„Wir rechnen mit einem Mehrumsatz von sieben Milliarden Euro für Unternehmen“

Die Presize-Gründer wollen das größte Problem des Online-Modehandels lösen

Veröffentlicht: 14.10.2020 | Geschrieben von: Michael Pohlgeers | Letzte Aktualisierung: 14.10.2020
Presize-Technologie auf einem Smartphone

Tomislav Tomov und Leon Szeli haben ambitionierte Pläne: Sie wollen mit einem neuen System dafür sorgen, dass Kunden beim Online-Kauf von Kleidung die passgenaue Größe erhalten und so weniger Artikel retournieren müssen – Vorteile für Kunden, Händler und schließlich auch die Umwelt, so das Argument von Tomov und Szeli. Dafür haben sie gemeinsam mit Awais Shafique Presize.ai gegründet und eine besondere Technologie entwickelt. Tomov und Szeli haben diese Technologie jüngst in der Vox-Gründershow „Die Höhle der Löwen“ vorgestellt.

Und das kam gut an: Carsten Maschmeyer investierte nach einem längeren Kampf um die Firmenanteile in das junge Unternehmen. 650.000 Euro sicherte der Löwe in der Sendung zu – die zweithöchste Summe, die je in der Vox-Show versprochen wurde. Dafür erhielt er 15 Prozent Anteile an Presize.ai. Wie RP Online berichtet, haben die Gründer nach der Sendung zudem eine weitere Finanzierungsrunde abgeschlossen und weitere zwei Millionen Euro eingesammelt. 

Die Technologie kommt bei den Investoren also gut an – aber was genau steckt dahinter und welche Pläne haben die Unternehmer? Wir haben mit Presize-Mitgründer und -CEO Leon Szeli über den Auftritt bei „Die Höhle der Löwen“, sein Unternehmen und die Zukunft des Online-Modehandels gesprochen.

Presize-Mitgründer Leon Szeli im Interview

OnlinehändlerNews: Wieso habt ihr euch dazu entschieden, Presize.ai zu gründen?

Presize Founder Leon Szeli CEO

Leon Szeli: Wir haben uns bei unserem Honors Degree am Center for Digital Technology and Management (CDTM) in München kennengelernt. Für uns drei war klar: Nach einem sehr akademischen Werdegang (Stanford, Cambridge, TU München) wollten wir unbedingt in der Praxis – als Unternehmer – ein echtes Problem lösen. Am CDTM haben wir einen ersten Prototypen entwickelt, ursprünglich für die Anwendung bei Berufsbekleidung. Stellen Sie sich vor, Siemens braucht 100.000 neue Blaumänner für alle Mitarbeiter. Das war bisher ein extrem analoger und ineffizienter Anprobeprozess. Das wollten wir digitalisieren mit dem Smarpthone und KI. Allerdings hat sich herausgestellt, dass das Problem im E-Commerce noch größer ist. In unserem Freundeskreis war das ein massives Problem – wir haben Bekannte, die von großen Shops aufgrund ihrer Retourenquote gesperrt wurden und es gibt Shops, die ihren Nutzern verbieten, das gleiche Produkt in zwei Größen zu bestellen. Nach den ersten Gesprächen mit Shops haben wir gemerkt, dass unser Prototyp hier perfekt einsetzbar ist.

Mit eurer Technologie vermesst ihr die Kunden mit Hilfe der Smartphone-Kamera, um die richtige Größe beim Kleidungskauf zu finden – und so Retouren zu reduzieren. Was unterscheidet euer System von euren Mitbewerbern?

Die kurze Antwort: Unsere Lösung ist basierend auf objektiven KPIs und A/B-Tests einfach überlegen. Unsere patentierte Technologie berechnet die genauesten Körpermaße auf dem Markt, wie eine Studie mit 255 Teilnehmern gezeigt hat. Aufgrund unserer einzigartigen User-Experience – einer Größenempfehlungen mit und ohne Aufnahme eines Videos – haben wir die höchste Adoption-Rate, Conversion-Rate, das heißt Vertrauen in die Größenempfehlungen, und auch die höchste Senkung der Retourenquote, aufgrund der genauen Körpermaße und der ständigen Verbesserung unseres KI-Algorithmus basierend auf Retourenverhalten von anderen Nutzern mit ähnlichen Körpern.

Die längere Antwort:

Für unsere Wettbewerber muss man eine native Standalone-App herunterladen und anschließend mehrere Fotos in sehr enger Kleidung, perfekter Körperhaltung und mit neutralem Hintergrund aufnehmen, um ein korrektes Ergebnis zu erhalten. Solche Lösungen ziehen unsere Kunden nicht in Erwägung und den Nutzern ist die UX einfach zu schwach. Mit Presize gibt es keinen Download, wir sind komplett web-basiert, man muss nicht mehrere Fotos aufnehmen, sondern nur ein kurzes Video, in dem man sich einmal im Kreis dreht. Alternativ kann man auch nur Fragen beantworten. Für uns muss man sich nicht umziehen – das Ganze funktioniert mit Jeans und T-Shirt und wir sind robust gegen falsche Körperhaltung. Das heißt, Presize funktioniert mit echten Nutzern – nicht nur unter Laborbedingungen.

Wir hatten in den letzten Wochen vier Modemarken, die sich für Presize entschieden haben, nachdem sie zuvor eine reine Fragebogenlösung verwendet hatten. Objektive Körpermaße (ermöglicht Anzeige vom Fit pro Körperteil) und das Lernen von Retourenverhalten von anderen Nutzern mit ähnlichen Körpermaßen sind hier unser Schlüssel zum Erfolg. Das funktioniert natürlich nur, wenn man objektive und genaue Körpermaße der Nutzer hat, was bei Fragebogenlösungen nicht der Fall ist.

Wüsstest du, ob dein Körper eine H-Körperform, A-Körperform, V-Körperform oder O-Körperform hat? Im Vergleich zu wem? Deinem Idealbild? Dem Durchschnittsdeutschen? Deiner Peer Group? Wir wissen, dass ein Großteil der Nutzer bei der Antwort dieser Fragen einfach unsicher ist oder sie schlicht nicht beantworten kann. Das wirkt sich natürlich auch auf das Vertrauen in das Ergebnis (Größenempfehlung) und somit die Conversion- und Adoption-Rate aus. Presize kannst du ehrlich „Ich weiß es nicht“ antworten. Wenn du das zu oft tust, bieten wir dir an, ein Video aufzunehmen, damit du ein objektives Ergebnis erhältst.

Wir sehen einen starken Trend in Richtung 3D und Virtual Fitting. Das heißt, die Nutzer wollen sich selbst und das Produkt, das sie kaufen wollen, in 3D sehen. Spätestens dann sind Fragebögen komplett überholt. Mit Presize kann man hingegen 3D-Modelle ausgeben. Wir vereinen also das Beste aus beiden Welten: Computer Vision und Fragebogen. Nur so kann es funktionieren.

„Für Fashion-E-Commerce-Shops ist IT-Kapazität immer rar“

Bei „Die Höhle der Löwen“ konntet ihr Carsten Maschmeyer überzeugen und habt den Deal nach einem langen Kampf um die Firmenbewertung bekommen. Wie hat sich euer Geschäft seit der Aufzeichnung und der Ausstrahlung der Sendung entwickelt?

Presize DHDL

Die letzten Wochen waren ziemlich verrückt. Die Nutzerzahlen haben sich jeden Monat verdoppelt und wir haben sehr gute Kennzahlen in Projekten mit Branchengrößen wie s.Oliver erzielt. Dass unsere Technologie so gut von Nutzern angenommen wird, freut uns riesig, insbesondere, da es anfangs Bedenken bezüglich „mobile first“ und Datenschutz gab. Wir haben Projekte, in denen 20 Prozent des Traffics unsere Größenberatung in Anspruch nimmt. Die Conversion erhöht sich für Presize-Nutzer um 50 Prozent und die größenbedingten Retouren reduzieren sich ebenfalls um 50 Prozent. Wir haben uns in Kategorien wie Tracht (Krüger Dirndl) über Anzüge (Carl Gross) und Sport (Keller Sports) bis hin zu Shapewear (Shape Me) bewiesen.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Carsten Maschmeyer als Investor bisher?

Herr Maschmeyer lebt ebenfalls in München, daher sehen wir uns oft. Er unterstützt uns insbesondere mit seinem Netzwerk und im strategischen Vertrieb. Das ist die perfekte Ergänzung zu unseren übrigen Investoren, die aus der Modebranche kommen – beispielsweise Christina Rosenberg und Chris Brenninkmeyer.

Wie ihr in der Sendung erklärt habt, nutzen bereits einige – auch größere – Unternehmen eure Technologie im Geschäft. Wie können interessierte Online-Modehändler euer System in ihren eigenen Shop integrieren?

Das ist unsere große Stärke. Für Fashion-E-Commerce-Shops ist IT-Kapazität immer rar. Daher haben wir einen Weg gefunden, in den Shop zu integrieren, der nahezu null Aufwand für den Shop ist:

  1. Wir integrieren über den Google Tag Manager in das Frontend des Shops. Das heißt, wir ergänzen einfach einen „Finde deine Größe“-Button auf der Produktdetailseite. Das dauert wenige Minuten und beinhaltet nur zwei Codezeilen. Dabei sind wir komplett unabhängig vom Shopsystem oder anderen IT-Systemen.

  2. Wir scrapen automatisiert alle Daten von der Produktdetailseite, die wir brauchen (z. B. Titel, Größenformat, Product ID). Das Gleiche tun wir mit den Größentabellen (Scraping von der Produktdetailseite des Kunden-Shops oder der Brand direkt) und strukturieren die Daten so, dass der Algorithmus sie verarbeiten kann.

  3. Wir erhalten in regelmäßigen Abständen Transaktionsdaten vom Shop (Welcher Nutzer hat welches Produkt aus welchem Grund (nicht) retourniert?). Damit lernt der Algorithmus stetig dazu und wir lernen aus dem Retourenverhalten von anderen Nutzern mit ähnlichen Körpern. Auch wenn die Produktdaten mal nicht korrekt waren, merken wir das somit automatisch.

Darüber hinaus kann der Shop uns noch weitere Daten zur Verfügung stellen. Das ist aber nicht notwendig. Ich schätze den Gesamtaufwand auf Kundenseite auf wenige Arbeitsstunden.

„Niedrige Retourenraten sind wichtiger denn je“

Welche Voraussetzungen müssen Händler erfüllen, um Presize.ai in ihren Shop einbinden zu können?

Solange der Shop Produkte verkauft, die Größen haben, dies aus der Produktdetailseite hervorgeht (z. B. Dropdown mit Größenauswahl) und es irgendwo im Internet oder intern eine Größentabelle gibt, die das Produkt annähernd repräsentiert, kann er Presize nutzen. Erfahrungsgemäß sind das 100 Prozent aller Shops mit über 10 Millionen Euro Jahresumsatz.

Die Coronakrise hat sich zunächst auch stark auf den Online-Modehandel ausgewirkt. Wie ist es euch in der Pandemie bisher ergangen?

Tatsächlich haben wir kaum Auswirkungen gespürt – falls überhaupt, waren sie eher positiv. Der Digitalisierungsdruck und ein klarer Fokus auf E-Commerce statt stationärem Handel spielen uns eher in die Karten. Höhere Conversions und niedrige Retourenraten sind wichtiger denn je. Außerdem tun sich auch neue Geschäftsfelder auf, zum Beispiel im Bereich Berufsbekleidung und medizinische Kompressionsbekleidung.

Nun habt ihr ein großes Investment erhalten und durch die Vox-Sendung auch einen Bekanntheitsboost erfahren. Was sind die nächsten Schritte für die Presize-Technologie?

Unser nächster Schritt ist, mit den großen Multi-Brand-Playern in Deutschland zu interagieren. 2021 werden wir dann andere europäische Länder und die USA bedienen, wo es bereits rege Nachfrage gibt. Wir entwickeln dabei sehr kunden- und nutzerzentriert. Ideen gibt es mehr als genug, wir versuchen zuerst das zu entwickeln, was hohen Impact hat. Aktuell ist das unser Tracking Dashboard (Welche Körper/Demographien retournieren/konvertieren welche Produkte in welcher Größe aus welchem Grund?) und die Visualisierung unserer 3D-Körpermodelle.

Was ist eure große Zukunftsvision für Presize.ai?

50 Prozent der online gekauften Kleidungsstücke werden zurückgegeben, was zu vermeidbaren Umweltschäden, Kundenfrustration und großen finanziellen Verlusten in einem 450-Milliarden-Euro-Markt führt. Die Vision von Presize ist es, bis 2023 Nutzern für eine Milliarde Kleidungsstücke die perfekte Passform zu liefern, wovon Shops, Endkonsumenten und der Planet Erde profitieren. So rechnen wir mit einem Mehrumsatz von sieben Milliarden Euro für Unternehmen, Kunden sparen 500 Millionen Stunden Zeit beim Online-Modekauf und unsere Technologie kann bis zu 500.000 Tonnen CO2 einsparen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Über den Autor

Michael Pohlgeers
Michael Pohlgeers Experte für: Marktplätze

Micha gehört zu den „alten Hasen“ in der Redaktion und ist seit 2013 Teil der E-Commerce-Welt. Als stellvertretender Chefredakteur hat er die Themenauswahl mit auf dem Tisch, schreibt aber auch selbst mit Vorliebe zu zahlreichen neuen Entwicklungen in der Branche. Zudem gehört er zu den Stammgästen in unseren Multimedia-Formaten, dem OHN Podcast und unseren YouTube-Videos.

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