Gastbeitrag

Transparenz und Nachhaltigkeit – Mode-Lieferketten neu denken

Veröffentlicht: 11.06.2020 | Geschrieben von: Redaktion | Letzte Aktualisierung: 11.06.2020
Mann mit Paket

Lieferketten in der Textilbranche waren schon lange Thema. Mit dem weltweiten Ausbruch von COVID-19 rücken die Aspekte Transparenz und Nachhaltigkeit weiter in den Vordergrund.

Die Textilbranche hat sich durch die Auswirkungen von COVID-19 grundlegend verändert. In den letzten Monaten ist die Branche zunehmend unter Druck geraten. Die Gründe dafür liegen in kurzfristig erfolgten Auftragsstornierungen, ausgesetzten Zahlungen an Zulieferer und Beschäftigte sowie in Zwangsschließungen von Fabriken und Ladengeschäften. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach Bekleidung und Schuhen stark zurückgegangen, womit auch die Ausgaben der Kunden für Mode sinken.

Sicherung der Supply Chain

Langsam kehrt der Alltag zurück und sowohl die Bekleidungshersteller als auch ihre Partner müssen ihre Lieferketten so umgestalten, dass sie einer völlig neuen Situation gerecht werden. Gleichwohl bleibt die Entwicklung nachhaltiger Strategien von großer Bedeutung. Der Neustart gibt Marken und Händlern die Möglichkeit, ihr Geschäft grundlegend zu überdenken und das im engen Austausch mit Herstellern und Zulieferern. So können nachhaltige Mechanismen in Lieferketten integriert und letztlich die Branche verändert werden.

Weltweit werden jährlich mehr als 150 Milliarden Kleidungsstücke hergestellt. Der Weg vom Herstellungsort bis zur Ladenfläche ist oft weit. Global gesehen entsprechen die jährlichen Ausgaben für Modeartikel in etwa dem Bruttoinlandsprodukt der 126 ärmsten Länder der Welt.

Nachhaltigkeit durch transparente Produktionsketten

Eine verbesserte Transparenz der Produktionskette kann großen Effekt hinsichtlich Nachhaltigkeit haben – für Kunden, Arbeitskräfte, Stakeholder und unseren Planeten. Hier liegt aber gleichzeitig eine der großen Herausforderungen der Modeindustrie: Wie kann man es jedem ermöglichen, komplizierte Verzweigungen von Subunternehmen transparent nachzuvollziehen? Transparenz und Rückverfolgbarkeit für jeden sichtbar in unglaublich komplizierte Systeme integrieren? Und wie kann man das nutzen, um nachhaltige und ethische Methoden und Arbeitsweisen voranzutreiben? Die Vorteile wären enorm – und entlang der Lieferketten ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten.  

In sechs Schritten zur Transformation

Accentures Forschungs- und Entwicklungszentrum ‚The Dock‘ zeichnet in einer Studie zur Transformation von Lieferketten das Bild eines Industriezweigs, der bereit für maßgebliche Veränderungen ist. Dabei wurden mithilfe von Erkenntnissen einiger der weltweit größten Bekleidungshersteller sechs Kernpunkte für den Neustart der Mode-Lieferkette identifiziert:

  1. Marken und Lieferanten müssen Nachhaltigkeit systematisch angehen und zum festen Bestandteil ihrer Strategie machen. Das bedeutet, dass sie ihre Strategie und Nachhaltigkeitsziele in Einklang bringen und ins Verhältnis zu Messgrößen des wirtschaftlichen Wachstums setzen. Damit bekommt Nachhaltigkeit den Stellenwert von Kosten, Vorlaufzeit und Qualität.

  2. Nachhaltigkeit funktioniert nur, wenn sie auch betriebswirtschaftlich sinnvoll ist. Unsere Studie zeigt, wie Marken und Lieferanten ihre negativen Auswirkungen auf die Umwelt reduzieren können und ihr Geschäft langfristig dadurch wächst.

  3. Unternehmen müssen Partnerschaften entwickeln und strategische Beziehungen auf allen Ebenen aufbauen, um eine Vorreiterrolle in der Branche einzunehmen.

  4. Die Branche braucht eine gemeinsame Position, wenn es um Nachhaltigkeitsstandards und Arbeitsmethoden geht. Die gute Nachricht ist, dass die Branche bereits eng miteinander verflochten ist, sodass dies eher eine Erweiterung bestehender Praktiken als eine radikale Umstellung bedeutet.

  5. Prüfungsmechanismen sind eine branchenweite Herausforderung. Wenn Marken zusammenarbeiten, um die Anforderungen und die Häufigkeit der Kontrollen zu standardisieren, sind sie in der Lage, die Effizienz und Sichtbarkeit eines schwer greifbaren Bereichs der Textilproduktion nachhaltig zu verbessern.

  6. In die Jahre gekommene Systeme benötigen einen radikalen Umbau. Marken und Zulieferer müssen ihre ineffizienten Prozesse verbessern, indem sie ihre IT aufrüsten und damit anfangen, aus den vorhandenen Datenmengen Wert zu generieren.

Die Autoren der Studie haben eine weitere Hürde identifizieren können: Das System an sich konnte früher schlecht verändert werden, weil es sich schlicht nicht stoppen ließ. Da sich die Branche nun aber nahezu im Stillstand befindet, ist es endlich möglich, das Produktionstempo neu anzupassen. Nachhaltigkeit und Transparenz müssen gerade jetzt in den Vordergrund rücken.

Partnerschaften zahlen sich aus

Wie uns die Krise vor Augen geführt hat, sind die Unternehmen der Textilindustrie stark voneinander abhängig. Das kann man aber auch zum Vorteil nutzen. Ein tiefgreifender Wandel erfordert ein enormes Maß an Zusammenarbeit, Transparenz, Vertrauen und Beratung. Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen sind viele Unternehmen in dieser Branche bereits jetzt miteinander vernetzt. Das bedeutet, dass sie bereits für den Wandel gerüstet sind. Von der Sicherung einer nachhaltigen Wasserversorgung bis hin zur Entwicklung gemeinsamer Prüfungsstandards wird eine belastbare Lieferkette für die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen von entscheidender Bedeutung sein.

Nichtstun ist keine Option. Wenn es um Nachhaltigkeit geht, haben Marken nicht mehr länger die Wahl. In der Modebranche ist das Risiko sogar höher: Hier erwartet der Verbraucher, dass sich seine eigenen Werte und Geschmäcker fast unmittelbar im Regal wiederfinden. „Nach Corona“ werden die Ansprüche der Kunden nicht sinken.

Eine Patentlösung für dieses Problem gibt es leider nicht, und aufgrund der aktuellen Lage wird es noch schwieriger. Auch Technologie kann nicht alle Probleme lösen, aber sie ist ein Hebel, die Grundvoraussetzungen und die Transparenz nachhaltig zu verbessern.


Über den Autor:

Peter Rinnebach / Kurt Samlon, Accenture

Dr. Peter Rinnebach ist Managing Director bei Kurt Salmon, einem Teil von Accenture Strategy. Er ist Experte für die vollständige Wertschöpfungskette im Handel – von Fragen der Unternehmensstrategie und Sortimentsplanung über Produktentwicklung und Sourcing bis zu Supply Chain Management und Omnichannel Operations. Zu seinen Kunden zählen Größen im Bereich Fashion und Non-Food, die er bei der Transformation ihrer Geschäftsmodelle und der Erreichung nachhaltiger finanzieller Effekte unterstützt. 

Dr. Rinnebach ist regelmäßiger Sprecher auf internationalen Konferenzen und verantwortet eine Vielzahl von Veröffentlichungen, darunter die Kurt Salmon Global Sourcing Reference.

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