Verwaltungsgericht Lüneburg

Reisezeit mit der Bahn ist Arbeitszeit

Veröffentlicht: 07.06.2023 | Geschrieben von: Melvin Louis Dreyer | Letzte Aktualisierung: 07.06.2023
Reisender mit Koffer vor Zug am Bahnsteig

Die Reisezeit mit dem Zug ist als Arbeitszeit zu sehen – das entschied jetzt das Verwaltungsgericht Lüneburg im Hinblick auf die Mitarbeiter eines Speditionsunternehmens (Urteil v. 2.5.2023, Az. 3 A 146/22). Wohlgemerkt ging es nicht darum, dass diese etwa gerade eine Lokomotive steuern – auf dem Weg waren die Mitarbeiter zu Abholorten von Fahrzeugen, die sie überführen sollten. 

Das Unternehmen hatte geklagt, nachdem die Gewerbeaufsicht ihr aufgegeben hatte, die zulässigen Höchstarbeitszeiten einzuhalten und dabei auch die Reisezeit einzukalkulieren. 

Der Fall: Arbeitnehmer dürfen im Zug Däumchen drehen

Die Arbeitnehmer, die für diese Überführungen von Nutzfahrzeugen wie Sattelzugmaschinen eingesetzt werden, fahren üblicherweise mit dem Taxi und der Bahn zum jeweiligen Abholort des Fahrzeugs, übernehmen es und fahren es auf eigener Achse zum Zielort. Von dort geht es mit der Bahn wieder zurück zum Wohnort. 

Als sich das Gewerbeaufsichtsamt mit dem Unternehmen auseinandersetzte und ihm aufgab, die zulässigen Höchstarbeitszeiten einzuhalten, stellte es auch fest, dass die entsprechenden Bahnreisezeiten als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes zu berücksichtigen seien. Die Spedition sah das allerdings anders und argumentierte, dass die betroffenen Arbeitnehmer während der Bahnfahrt völlig frei in der Gestaltung ihrer Zeit seien. Ihnen würde insofern nur ein „Freizeitopfer“ abverlangt werden. 

Steht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung?

Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat sich dieser Ansicht allerdings nicht angeschlossen. Wegen der europarechtlichen Grundlagen, der Arbeitszeit-Richtlinie, müsse im vorliegenden Fall von der üblichen Definition, die das Bundesarbeitsgericht benutzt, um den Begriff Arbeitszeit zu bestimmen, abgewichen werden. Dieser zufolge schaut man sich die Frage, ob es sich um Arbeitszeit handelt oder nicht, anhand der sogenannten Beanspruchungstheorie an: Entscheidend für die Erfassung einer Tätigkeit als Arbeitszeit sei insofern, ob es eine dem Gesundheitsschutz zuwiderlaufende Belastung gebe. 

Aus europarechtlicher Sicht sehe das aber anders aus, teilt das VG Lüneburg mit. Hier sei allein entscheidend, ob der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung stehe und seine Tätigkeit ausübe oder Aufgaben wahrnehme. 

VG Lüneburg: Arbeitnehmer haben keine Wahl 

Vor diesem Hintergrund kommt das Gericht zu dem Schluss, dass die Bahnreisezeit als Arbeitszeit zu bewerten sei. „Denn die regelmäßig mehrstündige An- und Abreise mit der Bahn sei einerseits bereits Teil der Leistungserbringung und beschränke andererseits die Freiheit der Fahrer, über ihre Zeit selbst zu bestimmen“, gibt das Gericht in seiner Mitteilung über die Entscheidung wieder. Die Dauer der Reisezeit hänge insofern auch allein davon ab, an welche Orte das Fahrzeug überführt werden müsse. Die Arbeitnehmer könnten hier darüber nicht entscheiden, anders als etwa bei der Fahrt zur Betriebsstätte. Damit sei die Dauer der Bahnfahrt der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen. 

Aus besonderen deutschen und europäischen Vorschriften zur Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausübten, würde sich auch nicht anderes ergeben, da diese hier nicht anwendbar seien. 

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, das klagende Speditionsunternehmen kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils Antrag auf Zulassung der Berufung stellen. 

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