir beispielsweise Vorwerk bereits seit 2014. Bedarf an unseren Leistungen kommt dabei immer dann auf, wenn sich Anforderungen ändern.

Aber grundlegend ist es das Ziel, dass Kunden die neu implementierte Software eigenständig nutzen und ihr Kerngeschäft, also den Handel, darüber ausüben können. Wir übernehmen ja nicht das Kerngeschäft der Kunden – wir helfen lediglich dabei, dass diese ihr Kerngeschäft besser ausüben können. 

Trendprognosen im UX-Design

Welche aktuellen Trends bestimmen die UX-Design-Branche?

Ich bin kein Fan von Trends, aber grundsätzlich muss man sich schon damit befassen, wie der Markt um einen herum aussieht. Dabei sollte man seine Wettbewerber schon im Blick haben. Man sollte deren Ideen natürlich nicht eins zu eins kopieren, aber sollte sich auf jeden Fall damit auseinandersetzen.

Wichtig ist es dabei natürlich auch das Nutzungsverhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher zu kennen. Wie benutzen die Leute Online-Shops oder Apps? Ist das endlose Scrollen durch einen Feed vielleicht nicht mehr zeitgemäß? Auch ein differenziertes Grundverständnis darüber, was nun Neukunden und was Stammkunden von einem erwarten, hilft viel. Also ich bezeichne das eher als dauerhaften Trend: sein Grundverständnis für den Markt zu schärfen.

Was jetzt eher aktuelle Trends angeht, merkt man deutlich, dass das Thema Check-out immer wichtiger wird. Dieser muss schnell und verlässlich sein. Lieferversprechen müssen gut sein und eingehalten werden. Dahingehend haben viele Shops noch deutliches Verbesserungspotenzial. 

Vielen Dank für das Gespräch!

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Über die Autorin

Ricarda Eichler
Ricarda Eichler Expertin für: Nachhaltigkeit

Ricarda ist im Juli 2021 als Redakteurin zum OHN-Team gestoßen. Zuvor war sie im Bereich Marketing und Promotion für den Einzelhandel tätig. Das Schreiben hat sie schon immer fasziniert und so fand sie über Film- und Serienrezensionen schließlich den Einstieg in die Redaktionswelt.

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