Erster Teil

Abmahnungen und kein Ende in Sicht? – Warum es sie gibt

Veröffentlicht: 28.10.2020 | Geschrieben von: Melvin Louis Dreyer | Letzte Aktualisierung: 28.10.2020
Brief auf Laptop

Sind Sie schon einmal abgemahnt worden? Die Chance steht nicht schlecht. 22 Prozent der Teilnehmer der aktuellen Händlerbund-Abmahnstudie haben im Jahr 2018 eine Abmahnung empfangen. Auch in den Medien zeigt sich, dass es hier um ein Thema geht, das für den Online-Handel von großer Relevanz ist. Abmahnungen sind im E-Commerce scheinbar omnipräsent. Warum aber gibt es das Verfahren des Abmahnens im Wettbewerb? Bekommt man Wind davon, dass der Nachbar Steuern hinterzieht, schreibt man diesem schließlich nicht einen Brief und bittet ihn, dieses Verhalten unter Androhung einer Vertragsstrafe zu unterlassen. Wie geht man mit Abmahnungen um? Gibt es Alternativen – und werden diese in Zukunft vielleicht einmal zur Debatte stehen? Wir begeben uns auf die Suche nach dem Wesen der Abmahnung im Wettbewerbsrecht. Am Ende zeigen wir zudem, welchen Inhalt eine Abmahnung künftig vorweisen muss, wenn die Änderungen durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs in Kraft getreten sind.

In diesem Teil 1 zeigen wir, wo die Abmahnung überhaupt herkommt und stellen ausgewählte internationale Alternativen vor, die für Online-Händler in anderen Regionen gelten.

In Teil 2 nehmen wir uns die Frage vor, wie man mit Abmahnungen umgehen oder sie gar vermarktend nutzen kann. Außerdem haben wir eine Infografik vorbereitet, die zeigt, welche Informationen sich nach dem Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs künftig in Abmahnungen finden müssen, und was passiert, wenn das nicht der Fall ist.

Zügelloser Wettbewerb – Daher kommt das UWG

Der Vorwurf einer Abmahnung lautet: Hier wurde ein Fehler gemacht und sich nicht an das geltende Recht gehalten. Meist geht es dabei um das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Es sieht seit einigen Jahren nicht nur die Abmahnung als Rechtsmittel ausdrücklich vor, sondern beinhaltet seit jeher auch Tatbestände, deren Erfüllung unterlassen werden soll. Unterlassen werden sollen diese Dinge, weil sie gegen die guten Sitten verstoßen – so stand es zumindest 1909 im UWG. 

Die „guten Sitten“ sind im Gesetz kein unbekannter Begriff, lassen allerdings Spielraum für die Auslegung. Fragt man einhundert Menschen, was denn darunter zu verstehen sei, dürfte man einhundert verschiedene Antworten bekommen. Fragt man einhundert Juristen, sind es vermutlich noch einige mehr. Bittet man einen Menschen, aufgrund dieser Klausel ein Urteil über eine Situation aus dem Leben zu fällen, dann kommt ganz sicher etwas dabei heraus, das – trotz aller aufgebrachter Logik und der Berücksichtigung zahlreicher Umstände des Falls – irgendjemanden vor den Kopf stößt. Gleichzeitig gibt es einen Konsens: Irreführung, Belästigung oder Nötigung sind keine Praktiken, von denen wir betroffen sein wollen.

Gegen die Kartelle: Endlich Schutz für Gewerbetreibende

Dass ein unlauterer Wettbewerb nicht willkommen ist, musste durch das UWG erst einmal so festgelegt werden. Bevor es zum Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt wurde, kamen mit dem aufstrebenden Wettbewerb und der Einführung der Gewerbefreiheit auch „Zustände wie in Sodom und Gomorra“ nach Deutschland. Man hatte damals offenbar mit einer starken Kartellbildung zu kämpfen, welche sich auch auf die Nutzung von nicht ganz so aufrichtigen Wettbewerbsmethoden zurückführen ließ. Anständige Gewerbetreibende verlangten Schutz vor Unlauterkeit der Konkurrenz, die Allgemeinheit sollte vor Irreführung behütet werden.

„Lauterkeit“ steht dabei begrifflich für Anstand, für faires und aufrichtiges Verhalten. Tatsächlich waren insbesondere die Gerichte damals der Ansicht, dass der lautere Wettbewerb dem deutschen Recht fremd sei. Ein Schutz des Wettbewerbs gegen unlauteres Verhalten wurde insofern erstmal abgelehnt. Schließlich sorgte die Politik trotz allem und auf Basis breiter öffentlicher Forderungen für ein Gesetz. Die beiden Grundgedanken prägen das Recht bis heute. Der „Verbraucherschutz“ war somit seit jeher neben dem Schutz der „anständigen“ Gewerbetreibenden das Ziel – und auch die Interessen der Allgemeinheit stehen hinter dem UWG. So richtig was bewegt hat sich im Gesetz dann erst wieder ein knappes Jahrhundert später. 

Die Konzertzugabe als Wettbewerbsverstoß?

Erst 2001 wurden das Rabattgesetz und die Zugabenverordnung gestrichen. Sie waren in den 30er Jahren eingeführt worden und richteten sich gegen ganz bestimmte Marketingmaßnahmen. Die Zugabenverordnung verhinderte Gratiszugaben, etwa eine Pfanne zum Staubsauger. Selbst bei der Zugabe eines Musikers bei einem Konzert soll man erwogen haben können, ob dies einen Gesetzesverstoß darstellt (Jänisch, Lauterkeitsrecht Vahlen 2019, S. 10). Das Rabattgesetz begrenzte die erlaubte Höhe von Preisnachlässen, maximal drei Prozent Barzahlungsrabatt durfte es geben. 

Unternehmerische Sorgfalt als Ausgangspunkt

Das Recht rund um den lauteren Wettbewerb wurde liberalisiert, das Schutzniveau wurde abgesenkt. Verantwortlich für die Anpassungen war das Europarecht. Dessen Vorgaben sorgten dafür, dass Deutschland zunächst deregulieren musste und ab 2004 schließlich eine umfassende stückchenweise Anpassung an die europäischen Vorgaben erfolgte. Die zentrale Verbotsnorm ist § 3 UWG. Sie enthält verschiedene Teile, formuliert dabei aber auch eine Generalklausel: „Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig“, heißt es im ersten Absatz. Der Zweite liefert gleich die nächste, speziellere Generalklausel: „Geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, sind unlauter, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen.“ Hier geht es also auch um Verbraucher. 

Was außerdem heraussticht, ist die „unternehmerische Sorgfalt“ – ein Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, der von jedem Gewerbetreibenden billigerweise erwartet werden kann. Dazu gehört zum Beispiel, dass Käufer ordnungsgemäß über ihre gesetzlichen Rechte informiert werden. Oder, dass bei der Werbung mit einem Testergebnis dessen Quelle nachvollziehbar und deutlich angegeben wird.

Kommt es zu Verstößen, muss reagiert werden – wenn die gesetzliche Regelung solcher Sachverhalte eine Auswirkung haben soll. Ohne „Sanktionen“ ziehen Gesetze kaum. Nur auf den guten Willen der Betroffenen zu hoffen, ist (leider) illusorisch. 

Abmahnung: Unlauteres Verhalten darf sich nicht lohnen 

In einigen Bereichen des Rechts ist man es gewohnt, dass sich staatliche Stellen um den Umgang mit Verstößen kümmern. Ein Beispiel ist das Gesundheitsamt, das Restaurants im Hinblick auf problematische Zustände der Hygiene überprüft, oder das Ordnungsamt, das einem Falschparker ein Knöllchen gibt. Im Falle von lauterkeitsrechtlichen Verstößen gilt das nur in Bezug auf wenige Punkte, etwa den Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Deutlich häufiger wird die Reaktion auf einen Verstoß aber den Akteuren des Wettbewerbs überlassen; also denjenigen, die gegebenenfalls auf irgendeine Art und Weise von einem Verstoß betroffen sind. Es gibt dabei verschiedene infrage kommende Konsequenzen: die Abwehr, also etwa ein Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch, den Schadensersatz und die Gewinnabschöpfung.

Der Unterlassungsanspruch ist dabei der Ausgangspunkt für die Abmahnung. Der Gedanke dabei ist folgender: Verstößt etwa ein Händler gegen das UWG, indem er zum Beispiel mit einer Selbstverständlichkeit wirbt, beeinträchtigt er damit seinen Konkurrenten und schließlich auch den Wettbewerb. Er verschafft sich einen Vorteil, den er eigentlich nicht hat – die Handlung ist unlauter und damit unzulässig. 

Nun kann der Konkurrent dagegen vorgehen: Er kann ihn bitten, daran etwas zu ändern, er kann vor Gericht ziehen und dort seinen Unterlassungsanspruch geltend machen oder er bedient sich einer Abmahnung. Die Abmahnung selbst vermittelt dem Schädigenden bzw. dem Schuldner, was er getan hat, warum er es nicht hätte tun dürfen und dass es in Zukunft nicht wieder vorkommen soll. Effektiv wird das Ganze durch die Aufforderung zu einer Unterlassungsvereinbarung. Unterschreibt der Schuldner sie, hat sich der Streit erledigt – ohne dass ein Gericht daran beteiligt war. Die Unterlassungserklärung, welche der Schuldner abgibt, ist dabei mit einer Vertragsstrafe bewehrt. Ohne diese würde die Wiederholungsgefahr, die im Zentrum eines Unterlassungsanspruchs steht, rechtlich gesehen nicht wirksam beseitigt werden – hier geht es wieder um die Wirkung der Sanktion.

Am Ende handelt es sich also um einen Vertrag mit demjenigen, der eine Pflicht verletzt oder einen Fehler begangen hat. Es sind dabei nicht nur die Mitbewerber, die abmahnen können, sondern auch Verbraucherschutz-, Wirtschafts- bzw. Interessensverbände sowie Industrie- und Handelskammern.

Geht es auch anders? Internationale Alternativen bei unlauterem Wettbewerb

Dass auf unlauteren Wettbewerb reagiert werden kann, ist keine deutsche Besonderheit – das zeigt sich schon daran, dass es europarechtliche Vorschriften hierzu gibt. International gibt es aber Unterschiede, wie die „Überwachung“ des Wettbewerbs praktisch ausgeführt wird. Für Deutschland kann zusammenfassend festgehalten werden, dass Abmahnungen hier die zentrale Rolle in der Reaktion auf unlautere Wettbewerbsverstöße darstellen. Damit reiht sich Deutschland in die Staaten ein, in denen die Marktakteure selbst oder über Verbände juristische Maßnahmen wahrnehmen. Welche Möglichkeiten sie haben, ist recht unterschiedlich.

So können Verbraucherverbände in Italien etwa ein Verfahren vor der Handelskammer anstoßen. Gleichzeitig gibt es hier eine äußerst starke Wettbewerbsbehörde, welche Verstöße rigoros verfolgt.

In skandinavischen Staaten dagegen tritt der „Verbraucher-Ombudsmann“ auf die Bühne. Er stellt eine weitgehend unabhängige Überwachungsbehörde dar und ist meist ermächtigt, juristische Schritte einzuleiten. Prinzipiell kann man den Ombudsmann mit unserem Ordnungsamt vergleichen: Er interpretiert die gesetzliche Lage und kann diese auch durchsetzen, wobei entsprechende Entscheidungen oder Anordnungen durch (spezielle) Gerichte überprüft werden können. Die genaue Umsetzung hängt vom jeweiligen Land ab. Geldbußen oder „Störungsgebühren“ sind möglich. In Deutschland gibt es hingegen Vertragsstrafen und in manchen Fällen, wie etwa bei der DSGVO oder dem Verpackungsgesetz, auch Bußgelder. Ein Vorteil dieses Ombudsmann-Prinzips dürfte es sein, dass es eine zentrale Stelle gibt, welche das Gesetz interpretiert. Rechtsunsicherheiten können damit eingedämmt werden.

In Großbritannien wiederum gibt es eine ausgeprägte Selbstregulierung des Wettbewerbs. Abseits einiger Gesetze sind Verhaltenskodizes besonders im Bereich der Werbung relevant, ihre Einhaltung wird von Selbstkontrollorganen überwacht. Ein geschlossenes Gesetz, wie wir es aus Deutschland mit dem UWG kennen, gibt es dort nicht. Entsprechend wird eine große Anzahl von Verstößen über diese Selbstkontrolle sanktioniert.

Lauterkeitsrechtliche Verstöße außergerichtlich zu verfolgen, ist angesichts dieser Beispiele eine verbreitete Maßnahme in der EU. Abmahnungen, wie wir sie kennen, sind in anderen Ländern aber offenbar nicht so verbreitet, wie es in Deutschland der Fall ist. Dies liegt aber auch an den alternativen Vorgehensweisen, die sich in anderen Ländern etabliert haben. Richten ausländische Händler ihr Geschäft auf Deutschland aus, können diese unter Umständen allerdings ebenfalls nach deutschem Recht abgemahnt werden.

Mehr Informationen und Tipps zum Umgang mit Abmahnungen sowie eine Infografik zum künftigen Pflichtinhalt von Abmahnungen gibt es in Teil 2.

Kommentare  

#1 Yolanda 2020-10-28 14:48
Mit der Sorgfaltspflich t sollte der Gesetzgeber mal zuerst selbst beginnen und eindeutige und für alle verständliche Gesetze verfassen.
Jedes Gesetz das auch von Juristen falsch verstanden werden kann dürfte gar veröffentlicht werden.
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