Diversity & Recruiting

Fairness im Bewerbungsprozess: Vielfalt beginnt bei der Personalsuche

Veröffentlicht: 16.05.2023 | Geschrieben von: Hanna Behn | Letzte Aktualisierung: 16.05.2023
Menschen/Bewerber:innen warten auf Stühlen

Einfach sein zu können, statt sich aus Angst vor Unverständnis, Ablehnung oder Diskriminierung verstellen oder anpassen zu müssen, das sollte selbstverständlich sein. Doch gerade im Bereich der beruflichen Tätigkeit, die in unserer Gesellschaft einen enorm hohen Stellenwert hat, ist Gleichbehandlung längst nicht allerorten gelebte Realität. Es ist belegt, dass es immer noch mehr Männer in Vollzeitbeschäftigungen gibt als Frauen, Menschen mit Migrationsgeschichte bei Auswahlverfahren benachteiligt werden oder beispielsweise Pflichtarbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen nicht besetzt werden.

Dabei könnten Firmen allerdings die Chance verpassen, auch langfristig Fachkräfte für sich zu finden. Denn mehr und mehr Menschen achten auf ein wertschätzendes Arbeitsumfeld, gleichzeitig tragen diverse Teams maßgeblich zum Unternehmenserfolg bei. Da scheint es doch mehr als überlegenswert zu sein, sich die Themen Diversity & Inklusion mit auf die Firmenagenda zu setzen – und das bereits beim Bewerbungsprozess: „Im Recruiting gilt es, alle Bemühungen darauf auszurichten, unterschiedliche Menschen für das Unternehmen zu begeistern“, findet etwa Colm O'Cuinneain, Experte für Human Ressources und Recruiting-Software vom US-Unternehmen Greenhouse. Auf welche Mittel Unternehmen konkret zurückgreifen sollten, um sich bereits bei der Suche nach neuen Fachkräften vielseitiger aufzustellen, warum man sich selbst hinterfragen muss und was sogenanntes Structured Hiring damit zu tun hat, erläutert er uns ausführlich im Interview. 

Diversity: Ein wichtiger Faktor für den Geschäftserfolg

OnlinehändlerNews: Ganz grundsätzlich, wie können denn Unternehmen von mehr Diversität bei ihren eigenen Angestellten profitieren?

Colm O'Cuinneain: Durch vielfältige Teams profitieren Unternehmen von einem breiteren Spektrum an Fähigkeiten und Denkweisen. Dadurch kann das Unternehmen Herausforderungen schneller mit innovativen Lösungen begegnen. Dies passiert insbesondere durch drei Aspekte: 

  • Diverse Teams treffen bessere Entscheidungen: Da durch die unterschiedlichen Perspektiven und Standpunkte mehr Aspekte in Betracht gezogen werden, sind  Entscheidungen automatisch multiperspektivisch durchdacht und damit effizienter getroffen. 
  • Diverse Teams können die Arbeitsmoral verbessern: Wenn Teams vielfältig sind und unterschiedliche Menschen sich repräsentiert fühlen, schafft dies ein Gefühl der Zugehörigkeit und des Respekts, was sich wiederum positiv auf die Unternehmenskultur und die Arbeitsmoral auswirkt.
  • Diverse Teams sind kreativer: Durch vielfältige Perspektiven werden Probleme unterschiedlich wahrgenommen und verschiedene Argumente tragen automatisch zu deren Lösung bei. Dieser Ansatz sorgt für schnellere und auch innovativere Lösungen.

An welchen Stellschrauben müssten Firmen denn dafür generell drehen? 

Um als Unternehmen von den genannten Aspekten zu profitieren, müssen sie sicherstellen, dass sie eine inklusive Arbeitsumgebung schaffen, die eine breitere Palette von Hintergründen und Erfahrungen unterstützt und wertschätzt. Dies kann durch die Einstellung von Kandidat:innen mit unterschiedlichen Hintergründen, durch Schulungen zur Sensibilisierung und Förderung von Vielfalt und durch die Implementierung von Maßnahmen zur Gewährleistung von Gleichbehandlung und Chancengleichheit erreicht werden.

Generell gilt, dass die Förderung und Unterstützung von diversen und inklusiven Teams nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch ein wichtiger Faktor für den Geschäftserfolg ist und als solche auch strategische Berücksichtigung finden muss. Denn Unternehmen mit einer vielfältigen Belegschaft sind, wie gesagt, oft innovativer und kreativer und haben so ganz konkret Vorteile in der Bindung und Neugewinnung von Kund:innen, Märkten und auch Fachkräften, denn auch diese schauen ganz genau darauf, wie vielfältig ein Unternehmen ist. 

Und wie ist aktuell der Status quo? Wie divers sind Belegschaften in Unternehmen bereits aufgestellt?

Einige Studien zeigen, dass Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, LGBTQ+ und Menschen mit Behinderungen oft unterrepräsentiert sind. Insbesondere in Führungspositionen sind Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund oft unterrepräsentiert. Es gibt jedoch auch Unternehmen, die aktiv daran arbeiten, ihre Belegschaft zu diversifizieren und inklusivere Arbeitsumgebungen zu schaffen. Hier sind internationale Unterschiede deutlich erkennbar.

Vielfalt fördern – im Vorstellungsgespräch, aber auch in der Unternehmenskultur

Welche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang Recruiting- und Einstellungsprozessen zu?

Wenn diverse Teams zu einem besseren Unternehmenserfolg führen, muss das Ziel sein, Vielfalt zu fördern und das beginnt bei der Personalsuche. Im Recruiting gilt es, alle Bemühungen darauf auszurichten, unterschiedliche Menschen für das Unternehmen zu begeistern. Indem Unternehmen Stellenangebote in verschiedenen Online- und Printmedien sowie Netzwerken veröffentlichen und eine inklusiven Sprache in Stellenbeschreibungen verwenden, können verschiedene Personengruppen erreicht werden. Auch die direkte Ansprache von Diversitätsgruppen kann hilfreich sein.

Im Einstellungssprozess selbst ist es ratsam, dass das Team, das die Bewerbungsgespräche führt, ebenfalls vielfältig zusammengesetzt ist. Denn ein vielfältiges Interviewteam sorgt für bessere Einstellungserfahrungen bei den Kandidat:innen, insbesondere bei unterrepräsentierten Gruppen. Darüber hinaus sollten alle am Einstellungsprozess Beteiligten darin geschult werden, persönliche Vorurteile und Präferenzen zu erkennen und zu hinterfragen. Da potenzielle Mitarbeitende alle Berührungspunkte während des Einstellungsprozesses bewerten, ist es umso wichtiger, faire und inklusive Einstellungspraktiken anzuwenden, die auch die Werte des Unternehmens repräsentieren.

Darüber hinaus ist es wichtig, eine inklusive Unternehmenskultur zu schaffen, die die unterschiedlichen Erfahrungen und Perspektiven der langjährigen Mitarbeitenden wertschätzt und einbezieht. Eine solche Kultur trägt dazu bei, die Beschäftigten an das Unternehmen zu binden und eine gute Arbeitsatmosphäre zu schaffen, in der alle ihr volles Potenzial entfalten können – was wiederum eine zentrale Säule für den unternehmerischen Erfolg darstellt.

In Studien zeigt sich, dass vor allem unbewusste Vorurteile Personalentscheidungen beeinflussen. Wie können Personalverantwortliche oder auch Führungskräfte, die am Auswahlprozess für neue Beschäftigte beteiligt sind, sich Mechanismen bei der Auswahl bewusst werden und solche „uncouious bias“ im Bewerbungsprozess reduzieren?

Vorurteile – ob bewusste oder unbewusste – gehören zur menschlichen Natur. Sich dies bewusst zu machen ist der erste Schritt, ihnen proaktiv zu begegnen. Es gibt jedoch auch ganz konkrete Maßnahmen, die Personalverantwortliche und Führungskräfte unternehmen können, um Vorurteile im Bewerbungsprozess zu reduzieren: 

  • Personalverantwortliche und Führungskräfte sollten sich ihrer eigenen Vorurteile bewusst sein, um zu vermeiden, dass sie diese im Bewerbungsprozess zum Tragen bringen. Dies erfordert eine offene und ehrliche Reflexion über die eigenen Annahmen, Wertvorstellungen und Erfahrungen.
  • Es sollten klare Kriterien für die Bewertung von Bewerbungen festgelegt werden, die auf den Anforderungen der Stelle und den Anforderungen des Unternehmens basieren. Diese Kriterien sollten für alle Bewerbende gleich sein und mit einem standardisierten Verfahren transparent nachvollziehbar sein. 
  • Strukturierte Interviews sind ein wichtiger Mechanismus, um Vorurteile im Recruiting zu reduzieren. Dabei werden alle Bewerber:innen mit den gleichen Fragen konfrontiert, die auf die Anforderungen der Stelle und die Kriterien der Bewertung abzielen. 
  • Schulungen und Workshops können Personalverantwortlichen und Führungskräften helfen, sich bewusst zu machen, wie Vorurteile im Auswahlprozess entstehen und wie sie vermieden werden können. 

Menschen sollten im Unternehmen im Fokus stehen

Im Zuge von Diversity- und Inklusionsmaßnahmen sind auch immer mal wieder Quoten für bestimmte Gruppen im Gespräch. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Quotenregelungen sind eine von zahlreichen möglichen Maßnahmen zur Förderung von Diversität, Inklusion und Gleichberechtigung. Ihr Ziel ist es, sicherzustellen, dass bestimmte Gruppen angemessen im Unternehmen vertreten sind und sich darauf automatisch eine entsprechende Kultur entwickelt. Doch das allein reicht nicht, denn ein Unternehmen braucht nicht nur vielfältige Mitarbeitende, sondern auch eine Kultur, die jeden Mitarbeitenden als Mensch im Unternehmen willkommen heißt. Also eine People-First-Kultur, bei der der Mensch im Fokus steht. 

Es ist wichtig zu betonen, dass es verschiedene Ansätze gibt, um Vielfalt und Inklusion zu fördern und dass es keine einheitliche Antwort auf die Frage gibt, ob Quoten sinnvoll sind oder nicht. Jedes Unternehmen muss individuell entscheiden, welche Maßnahmen am besten geeignet sind, um eine inklusive und diverse Arbeitsumgebung zu schaffen.

Greenhouse setzt bei seiner Recruiting-Software auf sogenanntes Structured Hiring. Was hat es damit auf sich? 

„Structured Hiring“ bezeichnet einen standardisierten Prozess bei der Rekrutierung und Einstellung von Mitarbeitenden. Die Idee hinter dieser Methode ist es, den Einstellungsprozess so zu gestalten, dass er fairer, transparenter und nachvollziehbarer wird. Dabei werden verschiedene Aspekte berücksichtigt, wie beispielsweise die Erstellung einer detaillierten Stellenbeschreibung, die Festlegung von klaren Kriterien für die Auswahl von Bewerbenden, die Nutzung standardisierter Interviewfragen und -bewertungen sowie die Einbindung von mehreren Personen in den Bewerbungsprozess.

Wir haben uns als Anbieter von Hiring-Software auf Structured Hiring spezialisiert und unterstützen Unternehmen mit unserer Plattform dabei, diesen Ansatz umzusetzen. Der Ansatz würde – mit höherem administrativen Aufwand – auch ohne Software funktionieren, unsere Lösung optimiert und vereinfacht die dahinter liegenden Prozesse. Sie hilft etwa bei der Erstellung von Stellenbeschreibungen, der Verwaltung von Bewerbungen oder Planung von Interviews sowie der Zusammenarbeit der am Einstellungsprozess beteiligten Personen.

Bei datengesteuerten Prozessen denkt man schnell auch an Algorithmen, die potenziell passende Leute aufgrund von bestimmten Angaben in Formularfeldern schon vorab aussieben. Inwiefern unterscheidet sich Ihr Ansatz davon?

Greenhouse ist eine sogenannte ATS, also eine Bewerber-Tracking-System-Software, die Unternehmen dabei unterstützt, den gesamten Recruitingprozess zu verwalten. Im Gegensatz zu Algorithmen, die Bewerbende anhand bestimmter Angaben aussieben, verwendet Greenhouse einen ganzheitlichen Ansatz, der darauf abzielt, die besten Kandidat:innen für eine bestimmte Position zu identifizieren. Greenhouse ermöglicht es Unternehmen, softwarebasiert und auf eine strukturierte Art und Weise, Daten von Talenten zu erfassen und zu organisieren und einen insgesamt transparenten Einstellungsprozess zu gestalten – bis hin zu Features, die die Kommunikation mit den Bewerber:innen ermöglicht. 

Wie sollte die ideale Personalsuche aussehen? Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Insgesamt wünsche ich mir für die Rekrutierung von morgen, dass sie auf objektiven Daten und Analysen basieren, aber auch menschliche Faktoren berücksichtigt, um sicherzustellen, dass Unternehmen talentierte und vielfältige Mitarbeitende einstellen, die langfristig zum Erfolg des Unternehmens beitragen können. 

Das geschieht aus meiner Sicht maßgeblich durch:

  • Datenorientierte Entscheidungen: Unternehmen sollten Daten nutzen, um die Anforderungen und Qualifikationen für offene Stellen zu bestimmen und Talente auf der Grundlage ihrer Fähigkeiten und Leistungen zu bewerten.
  • Vielfalt und Inklusion: Unternehmen sollten sich bemühen, eine vielfältige Belegschaft aufzubauen und sicherzustellen, dass ihre Einstellungsprozesse fair, strukturiert und transparent ist.
  • Effizienz und Geschwindigkeit: Unternehmen sollten Prozesse implementieren, die die Einstellungsgeschwindigkeit erhöhen, ohne die Qualität der Einstellungen zu beeinträchtigen. Dies ermöglicht den Unternehmen schneller zu reagieren und wendiger zu werden.
  • Candidate Experience: Unternehmen sollten sicherstellen, dass der Einstellungsprozess für Talente einfach und nachvollziehbar ist. Damit haben Kandidat:innen einen positiven Interaktionspunkt mit dem Unternehmen, das sich insgesamt positiv auf die Reputation des Unternehmens auswirkt – auch wenn der oder die Bewerber:in nicht zum Mitarbeitenden wird. 

Vielen Dank für das Gespräch!


Über Colm O'Cuinneain:

Colm O'Cuinneain | Greenhouse

Colm O'Cuinneain ist General Manager EMEA bei Greenhouse, einem US-amerikanischen Unternehmen für Hiring-Software und verantwortet das EMEA-Geschäft aus der Zentrale in Dublin, Irland heraus.

Er kann auf über 20 Jahre Erfahrung in der Tech-Branche zurückblicken, von denen er die letzten sieben Jahre im Bereich HR-Tech verbracht hat. Neben dem Aufbau wachstumsstarker Organisationen ist es Colms größtes Anliegen, die berufliche Entwicklung der Menschen, mit denen er zusammenarbeitet, und die Kundenbeziehungen nachhaltig zu verbessern.

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Über die Autorin

Hanna Behn
Hanna Behn Expertin für: Usability

Hanna fand Anfang 2019 ins Team der OnlinehändlerNews. Sie war mehrere Jahre journalistisch im Bereich Versicherungen unterwegs, dann entdeckte sie als Redakteurin für Ratgeber- und Produkttexte die E-Commerce-Branche für sich. Als Design-Liebhaberin und Germanistin hat sie nutzerfreundlich gestaltete Online-Shops mit gutem Content besonders gern.

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