Kolumne „Pech gehabt“

Elon Musk übernimmt Twitter: Gefahr für die Meinungsfreiheit

Veröffentlicht: 28.10.2022 | Geschrieben von: Christoph Pech | Letzte Aktualisierung: 05.04.2023
Elon Musk auf Twitter

Tut er es oder tut er es nicht? Es war ein beispielloses Hickhack im letzten halben Jahr und die Frage, ob Elon Musk Twitter nun kauft, konnte und wollte er zwischenzeitlich selbst nicht beantworten. Am heutigen Freitag wäre die gesetzliche Frist abgelaufen, Musk hätte per Gerichtsbeschluss zum Kauf gezwungen werden müssen, nun hat er es doch getan. „Der Vogel ist frei“, twitterte Musk in Anspielung an das Unternehmenslogo, und schuf gleich Tatsachen.

Mehrere Topmanager soll Musk bereits am Donnerstag entlassen haben, darunter den bisherigen Chef Parag Agrawal. Laut New York Times habe man mindestens eine Person aus der Firmenzentrale führen müssen. Mit einem massiven Stellenabbau hatte Musk schon seit Monaten kokettiert, er wird wohl nicht mit offenen Armen empfangen werden. Ganz abgesehen von diesen Muskelspielen, um der Belegschaft direkt zu zeigen, wer jetzt Hahn im Korb ist, ist die Zukunft von Twitter nun offener als je zuvor. Denn es ist vollkommen unklar, was der Milliardär mit dem Netzwerk vorhat.

„Warm und einladend“ soll Twitter werden?

In einer Mitteilung an die Anzeigenkunden hat Musk dargelegt, wie er Twitter in Zukunft sieht. Twitter solle kein „Ort des Graunes“ werden, sondern eine Plattform, die „warm und einladend“ für alle ist. Zudem will er die Redefreiheit stärken, die er derzeit offenbar beschnitten sieht. Wenn man Musks Tweets liest, wenn man im Hinterkopf hat, dass er Donald Trump wieder auf die Plattform lassen will und wenn man sich ganz generell den – gerade in politischen und gesellschaftlichen Diskursen – eher rohen Ton auf Twitter anschaut, dann schließt sich das nicht nur gegenseitig aus. Dann muss man das auch als Drohung lesen.

Elon Musk will ein Twitter ohne Rede- und Denkverbote. Das wäre ein hehres Ziel, wird aller Voraussicht nach aber vor allem Hass und Hetze den Weg ebnen. Probleme, die Twitter ohnehin hat, obwohl es versucht, dagegen anzukämpfen. Markus Beckedahl fasst es bei Netzpolitik pointiert zusammen: „Wird Twitter wieder zu einem Ort, wo sich viele wohlfühlen, dafür aber durch Content-Moderation eingegriffen werden muss? Oder setzen sich die Lautesten und Stärksten durch und beißen alle anderen Meinungen weg, wie es sich Anhänger:innen der (extremen) Rechten wünschen und oft praktizieren? Musks Aussagen sind da sehr divers, je nach Laune und Tageszeit.“ Und genau diese Launen von Elon Musk sind das große Fragezeichen.

Nutzer gehen, Relevanz bleibt

Das zweite große Problem – neben der unsicheren Ausrichtung – ist Twitters Relevanz. Das Unternehmen gibt mittlerweile keine validen Nutzerzahlen außerhalb der USA mehr heraus. Dass dem Netzwerk nicht erst seit der Causa Musk die aktiven Nutzer davonlaufen, ist ein offenes Geheimnis. Für Netzwerke wie TikTok oder Instagram wäre das ein grundlegendes Problem, für Twitter ist es am Ende höchstens ein monetäres. Denn Twitter ist kein Mekka für Selbstdarsteller und Influencer. Auch diese gibt es freilich auf der Plattform, für Twitters Relevanz sind sie aber unerheblich.

Denn egal, wie das Unternehmen sich selbst sieht, egal, wie die aktiven Nutzer, die noch da sind, das Netzwerk gern sehen wollen – Twitter ist über seine eigenen Grenzen hinaus zuallererst ein Nachrichtenportal (geworden). Präsidenten und Bundesministerien, Fußball-Vereine und Filmstudios nutzen Twitter nicht als Diskussionsplattform, sondern als Presseverteiler. Aktivistinnen im Iran und Zivilisten im Ukraine-Krieg nutzen Twitter als Medium, um ihre Botschaften in die Welt zu tragen. Von dort aus finden sie ihre Wege in die Nachrichtenredaktionen dieser Welt. Bei all der Selbstbeweihräucherung, die auf Twitter genauso herrscht wie auf dem „Datenfriedhof Facebook“ (Beckedahl) oder auf den Plattformen der coolen Kids, zieht Twitter seine Relevanz vor allem von außen.

Und genau da liegt letztlich das Problem. Wenn der reichste Mensch der Welt einen der größten Newsverteiler besitzt, dann stärkt das nicht die Redefreiheit, sondern ist umgekehrt eine Gefahr für diese. Denn er hat die Möglichkeit, Diskurse zu lenken und Meinungen zu wichten, wie Beckedahl bei Netzpolitik ausführt. Das ist gefährlich. So irrelevant Twitter als soziales Netzwerk mittlerweile ist, seine diskursive Wirkmacht außerhalb der eigenen Grenzen und sein Status als Nachrichtenportal sind ungebrochen groß.

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Über den Autor

Christoph Pech
Christoph Pech Experte für: Digital Tech

Christoph ist seit 2016 Teil des OHN-Teams. In einem früheren Leben hat er Technik getestet und hat sich deswegen nicht zweimal bitten lassen, als es um die Verantwortung der Digital-Tech-Sparte ging. Digitale Politik, Augmented Reality und smarte KIs sind seine Themen, ganz besonders, wenn Amazon, Ebay, Otto und Co. diese auch noch zu E-Commerce-Themen machen. Darüber hinaus kümmert sich Christoph um den Youtube-Kanal.

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