Kolumne: Darf man Insolvenz auszeichnen?

Veröffentlicht: 31.01.2014 | Geschrieben von: Michael Pohlgeers | Letzte Aktualisierung: 31.01.2014

Beim deutschen Online-Handels-Award wurden unter anderem auch Weltbild und Strauss Innovations ausgezeichnet. Weltbild war zu diesem Zeitpunkt bereits insolvent. Dass auch Strauss in finanziellen Schwierigkeiten steckt, wurde gestern offiziell bekannt. Die Auszeichnung als bester Online-Shop wirkt in beiden Fällen merkwürdig.

Zunächst: Ja, ein Unternehmen kann insolvent sein, aber trotzdem einen guten Online-Shop mit einem großartigen Kundenservice haben. An und für sich ist die Verleihung des Online-Handels-Awards also vollkommen in Ordnung, schließlich zeichnet der Preis eben das aus: Einen Online-Shop mit gutem Kundenservice. Das gesamte Unternehmen, zu dem der Shop gehört, wird in dieser Wertung außen vor gelassen. Auch das ist in Ordnung, aber trotzdem macht sich bei der Betrachtung der Gesamtsituation der Eindruck breit, dass irgendetwas nicht zusammenpasst.

Weltbild war zum Zeitpunkt der Preisverleihung bereits länger insolvent. Berichte über eine drohende Zahlungsunfähigkeit des Verlags machten schon seit geraumer Zeit die Runde, vor einigen Wochen wurde dann offiziell die Insolvenz bestätigt. Dass gerade Weltbild dann als bester Online-Shop in der Kategorie Bücher & Digitale Medien ausgezeichnet wurde, stieß mir persönlich merkwürdig auf. Und auch das noch: Thalia landete auf dem dritten Platz – zu dem Zeitpunkt, als berichtet wurde, dass Thalia Weltbild übernehmen wolle.

Ist der Preisträger insolvent oder wird ein insolventes Unternehmen ausgezeichnet?

Strauss Innovations hatte in der Kategorie Wohnen ebenfalls den besten Online-Shop aufgefahren, war aber zunächst nur ein weiterer Sieger in einer weiteren Kategorie. Gestern wurde allerdings bekannt, dass Strauss in drei Monaten insolvent sein könnte. Und wieder frage ich mich: Wie soll das zusammenpassen? Es wirkte zugegebenermaßen fast lachhaft – und vielleicht mag ich auch kurz gelacht haben, angesichts des Irrsinns – dass wieder ein Preisträger vor dem Ruin steht. Oder, wenn man es aus einer anderen Perspektive sehen will, ein ruiniertes Unternehmen mit einem Preis ausgezeichnet wird.

Die Verleihung des Preises mag durchaus gerechtfertigt sein. Weltbild und Strauss mögen ja wirklich die besten Online-Shops ihrer Branche vorweisen können. Aber es wirkt befremdlich, wenn Unternehmen, die in derartigen Schwierigkeiten stecken, mit einem Preis als bester Shop ausgezeichnet werden. Es sind zwei Meldungen, die partout nicht zusammenpassen wollen. Das ist, als hätte die Crew der Titanic noch eine Auszeichnung für das Essen bekommen. Ein solcher Preis ist gefährlich, denn er bestätigt die bisherige Leistung und bedeutet, dass man erfolgreich ist in dem, was man tut. Aber die Titanic ist nicht für ihr Essen bekannt.

Kommentare  

#1 Dr. Kai Hudetz 2014-02-03 12:26
Kann einem wirtschaftlich angeschlagenen Unternehmen ein Preis verliehen werden? Auf den ersten Blick erscheint dies in der Tat widersprüchlich . Selbst wenn wie hier der Preis nur für einen Teil der unternehmerisch en Leistung, nämlich die Kundenzufrieden heit und -bindung im Online-Shop, vergeben wird, bleiben zunächst Zweifel. Ein Blick auf die Methodik macht aber deutlich, dass die Online-Shops von Weltbild und Strauss nicht nur ausgezeichnet werden können, sondern sogar müssen. Nicht eine Jury hat entschieden, sondern mehr als 10.000 Konsumenten in der Studie "Erfolgsfaktore n im E-Commerce" vom ECC Köln und Hermes. Weltbild und Strauss den Preis nicht zuzuerkennen, würde bedeuten, das Votum von deren Kunden zu ignorieren und die Ergebnisse zu verfälschen. Was wahr ist, muss wahr bleiben. Beste Grüße aus Köln, Kai Hudetz
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