Retouren, Verkehr, Verpackungen

Der Online-Handel als Klimakiller – was ist dran?

Veröffentlicht: 03.03.2020 | Geschrieben von: Patrick Schwalger | Letzte Aktualisierung: 03.03.2020
Eisscholle fällt ins Meer

Das Image des Online-Handels ist nicht gut. Schlecht fürs Klima, schlecht für den stationären Handel, schlecht für die Innenstadt, schlecht fürs Gewissen. Es werden Gebühren, Steuern oder Verbote gefordert.  

Der Versandhandel wird oftmals als umweltschädlicher, natürlicher Fressfeind des stationären Handels dargestellt. Dabei könnten die beiden doch ganz gut in Symbiose leben. Mitunter wird der bewusste Einkauf im Einzelhandel aber zur subversiven Aktion erklärt. Denn immer wieder vernimmt man Stimmen, die den Online-Handel in die Nähe einer gewissen Immoralität rücken. 

Diese Stimmen gibt es auch in der Politik. Umweltministerin Schulze ließ sich kürzlich in der Bild am Sonntag damit zitieren, dass im Online-Handel eine „Wegwerfmentalität” grassiere. Die Tagesschau berichtete im Februar über die vermeintlich sorglose Vernichtung von Artikeln, die online gekauft und dann wieder retourniert wurden. Schon letzten Dezember sprach Katrin Göring-Eckhardt in der Welt von einer „dekadenten und unanständigen Ressourcenverschwendung” im Online-Handel.

Gefühlte Wahrheiten, aber wenige Fakten

Ist es denn nun wirklich derart schlimm, fragt man sich. Hinterlässt der Online-Handel einen negativen Fußabdruck auf unserer Erde? Ja natürlich – so wie das bei den allermeisten Wirtschaftszweigen ist. Und deswegen braucht es Aufmerksamkeit und Sensibilisierung für das Thema. Wo realisierbar, sollten Online-Händler und Kunden so nachhaltig denken und handeln wie möglich. Ist der Online-Handel aber schlimmer als andere Branchen und moralisch verwerflich? Das ist – Überraschung! – nicht der Fall. In Wirklichkeit ist es einfach kaum nachvollziehbar, ob der Online-Handel zum Beispiel im Vergleich zum stationären Geschäft eine positive oder negative Klimabilanz hat. Es gibt fast keine Zahlen. 

Die Debatte um den Online-Handel ist außerordentlich emotionalisiert. Es gibt viele gefühlte Wahrheiten, die Einzug in die Diskussionen führen. Beispiel: Die Straßen werden vom Pakettransport verstopft, der die Online-Bestellungen ausliefert. Zahlen oder aussagekräftige Studien sind mir nicht bekannt. Auch habe ich als Stadtbewohner selbst noch nie das Gefühl gehabt, dass die Straßen von Lieferdiensten verstopft werden. Aber mehr als eine gefühlte Wahrheit kann auch ich nicht liefern. 

Retouren, Verkehr und Verpackungen sind im öffentlichen Fokus

Was wissen wir denn nun eigentlich? Die Diskussionen über die Klimawirkungen des Online-Handels drehen sich zumeist um drei Themenbereiche: Retouren, Stadtverkehr und die Menge an Verpackungsmaterial. Gerade im Januar und Februar diesen Jahres standen die Retouren im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Zahlreiche Medien berichteten über den Gesetzentwurf der Bundesregierung, mit der die EU-Abfallrahmenrichtlinie geändert werden soll. Die Retourenvernichtung sei ein so großes Problem, dass die Verhinderung der Entsorgung gesetzlich geregelt werden müsse. Das Thema schaffte es am 12. Februar bis in die Tagesschau. Das Fazit: Der Online-Handel schmeißt weg, und das auch noch verantwortungslos und in riesigen Mengen. Ganz so stimmt es aber nun doch nicht.

Retouren und der Umgang damit – wie schlimm ist es wirklich?

Retouren sind in Deutschland eine riesige Herausforderungen für Händler. Dafür gibt es auch Zahlen. Die Uni Bamberg veröffentlicht regelmäßig ihre Ergebnisse aus der Retourenforschung, die auch Grundlage der meisten Pläne der Politik sind. Demnach wurden 2018 knapp 490 Millionen Artikel von Kunden retourniert. Klar, dass das neben einem enormen Aufwand für die Händler auch noch Folgen für die Umwelt hat. Alle diese Pakete werden zusätzlich zum Hintransport auch noch zurückgeschickt.  

Gesetzlich verhindern kann man das erstmal nicht. Schließlich ist es das Recht der Verbraucher, Artikel innerhalb der jeweiligen Widerrufsfrist zu prüfen und zurückzuschicken. Der Verbraucherschutz kann an dieser Stelle nicht ausgehebelt werden. Deshalb nimmt sich die Politik jetzt etwas an, was leichter zu regeln ist. Die Entsorgung von Retouren soll mindestens verhindert werden, eventuell sogar ganz verboten. Doch nur knapp 8 Millionen Artikel, die vernichtet werden, könnten laut Uni Bamberg überhaupt wiederverwertet werden – das sind gerade mal 1,6 Prozent aller Retouren. Diese Wiederverwertung einzufordern, ist nachvollziehbar. Aber „Wegwerfmentalität” ist anhand der absoluten Zahlen sicherlich das falsche Wort, um die Sachlage zu beschreiben. 

Retouren im Zaum halten – aber der Umgang ist oft schon verantwortungsvoll

Kleine und mittelständige Online-Händler gehen nach Meinung der Retourenforscher aus Bamberg also sorgfältig und verantwortungsbewusst mit den Retouren um, die sie erhalten, und sind keine Klimasünder. Daher sprechen sich die Forscher auch gegen ein Verbot der Retourenvernichtung aus. Die durch die Gesetzesänderung kommende Berichtspflicht darüber, wie viele Retouren Online-Händler bearbeiten müssen und wie sie diese behandeln, halten sie aber für sinnvoll. Das führe zu Transparenz und werde Zahlen liefern, die es derzeit nicht gibt. Und genau dieser Mangel an Zahlen führt zu der emotionalisierten Debatte, die derzeit geführt wird. 

Auch im Vergleich mit dem stationären Handel sieht Björn Asdecker, der Leiter der Retourenforschungsgruppe, den Online-Handel nicht als zwingend klimaschädlicher. In einem Interview mit der Taz ließ er wissen, dass die Diskussion über Retouren vom eigentlichen Problem ablenke. Jährlich gebe es zwar etwa 20 Millionen entsorgte Retouren, die einem insgesamten Wert zwischen 100 bis 200 Millionen Euro jährlich entsprechen. Doch die unverkaufte Überproduktion im stationären Handel würde zu Abfällen im Wert von bis zu 7 Milliarden Euro führen. 

Händlerbund-Studie: Retourenquoten bis über zehn Prozent

Im Vergleich schneidet der Online-Handel also deutlich besser ab, was die absoluten Zahlen angeht. Doch mit dem Wachstum des E-Commerce werden natürlich auch diese Zahlen ansteigen. Die Jahresstudie Online-Handel 2019 vom Händlerbund zeichnet ein ähnliches Bild. 36 Prozent der befragten Händler gaben dort an, dass sie eine Retourenquote von über fünf Prozent verzeichnen, manche hatten sogar eine Quote von über zehn Prozent. 

Nicht die Entsorgung ist das Problem des Online-Handels. Es ist die absolute Menge an Retouren. Doch dessen ist man sich bewusst. Viele Shops fangen an ihre Kunden zu sensibilisieren oder verzichten auf kostenlosen Versand und kostenfreie Rücksendungen. Und auch die Verbraucher geben in Studien immer mehr an, dass sie das Problem erkannt haben und künftig weniger retournieren wollen.

Der Online-Handel und der Straßenverkehr – unklare Zusammenhänge

Und wo Versand anfällt, egal ob für den Hinweg oder den Rückweg bei Retouren, da fällt Verkehr an. Laut Uni Bamberg belief sich das bei Retouren im Jahr 2018 auf umgerechnet 2200 Fahrten von Hamburg nach Moskau – täglich! Das ist natürlich eine hohe Zahl. Der deutsche Städtetag hat den Online-Handel für das hohe Verkehrsaufkommen kritisiert, genau wie Politiker im Bundestag. So sprach zuletzt auch Verkehrsminister Scheuer vom hohen Aufkommen an Lieferdienstfahrzeugen in deutschen Innenstädten. 

Doch das wirkliche Ausmaß ist nicht ausreichend bekannt. Ähnlich aussagekräftige Zahlen wie über die Menge an Retouren bestehen in Bezug auf das durch den Versandhandel verursachte Verkehrsaufkommen nicht. Eine Untersuchung von 2018 des Bevh spricht dafür, dass nur 0,1 Prozent des Verkehrs pro Quadratkilometer vom Online-Handel bedingt werden. Das ist ein sehr geringer Anteil am Gesamtverkehr. Und die Retourenforschung zeigt, dass Retouren bloß 0,026 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes in Deutschland ausmachen. In Relation kommt der Online-Handel also noch glimpflich davon.

Ist der E-Commerce klimafreundlicher als der stationäre Handel?

Nicht nur deshalb ist sehr anzuzweifeln, ob der E-Commerce hier wirklich als Klimasünde ausgemacht werden kann. Schließlich muss man ja auch festhalten: Wer online bestellt, fährt nicht selbst mit dem Auto in die Innenstadt. Gerade wenn die Kunden nicht in der Stadt, sondern auf dem Land leben, fallen oft sehr weite Strecken zu Geschäften an, die mit dem Auto zurückgelegt werden müssten. Durch den Versandhandel werden diese Strecken nicht individuell befahren, sondern durch gesammelten Transport.

Das Deutsche CleanTech Institut kam 2015 in einer Studie zu dem Schluss, dass der Online-Handel aus diesem Grund im Vergleich mit dem stationären Handel klimafreundlicher sei, und zwar trotz hoher Retourenquote. Aktuelle Untersuchungen fehlen zu dieser Frage. Es ist aber immer noch fraglich, ob durch das Wachstum des Online-Handels wirklich mehr Verkehr auf die deutschen Straßen kommt. 

Menge an Verpackungsmüll steigt – ist der Online-Handel verantwortlich?

Und dann gibt es noch den Papiermüll. Eigentlich bewegt sich die Gesellschaft im Zuge der Digitalisierung immer weiter weg vom Papier. E-Mails ersetzen Briefe, Behörden stellen auf digitale Formulare um, Bücher werden zu E-Books und Zeitschriften sowie Zeitungen produzieren immer weniger Auflage. 

Trotzdem steigt der Papier- und Pappemüll in Deutschland jährlich. 2017 produzierte jeder Einwohner im Durchschnitt 98,9 Kilogramm Müll aus Papier und Pappe, mit steigender Tendenz, sagt das Umweltbundesamt (UBA). Der Verbrauch von Papierverpackungen stieg um drei Prozent an. Die Begründung sieht das UBA im wachsenden Online-Handel. 

Besonders wird kritisiert, dass online bestellte Artikel oftmals unpassend verpackt sind. Viele Händler nutzen nur eine begrenzte Auswahl an Kartongrößen, dadurch kommt es zu oft dazu, dass überdimensionierte Kartonagen eingesetzt werden. Auch Umverpackungen sind oft nicht zwingend notwendig, beispielsweise bei Schuhkartons.

Händler wollen Verpackungen umweltfreundlicher gestalten

Verbraucher und Händler werden sich ihrer Verantwortung im Bereich Verpackungen aber bewusst. 2019 gaben 42 Prozent der befragten Händler in der Logistik-Studie des Händlerbundes an, dass ihnen eine nachhaltige Verpackung sehr wichtig sei. Im Vorjahr waren es nur 26 Prozent. 44 Prozent der Händler hatten sich im Vergleich zu 2018 sogar wirklich darum bemüht, ihre Vorsätze in Taten umzusetzen. Die Klimadebatte wirkt also und kommt langsam aber sicher in allen Bereichen des Online-Handels an.

Auch Verbraucher geben häufiger an, dass sie beispielsweise ihre Retouren im Originalkarton aufgeben wollen, anstatt neue Verpackungen in Umlauf zu bringen. Natürlich folgen die Handlungen nicht immer den selbst gesteckten Zielen. Doch dass sich im Bereich Verpackungen etwas ändert, lässt sich anhand dieser Zahlen und Studienergebnisse erkennen. Hier können und sollten Händler sich selbst hinterfragen und Wege finden, wie man umweltfreundlich handeln kann. 

Online-Händler sind nicht unanständig

Der Online-Handel ist ein Wirtschaftszweig wie jeder andere. Als solcher verbraucht er Ressourcen und belastet zweifellos das Klima. Händler müssen sich – genau wie alle anderen Teile unserer Gesellschaft – damit auseinandersetzen, wie das eigene Handeln künftig nachhaltiger gestaltet werden kann. 

In zahlreichen Umfragen und Studien der letzten Monate lässt sich erkennen, dass diese Herausforderung angenommen wird. Händler und Kunden suchen Lösungen dafür, wie sie nachhaltiger und ressourcenschonender handeln können. Die Dynamik, die den Online-Handel auszeichnet, bringt den Vorteil mit sich, dass auf eine solche gesellschaftliche Diskussion schnelle Anpassungen und innovative Lösungsansätze entwickelt werden können. Und der Handel ist gut beraten, den Klimaschutz weiterhin als Kernthema zu behandeln. 

Online-Händler dürfen keine Sündenböcke sein

Doch den E-Commerce als unanständig, verschwenderisch und problematisch zu bezeichnen, ist nicht angebracht. Die Untersuchungen, die derzeit zur Verfügung stehen, lassen diese Tendenz nicht erkennen. Vielmehr ist der Online-Handel ein Teil einer Gesellschaft, die sich insgesamt mit Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz auseinander setzen muss. Online-Händler, und speziell die kleinen und mittelständischen, als Sündenbock vorzuführen, ist allerdings unfair. 

Das Problem mit Amazon als Symbol für den Online-Handel

Vielleicht liegt das nicht so gute Image der Branche daran, dass der Online-Handel generell nicht besonders differenziert betrachtet wird. Online-Handel bedeutet für viele Menschen nämlich Amazon. Eine YouGov-Studie von 2013 zeigt beispielsweise, dass negative Berichterstattung über den Riesenkonzern ganz drastisch das Image der gesamten Branche beeinflusst. Hier wäre sicherlich etwas mehr Differenzierung geboten. Denn die riesige Mehrheit der Online-Händler sind nicht Amazon. Leider wirft man sie aber oft in einen Topf. 

Trotz allem muss sich der Online-Handel im Allgemeinen um den Umsatz keine Sorgen machen. Das Wachstum der vergangenen Jahre wird weitergehen, egal wie das Image ist. Wenn mit dem Umsatz auch die Nachhaltigkeit vorangetrieben wird, wäre am Ende doch alles positiv.

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