Beschluss des OLG Frankfurt

240 Abmahnungen pro Jahr: Rechtsmissbräuchliche Serienabmahnung

Veröffentlicht: 10.11.2020 | Geschrieben von: Melvin Louis Dreyer | Letzte Aktualisierung: 10.11.2020
Aktenstapel

Immer dann, wenn hinter einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung scheinbar sachfremde Motive stecken, die das Gesetz als nicht schutzwürdig erachtet, steht die Rechtsmissbräuchlichkeit im Raum. Das ist besonders dann der Fall, wenn die Abmahnung vorwiegend dazu dient, gegen den Abgemahnten etwa einen Anspruch auf Kostenersatz für die Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. Dem Gesetz ist das ein Dorn im Auge, schließlich dient eine Abmahnung dann nicht mehr der beabsichtigten Selbstregulierung des Wettbewerbs. 

Das Oberlandesgericht Frankfurt befasst sich in einem aktuellen Beschluss mit diesem Merkmal der Rechtsmissbräuchlichkeit (Beschluss v. 25.09.2020, Az. 6 U 57/20). Die Betreiberin eines Reisebüros war abgemahnt worden, der Streit landete sodann vor Gericht. In erster Instanz wies das LG Frankfurt die Klage ab: Es fehle an einem konkreten Wettbewerbsverhältnis, sodass die abmahnende Klägerin einen Anspruch nicht geltend machen könne. Dagegen ging sie in Berufung, die nun aber ebenfalls zurückgewiesen wurde. 

Massenhafte Abmahnung potentieller Mitbewerber dient keinem lauterem Interesse

Damit ein Mitbewerber gegen den Wettbewerbsverstoß eines Konkurrenten rechtlich vorgehen kann, muss er verschiedene Voraussetzungen erfüllen. Die Rechtsprechung fordert dabei etwa das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses. Die Klägerin machte hier geltend, unter anderem ebenfalls auf dem Reisemarkt tätig zu sein. Wie das Gericht feststellte, sei das „wenn überhaupt“ nur vorbereitend und in sehr speziellen Segmenten der Fall. Die meisten ihrer Tätigkeiten würden sich erst im Planungsstadium befinden, und das seit mehreren Jahren. Die übrigen (geplanten) Tätigkeiten kämen für ein Wettbewerbsverhältnis mit der Beklagten gar nicht erst in Betracht. 

Wenngleich sie die geplante Tätigkeit im Bereich Reisen mit einem weitgehend geschwärzten Vertrag nicht nachweisen konnte, sah das Gericht hier schon ein weiteres Problem: „Selbst wenn man auf Grundlage der vagen Angaben der Klägerin von einer geplanten Tätigkeit als Reisevermittlerin ausgehen wollte, lässt sich in diesem Stadium aus Sicht eines wirtschaftlich denkenden Gewerbetreibenden die massenhafte Abmahnung von potentiellen Mitbewerbern nicht mit lauteren Interesse erklären“, schreibt das Gericht im vorangegangenen Hinweisbeschluss. Kein kaufmännisch handelnder Unternehmer würde Kostenrisiken in einer für sein Unternehmen existenzbedrohenden Höhe durch eine Vielzahl von Abmahnungen oder Aktivprozessen eingehen, wenn er an der Unterbindung der Rechtsverstöße nicht nennenswert wirtschaftlich interessiert ist. In diesem Fall hat die Klägerin in einem Jahr 243 Abmahnungen ausgesprochen. 

Indizien für die Rechtsmissbräuchlichkeit von Abmahnungen

Vor Gericht hatte die Klägerin angeführt, dass eine Rechtsmissbräuchlichkeit grundsätzlich dann in Frage komme, wenn der Abmahner eben kein nennenswertes wirtschaftlichen Interesse hat – also durch den Verstoß des Abgemahnten eigentlich gar nicht tangiert wird. Gleichzeitig aber müsste der Abmahner dann auch „zu arm“ für die Abmahnungen sein – die Kosten der Abmahnungen ihn als unter Bezugnahme auf seinen Jahresgewinn in seiner Existenz bedrohen. Beide Aspekte müssten also zusammen vorliegen, damit man überhaupt von einer Abmahnung sprechen kann. Diese Argumentation überrascht wenig, da sie laut dem Beschluss behauptet hat, über erhebliche Mittel zu verfügen. Damit wäre nach dieser Ansicht also kein Platz mehr für die Annahme einer Rechtsmissbräuchlichkeit.

Das OLG Frankfurt sieht das aber anders: Wenn beide Aspekte zusammen vorliegen, könne man zwar regelmäßig davon ausgehen, dass die Abmahnung rechtsmissbräuchlich ist. Das schließe aber die Rechtsmissbräuchlichkeit in anderen Fällen nicht aus. „Vielmehr bedarf es stets einer Gesamtabwägung der Umstände des konkreten Einzelfalls.Grundsätzlich kann eine hohe Anzahl von Abmahnungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums schon für sich genommen den Missbrauch indizieren“, heißt es im Beschluss. 

Marktbereinigungsinteresse sei nur vorgeschoben

Auch von einem weiteren Argument zeigte sich das Gericht nicht überzeugt. Prinzipiell ist es zwar so, dass viele Abmahnungen ausgesprochen werden können, wenn sich viele Mitbewerber unlauter Verhalten. Das Argument gelte aber nicht, wenn dieses „Marktbereinigungsinteresse“ nur vorgeschoben sei. „So liegt es im Streitfall. Die Klägerin hat keine Verstöße abgemahnt, die sie ersichtlich in ihrer Geschäftstätigkeit behindern. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sie nur gegen solche Unternehmen vorgegangen ist, mit denen sie - sachlich oder örtlich – in einem intensiven Wettbewerb steht“, so das Gericht, das neben den anderen Aspekten auch darauf abstellt, dass der Verstoß im Hinblick auf Pflichten zum Hinweis auf die Streitschlichtungsplattform hier die abmahnende Klägerin nicht in ihrer Tätigkeit beeinträchtige. 

Ob eine Abmahnung rechtsmissbräuchlich ist, entscheidet sich stets nach den Gesamtumständen des Falls. Nicht immer ist das einfach zu beurteilen. Einzelne Merkmale, wie etwa besonders häufige Abmahnungen haben zwar eine Indiziwirkung, doch bedarf es dennoch einer Gesamtabwägung. Rechtsmissbrauch setzt, so das Gericht jedenfalls, nicht voraus, dass der Abmahner besonders viele Abmahnungen ausspricht und sich das dann auch noch nicht leisten kann. „Schon bei Vorliegen eines dieser beiden Kriterien kann Rechtsmissbrauch angenommen werden, wenn weitere Umstände hinzukommen“, gibt das Gericht mit auf den Weg.

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