Drei Juristen, vier Meinungen

Sollte es ein Recht auf Homeoffice geben?

Veröffentlicht: 04.06.2020 | Geschrieben von: Christoph Pech | Letzte Aktualisierung: 04.06.2020
Videokonferenz am Laptop

Das Thema „Homeoffice“ war noch nie so aktuell wie in der Coronakrise. Schon werden Stimmen laut, die ein Recht auf die Heimarbeit einfordern – und andere Stimmen, die das eher kritisch sehen. Drei Juristen und ein Redakteur, der garantiert kein Jurist ist, schauen sich das Thema in unserem neuen Format aus individuellen Blickwinkeln an.

Christoph, kein Jurist

Christoph Pech

„Drei Juristen, vier Meinungen“ heißt das neue Format. Übersetzt also ungefähr: Drei mit Ahnung, die das Geschwafel eines armen Redakteurs fachkundig auseinandernehmen. Aber gut, Berufsrisiko. Und im Homeoffice muss ich mir die Zurechtweisungen ja wenigstens nur virtuell antun. Im Homeoffice, in dem viele von uns seit Mitte März feststeck(t)en.

Ende April stellte Arbeitsminister Hubertus Heil dann tatsächlich die Forderung nach einem Recht auf Homeoffice in den Raum. Das Echo war geteilt, die Idee hat aber ihren Reiz. Viele Unternehmen, in denen das Arbeiten von zu Hause bislang eher die Ausnahme war, haben mittlerweile gemerkt, wie gut mobiles Arbeiten funktionieren kann. Hier in der Redaktion zum Beispiel hat sich, abgesehen von der Tatsache, dass die Kollegen in Videokonferenzen Jogginghosen tragen, quasi nichts geändert.

Pro Homeoffice: Unbegründeter Kontrollwahn

Darum bin ich auch unbedingt für den Vorschlag – wenn er denn vernünftig in geltendes Recht übersetzt wird. Natürlich gilt es an dieser Stelle, datenschutz- sowie arbeitsschutztechnisch genau hinzuschauen. Aber im Grunde zeigt die Krise doch, wie vernünftig gedachte Digitalisierung den Arbeitsalltag erleichtern und verbessern kann – und dass der Kontrollwahn in vielen Chefetagen unbegründet ist. Wenn sich ein Arbeitnehmer tatsächlich erlauben kann, im Homeoffice Netflix durchzubingen und Kurztrips in die Lüneburger Heide zu buchen – dann ist das Problem nicht die Heimarbeit, sondern der Arbeitnehmer und, liebe Chefs, vielleicht auch der Job als solches.

Denn selbst, wenn meine Chefin mir nicht über den Weg trauen würde (was es dann vielleicht auch auszudiskutieren gelte), dann ist die Arbeit ja trotzdem nicht weg, nur weil ich die Augen schließe. Wird nichts erledigt, gebe es schließlich auch keinen Grund, das Arbeitsverhältnis aufrecht zu erhalten. Mehr Eigenverantwortung, mehr Vertrauen in der Zusammenarbeit und weniger Überwachungsmentalität sind erstrebenswerte Zustände!

Und, jaja, ich weiß, der Friseursalon und das Restaurant können ein Recht auf Homeoffice gar nicht bieten, aber wer mit Berufen argumentiert, die qua Arbeitsbeschreibung ohnehin nicht unter entsprechende Regelungen fallen können, hat nicht verstanden, worum es geht. Und wer aktuell lieber Probleme und rechtliche Fallstricke als die Chancen sieht, der eigentlich auch nicht. Ich übergebe das Wort an die drei mit Ahnung.

Sandra, Volljuristin

Sandra May

Die Forderung nach einem Recht auf Homeoffice passt sehr in die aktuelle Lage, denn: Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern seit Jahren ein entschiedenes „Nein!“ entgegen schmettern, mussten nun merken: Läuft. Auch wenn viele von den Arbeitnehmern nun sicherlich auch wieder froh sind, im Büro arbeiten zu dürfen, hängen sie gleichzeitig auch an der neu gewonnen Flexibilität. Die Möglichkeit zum Homeoffice passt zum Zeitgeist, der eine optimale Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben fordert. Entsprechend wird mit der politischen Forderung nach einem Recht auf Homeoffice gepunktet.

Eins findet bei der Forderung aber keine Erwähnung: der Rattenschwanz. Dieser kommt in Form von Arbeitsschutz daher. Sicherlich wird so mancher lachen, wenn bei Büro-Berufen über Arbeitsschutz gesprochen wird. Aber auch hier müssen Vorschriften eingehalten werden, damit der Arbeitnehmer keinen Schaden nimmt. Kabel dürfen nicht im Weg liegen, Stühle müssen ergonomisch sein und auch die Einhaltung von Pausenzeiten gehört mit dazu. Verbringen Arbeitnehmer 50 Prozent ihrer Arbeitszeit im Homeoffice, müssen diese Vorschriften eingehalten werden. Und wer trägt dafür die Verantwortung? Richtig: die Arbeitgeber. Was zunächst nach einer guten Idee klingt, zieht also einen ganz schönen Rattenschwanz nach sich. 

Contra Homeoffice: Zusatzbelastung für den Arbeitgeber

Sicherlich könnte der gewiefte Arbeitnehmer nun sagen: „Pff, es ist doch meine Sache, ob ich mich selbst gefährde. Hauptsache Flexibilität!“ Diese Eigenverantwortung ist aber im Gesetz nicht vorgesehen. Arbeitnehmer dürfen weder auf Pausen verzichten, noch prinzipiell am unergonomischen Küchentisch arbeiten. Für Arbeitgeber kann die Überwachung von Arbeitsschutzbestimmungen durch ein Recht auf Homeoffice zur echten Belastung werden. Zwar müssen die Arbeitnehmer nach Arbeitsschutzgesetz die Unterweisungen ihres Chefs in punkto Sicherheit und Gesundheit beachten; allerdings tun Arbeitgeber gut daran, Kontrollen mindestens durch Nachfragen durchzuführen und zu protokollieren. 

Wird ein Recht auf Homeoffice gefordert, müssen also auch die Folgen bedacht werden: Wirtschaftlich wie rechtlich. Der Schutz von Arbeitnehmern darf durch ein Recht auf Homeoffice nicht vernachlässigt werden. Auch die Belastung von Arbeitgebern muss bedacht werden. Hier müssen Vor- und Nachteile beachtet werden. Daher sehe ich die aktuell sehr kurz gedachte Forderung nach einem Recht auf bis zu 100-prozentiges Homeoffice als sehr kritisch an. Wer diese Forderung in den Mund nimmt, sollte zumindest auch die anderen Gesetze im Blick haben, die Einfluss auf die praktische Umsetzung haben. 

Yvonne, Volljuristin

Yvonne Bachmann

Millionen Deutsche wurden in den letzten Monaten in ein ganz neues Abenteuer gezwungen: Das Experiment Homeoffice. Weil die Bürotüren vielerorts kompromisslos geschlossen blieben, mussten sich viele Arbeitnehmer ganz neuen Herausforderungen stellen: Funktioniert das Wlan? Klingelt der Postmann bitte nicht während meiner Video-Konferenz (was er heute getan hat...grrrrrh)! Und am wichtigsten: Geht die Jogginghose von gestern heute nochmal… (oder brauche ich überhaupt eine Hose)?

Wie wir gelernt haben, entsteht ein Gesetz nicht mal so über Nacht. Zunächst muss es einen Bedarf geben. Spätestens wenn das Volk laut schreit, ist es Zeit für die Herren Politiker, sich dem Thema mal anzunehmen. Die Themen Homeoffice und Corona kamen quasi zeitgleich auf den Tisch, aber geliebäugelt haben die Deutschen ja schon lange mit dem Gedanken: Schon Anfang 2019 zeigten die Deutschen in einer Umfrage ein reges Interesse an einem Arbeitsplatz abseits vom Gewöhnlichen. 64 Prozent der Befragten gaben an, dass sie einen gesetzlichen Anspruch auf Homeoffice (sofern dies möglich ist) gut fänden. 

Achtung, Katze! Homeoffice und das Problem Datenschutz

Aber dieses Format würde nicht „Drei Juristen, vier Meinungen“ heißen, wenn nicht irgendwo der juristische Zeigefinger erhoben würde. Was bietet sich zum zweiten Geburtstag der DSGVO im Mai besser an als der Datenschutz? Klar, meine zwei Katzen und mein zweijähriges Kind werden sich wohl kaum für die E-Mail-Adresse der Händler interessieren, deren Rechtsfragen ich beantworte. Das Kind kann aber sein Becherchen über die Tastatur kippen (Hallo? Stichwort Datenverfügbarkeit!) und was die Katzen so alles auf dem Kerbholz haben, will ich mir gar nicht ausmalen.

Seien wir doch mal ehrlich! In vielen Firmen hapert es doch schon hinter der Bürotür am Datenschutz – oder gehen Sie auf Toilette und starten vorher erst einmal eine groß angelegte Aufräumaktion, in die mindestens ein Panzerschrank involviert ist? Welche Anarchie muss dann erst herrschen, wenn der Einfluss auf Mitarbeiter und Technik am heimischen Arbeitsplatz schwindet? Ich will mir gar nicht die rauchenden Köpfe der Datenschützer vorstellen, wenn jeder per Gesetz ins Homeoffice geschickt werden darf oder kann.

Tatsächlich steht für mich jedoch fest: Der Datenschutz schließt die Arbeit im Homeoffice oder an anderen Orten außerhalb des Unternehmens nicht aus. Die möglichen menschlichen, technischen (und tierischen) Bedrohungen sind durch Maßnahmen auszuschließen bzw. zu minimieren und im Homeoffice auch nicht besorgniserregender als im Großraumbüro. Für was bezahlt man sonst seinen Datenschutzbeauftragten? Schicken wir ihn doch mal zum Hausbesuch…

Melvin, Diplom-Jurist

Melvin Dreyer

Wie auch mein Kollege Christoph verbrachte ich die letzten Wochen mit wenigen Ausnahmen im Homeoffice. Nach dem anfänglichen Gefühl, die Decke stürze auf meinen Kopf, fand ich mich mit der Lage ab und finde sie mittlerweile sogar ganz gut. Mein Job lässt diese Arbeitsweise, das habe ich durch die jetzige Situation gelernt, auch offenbar unproblematisch zu. Aus meiner Perspektive betrachtet würde mir ein Recht auf Homeoffice wohl kaum weh tun.

Doch wo es des einen Recht auf Homeoffice ist, ist es des anderen Pflicht, Homeoffice zu gewähren, und es stellt sich schon die Frage, inwiefern ein solches Gesetz die Interessen der beteiligten Parteien hier beeinflusst. Vorteile lassen sich auch für den Arbeitgeber finden, jedenfalls in dem Fall, in dem das Homeoffice der Arbeitsleistung nicht im Weg steht. Man hat es also sicherlich mit der Frage zu tun, ob Homeoffice jetzt gut oder böse ist. In meinen Augen entscheidender ist die Frage, wie sinnvoll und verhältnismäßig eine Verpflichtung der Arbeitgeber ist.

Warum ein verpflichtendes Recht auf Homeoffice?

Man kann sich fragen, welchem Zweck ein derartiges Gesetz schließlich diene. Klar, Homeoffice soll ein gesetzlicher Anspruch sein – danke. Das könnte etwa helfen, Familie und Job besser zu wuppen oder gar die Produktivität zu steigern. Für diejenigen, deren Job Homeoffice auch hergibt, für andere aber nicht. Wir sind also in einem Bereich, wo das, was gesetzlich eingeräumt werden soll, ohnehin mal möglich ist. Angenommen, es profitieren also alle davon, dass Beschäftigte nach Lust und Laune das Homeoffice hüten, wozu dann eine Pflicht zum Recht? 

Insofern sind (durch Gesetz) verbürgte Freiheiten wohl wertvoller als jene, die nur durch „Kulanz“ eingeräumt und jederzeit wieder weggenommen werden können. Anders kann man das Gesetz spitzzüngig aber auch so zusammenfassen, dass realitätsverweigernde Arbeitgeber – schließlich würde das Gesetz wie gesagt offenbar nur dort gelten, wo es ohnehin eigentlich kein Problem gäbe – halt mit der eisernen Knute des Gesetzgebers zu ihrem eigenen Glück gezwungen werden. Oder kann der Arbeitsplatz zwar für Homeoffice geeignet sein, der Arbeitgeber aber trotzdem berechtigte entgegenstehende Interessen haben? Dann dürfte es im Einzelfall spannend werden und ein gewisses Risiko bestehen, dass die Regelung vielleicht eher zu Krach zwischen den Parteien führt – weil sie womöglich nicht konkret genug ist, den Anspruch, den sie einräumen will, auch für die Praxis ausreichend zu umreißen. 

Wo eine gesetzliche Festlegung an sich vielleicht begrüßenswert wäre, würde sie dann durch die Schaffung von Unsicherheit konterkariert. Mal sehen, wie der Gesetzesentwurf dazu stehen wird.

Über den Autor

Christoph Pech
Christoph Pech Experte für: Digital Tech

Christoph ist seit 2016 Teil des OHN-Teams. In einem früheren Leben hat er Technik getestet und hat sich deswegen nicht zweimal bitten lassen, als es um die Verantwortung der Digital-Tech-Sparte ging. Digitale Politik, Augmented Reality und smarte KIs sind seine Themen, ganz besonders, wenn Amazon, Ebay, Otto und Co. diese auch noch zu E-Commerce-Themen machen. Darüber hinaus kümmert sich Christoph um den Youtube-Kanal.

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