Urteil des EuGH

Snack oder Badekugel? – Verbot von Kosmetika bei Verwechslungsgefahr mit Lebensmitteln

Veröffentlicht: 08.06.2022 | Geschrieben von: Melvin Louis Dreyer | Letzte Aktualisierung: 08.08.2022
Badekugel in Eiswaffel

Mitgliedstaaten der EU dürfen den Verkauf lebensmittelähnlicher Kosmetikprodukte untersagen, das entschied jetzt der Europäische Gerichtshof (Urteil v. 2. Juni 2022, Az. C-122/21). Dies gilt allerdings nur, wenn eine Verwechslungsgefahr und eine Gefährdung der Gesundheit besteht. Hinter der Entscheidung steht ein Fall aus Litauen: Dem Hersteller von Badekugeln, die wie Lebensmittel aussehen, wurde vorgeworfen, diese zu verkaufen und besonders die Gesundheit von Kindern zu gefährden. 

Produkte, die nur wie Lebensmittel aussehen – nicht per se gefährlich?

Der Hersteller von Kosmetika vertreibt seine Produkte in Litauen über eine Website. Bei einer Kontrolle der Behörden kamen diese zu dem Schluss, dass einige der Produkte, verschiedene Arten von Badekugeln, das Erscheinungsbild von Lebensmitteln hätten. Für Verbraucher und besonders für Kinder sei damit die Gefahr einer Vergiftung verbunden, die Sicherheit von Verbrauchern sei gefährdet, so die Feststellung. In der Folge kam es zur Anordnung gegenüber den Hersteller, dass die Produkte vom Markt genommen werden müssten.

Der Fall landete vor dem obersten Verwaltungsgericht in Litauen, das sich wiederum an den EuGH gewendet hat. Dabei geht es um die Auslegung der EU-Richtlinie 87/357, die sich mit Erzeugnissen befasst, „deren tatsächliche Beschaffenheit nicht erkennbar ist und die die Gesundheit oder die Sicherheit der Verbraucher gefährden“. 

Der EuGH stellt seiner Pressemitteilung zufolge fest, dass die Richtlinie nach ihrem Wortlaut Erzeugnisse betrifft, die „die Sicherheit oder die Gesundheit der Verbraucher gefährden und die zwar keine Lebensmittel sind, aber das Erscheinungsbild von Lebensmitteln haben, und deren Einnahme mit Risiken wie der Gefahr des Erstickens, der Vergiftung, der Perforation oder des Verschlusses des Verdauungskanals verbunden ist“. Ist demnach jedes Erzeugnis, das aussieht wie ein Lebensmittel, ganz automatisch gefährlich? Eher nicht. Ausdrücklich lässt der EuGH wissen, dass der Wortlaut der Bestimmungen keine Vermutung über die Gefährlichkeit von Erzeugnissen, die mit Lebensmitteln verwechselt werden können, einführt. 

Vermarktungsverbot – unter welchen Umständen?

Eine solche (gesetzliche) Vermutung hätte unter Umständen weitreichende Konsequenzen: Die Richtlinie, welche die Mitgliedstaaten in eigenes Recht übersetzt haben, sieht nämlich das Verbot der Vermarktung, der Einfuhr, der Herstellung oder der Ausfuhr bestimmter Erzeugnisse vor. Zu diesen Konsequenzen kann es aber natürlich auch kommen, obwohl es keine Vermutungsregelung in der Richtlinie gibt – ausschlaggebend seien dafür grundsätzlich vier kumulative Voraussetzungen: 

  • Erstens muss es sich beim Erzeugnis um ein Nicht-Lebensmittel handeln, das die Form, den Geruch, die Farbe, das Aussehen, die Aufmachung, die Etikettierung, das Volumen oder die Größe eines Lebensmittels hat.
  • Zweitens müssen die vorstehend genannten Merkmale so beschaffen sein, dass vorhersehbar ist, dass Verbraucher, insbesondere Kinder, das Erzeugnis mit einem Lebensmittel verwechseln. 
  • Drittens muss vorhersehbar sein, dass Verbraucher das Erzeugnis deshalb zum Mund führen, lutschen oder verschlucken. 
  • Viertens muss es mit Risiken wie der Gefahr des Erstickens, der Vergiftung, der Perforation oder des Verschlusses des Verdauungskanals verbunden sein können, wenn dieses Erzeugnis zum Mund geführt, gelutscht oder geschluckt wird. 

Nationale Behörden müssen Einzelfälle prüfen

Dass es keine Vermutungswirkung in der Richtlinie gibt, bedeutet in diesem Kontext, dass man aus Perspektive der Regelungen nicht davon ausgehen muss, dass beispielsweise eine wie ein Törtchen oder eine Praline aussehende Badekugel diese Voraussetzungen prinzipiell erfüllen dürfte. Speziell mit Blick auf die letzte der vier Voraussetzungen, die gesundheitlichen Konsequenzen, stellt der EuGH fest, dass die Risiken im Gegenteil im konkreten Einzelfall beurteilt werden müssten. Für den Erlass einer Entscheidung über ein Vermarktungsverbot solcher Erzeugnisse seien insofern die nationalen Behörden verpflichtet, die Merkmale entsprechend in jedem Einzelfall zu prüfen.

Bei dieser Beurteilung müssten sie aber auch die Verletzlichkeit spezifischer Personen- und Verbrauchergruppen berücksichtigen, hebt der EuGH hervor – also beispielsweise von Kindern oder älteren Menschen. Zugleich seien die nationalen Behörden aber durch die Richtlinie nicht verpflichtet, durch objektive und belegte Daten nachzuweisen, dass solche Erzeugnisse mit Lebensmitteln verwechselt werden könnten oder dass die Gefahren für Gesundheit oder Sicherheit erwiesen sind. Mit anderen Worten: Die Behörden müssten etwa für eine Verbotsverfügung nicht zwingend einen sicheren Nachweis anführen. 

Der Fall selbst ist vom EuGH nicht entschieden worden, dieser hat sich vielmehr lediglich mit der Auslegung von Europarecht befasst. Die Sache geht nun wieder zurück an das nationale Gericht. 

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