Novellierung des Kartellrechts

„Händler sollen Zugang zu Plattform-Nutzerdaten bekommen"

Veröffentlicht: 12.02.2020 | Geschrieben von: Patrick Schwalger | Letzte Aktualisierung: 12.02.2020
Logos von Google, Facebook, Amazon, Apple

Im Januar hat das Bundeswirtschaftsministerium unter Peter Altmaier (CDU) einen mit Spannung erwarteten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) veröffentlicht. Bereits zum zehnten Mal soll das GWB novelliert werden, das zentrale Gesetz des deutschen Kartellrechts. Diesmal soll erreicht werden, dass missbräuchliches Verhalten von marktbeherrschenden digitalen Plattformen besser verhindert werden kann, indem dem Bundeskartellamt mehr Handlungsbefugnisse gegeben werden. Passend, dass der Gesetzentwurf weitgehend als „GWB-Digitalisierungsgesetz” bezeichnet wird. 

Aber was genau bedeuten die vorgeschlagenen Änderungen? An Misstrauen und Verdacht gegenüber den Praktiken einiger Plattformen mangelt es nicht. So klagen Online-Händler oft über die Bedingungen, die für Händler auf Plattformen wie Amazon herrschen. Können Händler in Zukunft besser gegen Ungerechtigkeiten auf Amazon vorgehen? Was wird eigentlich geändert? Und wie kommt das Bundeskartellamt ins Spiel? 

Wir haben Rechtsanwalt Timo Schoos, Experte für IT-Recht und deutsches und europäisches Kartellrecht, von der ITB Rechtskanzlei zu dem Thema interviewt. 

Alte Regeln, neuer Anstrich

OnlinehändlerNews: Herr Schoos, worüber reden wir eigentlich beim Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und warum soll es erneuert werden? 

Das GWB regelt das Kartellrecht in Deutschland. Es hat drei Säulen: Das Kartellverbot, das Verbot von Missbrauch durch marktbeherrschende bzw. marktmächtige Unternehmen und die Fusionskontrolle. Der Gesetzentwurf der Regierung befasst sich insbesondere mit dem Missbrauchsverbot und soll das Gesetz in diesem Bereich an die Digitalisierung anpassen. Denn der Zugang zu Daten kann Marktmacht schaffen und verstärken, gerade in der Plattformökonomie ist das von Bedeutung. Deswegen soll es dem Bundeskartellamt (BKartA) möglich gemacht werden, schneller tätig zu werden, wenn es zu einer missbräuchlichen Ausnutzung von Marktmacht durch Digitalunternehmen kommt, die dadurch den Wettbewerb einschränken. Das ist nämlich die Aufgabe des BKartA: Es soll  die Vorschriften zum Schutz des Wettbewerbs in Deutschland überwachen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass das BKartA dem Einzelnen bei der Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Interessen helfen soll. Das passiert eher über das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und das Instrument der Abmahnung. Aber wenn der Wettbewerb in Deutschland im Rahmen des GWB funktioniert, und einzelne Unternehmen sich eben keine unrechtmäßigen Vorteile verschaffen können, profitieren die Händler natürlich davon. 

Es wird also ein bestehender Rechtsrahmen auf die digitale Plattformökonomie ausgeweitet. Die Bundesregierung begründet den Entwurf damit, dass es Handlungsbedarf mit Blick auf die Internetriesen Amazon oder Facebook gibt. 

Es gibt ja immer wieder Berichte darüber, dass Händler auf dem Amazon-Marktplatz entgegen der Wettbewerbsregeln eingeschränkt werden. Ein Beispiel: Ein Händler vertreibt sehr erfolgreich Gardinenstangen und generiert einen großen Teil seiner Umsätze über den Amazon-Marktplatz. Amazon bekommt natürlich die Daten darüber und fordert den Händler dazu auf, seinen Zulieferer zu nennen. Plötzlich wird das Händlerkonto geschlossen und ein paar Wochen später bietet Amazon genau die Gardinenstangen des Händlers selbst an, vom selben Zulieferer! Da nutzt die Plattform ihre Marktmacht und den Datenbesitz aus, um ein gut laufendes Produkt selbst anzubieten und den ursprünglichen Händler auszustechen. Künftig soll das Bundeskartellamt leichter dagegen vorgehen können, wenn es Anzeichen dafür gibt, dass Amazon durch solche Praktiken den Wettbewerb behindert. 

Gerade der Zugriff auf Nutzerdaten von Plattformen ist ein wichtiger Bestandteil des Gesetzentwurfs. Auf vielen Plattformen generieren die Händler, die darauf tätig sind, eine riesige Menge an solchen Daten. Zugriff darauf haben aber nur die Plattformbetreiber. Wie soll das in Zukunft fairer gestaltet werden?

Marktbeherrschende Plattformen sollen den Händlern künftig Zugang zu diesen Daten gewähren. Das trifft alle Akteure mit einer relativen Marktmacht in einem bestimmten Markt. Deswegen ist es verkürzt, das Gesetz bloß ein Lex Amazon zu nennen. Denn davon sind auch Plattformen in Nischenmärkten betroffen. Das könnte also auch eine Imkerplattform treffen, wenn diese den Imkermarkt beherrscht. 

Neu ist, dass diese Regelung auf die digitale Wirtschaft ausgeweitet wird. Es gibt bereits seit einigen Jahrzehnten die sogenannte „essential facilities doctrine”, die besagt, dass man unter gewissen Umständen Infrastruktur oder Informationen für Konkurrenten bereitstellen muss, die für bestimmte Dienstleistungen oder Produkte nötig sind. Beispiele für geteilte physische Infrastruktur sind das Zugschienennetz, das auch Konkurrenten der Deutschen Bahn nutzen, oder Telefonleitungen, die allen Wettbewerbern im Telekommunikationsmarkt offen stehen. Nun wird dieses Prinzip auf Daten ausgeweitet und Händler haben einen Anspruch auf die Nutzerdaten einer Plattform. Allerdings darf für die Nutzung dieser Daten dann auch ein angemessenes Entgelt verlangt werden. Kostenlos bekommen Händler die Nutzerdaten also nicht. 

Wie lässt sich Fairness erreichen?

Amazon steht auch immer wieder im Verdacht, die eigenen Produkte auf dem Marktplatz günstiger zu platzieren als die Produkte von externen Händlern. 

Allerdings, aber die GWB-Novelle führt neue Verhaltenspflichten für große Plattformen ein. Und wenn dagegen verstoßen wird, kann das Bundeskartellamt dagegen vorgehen. Nehmen wir genau das „self-preferencing”, also wenn eigene Angebote durch ein marktbeherrschendes Unternehmen besser zugänglich oder in den Suchergebnissen besser platziert ist. Das Bundeskartellamt soll diese Praktik künftig untersagen können. Und wenn trotz eines Verbots weiter solches missbräuchliches Verhalten vorliegt, dann können Bußgelder von bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes verhängt werden. Dem BKartA werden durch die Gesetzesnovelle neue Türen geöffnet, es wird mehr Handlungsbefugnisse haben und es wird schneller tätig werden können. 

Könnte man große Unternehmen durch die Gesetzesänderung bald auch zerschlagen? Solche Forderungen kommen regelmäßig aus der Politik, aber auch von Forschern oder Aktivisten. 

Den Wunsch nach Unternehmenszerschlagung hört man tatsächlich öfter, aber dafür gibt es weder in Deutschland noch in der EU eine Rechtsgrundlage. In den USA gibt es eine entsprechende Klausel, aber bei uns ist das nicht möglich. Darüber hinaus wurde auch in den USA von dieser Möglichkeit in der jüngeren Vergangenheit kein Gebrauch mehr gemacht.

Viele Händler haben sich letztes Jahr darüber gefreut, als Amazon auf Druck des Bundeskartellamts seine AGB etwas händlerfreundlicher gestaltet hat. Stellt der vorliegende Gesetzentwurf einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zu fairen Bedingungen zwischen Plattformen und Händlern dar?  

Es ist in jedem Fall ein wichtiger Schritt, man muss an diesen Punkten ja irgendwann ansetzen und das Kartellrecht an die Digitalisierung anpassen. Aber grenzenlose Euphorie ist zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht angebracht. Es wird erst einmal noch einige Monate dauern, bis der jetzige Referentenentwurf zur Abstimmung im Bundestag landet. Und selbst wenn das Gesetz irgendwann in Kraft tritt, erwarte ich erst einmal Auseinandersetzungen vor Gericht, in denen die Anwendung der neuen Regeln richterlich präzisiert wird. Das wird sich über mehrere Jahre ziehen bis es dort zu Entscheidungen kommt. 

Für Händler wird es zudem auch weiterhin zeitlich und finanziell schwierig bleiben eine juristische Auseinandersetzung mit großen Plattformen einzugehen. Das dauert gerne einmal fünf Jahre und frisst zehntausende Euros. Und wenn man einmal auf keinen grünen Zweig mit Amazon mehr kommt, hilft es auch nicht weiter, ein Verfahren zu gewinnen, wenn man danach keinen Fuß mehr auf dem Marktplatz fassen kann. Aber über die erweiterten Befugnisse des Bundeskartellamts können wirkliche Verbesserungen für die Händler erreicht werden, daher ist der Gesetzentwurf im Großen und Ganzen eine gelungene Initiative.

Interviewpartner

Timo Schoos   

Timo Schoos arbeitet als Rechtsanwalt für die ITB Rechtsanwaltskanzlei mbH in Leipzig. Neben der Vertragsgestaltung im Bereich IT-Recht gehört das deutsche und europäische Kartellrecht zu seinen Fachgebieten. Darüber hinaus ist Herr Schoos als TÜV zertifizierter Datenschutzbeauftragter für zahlreiche große und kleine Unternehmen tätig. Dabei hilft ihm seine mehrjährige Tätigkeit als Projektmitarbeiter bei einem Softwareanbieter die Anforderungen seiner Mandanten juristisch umzusetzen.  

 

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