Time to say goodbye

Ein Nachlass-Guide für das (digitale) Erbe

Veröffentlicht: 07.12.2022 | Geschrieben von: Yvonne Bachmann | Letzte Aktualisierung: 07.12.2022
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Patientenverfügung, Testament oder Beerdigung. Für gewöhnlich sind das keine Themen, mit denen sich Menschen gerne auseinandersetzen. Tatsächlich ist es jedoch viel vorausschauender und vernünftiger, wenn man es doch tut, denn so kann man im Ernstfall lästiges Herumsuchen oder Auseinandersetzungen in der Familie vermeiden, die im Ernstfall doch eigentlich ganz andere Sorgen hat. Wer will schon nach Zugangsdaten für E-Mail- oder Bank-Accounts kramen, wenn es doch eigentlich in großen Schritten zur letzten Abschiednahme gehen soll? 

Unser Nachlass-Guide soll daher erste Anregungen bieten, wie Online-Händler ihre, insbesondere digitalen, Angelegenheiten vernünftig an die nächste Generation übergeben.

Better safe than sorry

Jeder, der große Verantwortung mit seinem Unternehmen trägt, sollte dies auch für den Fall der Fälle tun. Wie schwer muss es für die Hinterbliebenen nun sein, neben der eigentlichen Trauerbewältigung und Nachlassverwaltung die zahlreichen (meist unbekannten) Aufgaben abzuarbeiten, die mit einem Geschäft in Zusammenhang stehen, an dessen Tagesgeschäft man bisher nie persönlich teilgenommen hatte? Auch über den Tod hinaus ist ein gewissenhafter Unternehmer daher an einer reibungslosen Fortführung des Gewerbes interessiert oder hat alle notwendigen Voraussetzungen für die mögliche Geschäftsaufgabe in die Wege geleitet.

Sei es die Patientenverfügung, die Sorgerechtsverfügung für minderjährige Kinder oder eben der digitale Nachlass. Den Angehörigen stellen sich nun jede Menge Fragen: Was passiert mit den Unternehmen? Welche Rechnungen sind zu bezahlen? Und allen voran: Wer ist nun überhaupt in der Pflicht, sich um all das zu kümmern? Die zunehmende Digitalisierung macht es auch nicht einfacher, denn Zugriffe auf Accounts oder Nutzerkonto zu erhalten ist meist noch komplexer, wenn amerikanische Plattformen im Spiel sind.

Online-Händler sollten sich umfassend um Nachlass kümmern

Das digitale Erbe und der digitale Nachlass haben es immerhin so weit in das Bewusstsein der Menschen geschafft, dass ihnen ein eigener Wikipedia-Eintrag zuteil wird. „Beim digitalen Nachlass oder digitalen Erbe handelt es sich um eine Vielzahl von Rechtspositionen eines verstorbenen Internetnutzers, insbesondere dessen Vertragsbeziehungen zu Host-, Access- oder E-Mail-Providern sowie zu Anbietern sozialer Netzwerke oder virtueller Konten. Es zählen auch Eigentumsrechte des Verstorbenen an Hardware, Nutzungsrechte an der Software, Urheberrechte und Rechte an hinterlegten Bildern, Foreneinträgen und Blogs dazu” heißt es dazu.

Weil dieser Leitfaden speziell für Online-Händler abgefasst wurde, wollen wir nicht nur sämtliche digitalen Angelegenheiten wie Zugänge und Accounts berücksichtigen, sondern auch einen kurzen Blick auf Geschäftsvorgänge wie Warenbeschaffung, Bestellabwicklung, Lagerung und Logistik, Kundenservice, Internationalisierung oder Marketing berücksichtigen. Diese Themen gehören zwar nicht zum klassischen digitalen Nachlass, sind jedoch speziell mit einem Online-Business untrennbar verknüpft.

Kurzer Überblick über die Rechtslage

Grundsätzlich gibt es im deutschen Recht eine sogenannte Universalsukzession, durch die die Vererbung aller Güter an einen oder mehrere Erben möglich wird. Das bedeutet, dass mit dem Todesfall das gesamte Vermögen des verstorbenen Erblassers kraft Gesetzes als Einheit auf den oder die Erben übergeht. Die Erbenstellung erhält man automatisch, sei es aufgrund gesetzlicher Erbfolge (in den meisten Fällen sind es die Kinder) oder aufgrund eines Testaments oder Erbvertrages. Im Falle eines Testamentes sind es die hinterbliebenen Ehegatten, die im Falle eines sogenannten Berliner Testaments bedacht werden. 

Darüber hinaus geht das Unternehmen nach § 2032 BGB im Fall der Fälle in das gemeinschaftliche Vermögen einer Erbengemeinschaft über, sodass diese Erbengemeinschaft dann also zur Trägerin des Unternehmens wird. Sofern das Erbe nicht ausgeschlagen wird (§§ 1942 ff. BGB), sollten die Erben umgehend handeln, denn sie sind nun selbst Unternehmer. Der oder die Erben erhalten also alle Rechte und Pflichten des Verstorbenen (wenn sie das Erbe nicht ausschlagen), ohne dass es hierzu einer gesonderten Übertragung bedarf. 

Vererbung digitaler Konten

Jeder Unternehmer ist mit seinem Alltag schon genug ausgelastet und die Beschäftigung mit dem eigenen Tod für den einen oder anderen sogar völlig fernliegend. Es verwundert daher nicht, dass es in den meisten Fällen gerade keine Vorbereitungen für die spätere Geschäftsübernahme gibt. Was können Erben also tun, wenn sie an die Daten und Zugänge nicht herankommen, beispielsweise der Schlüssel zum Büro verloren gegangen ist oder das E-Mail-Passwort unbekannt ist? 

Der Bundesgerichtshof hat sich dem Thema (leider) in einem tragischen Fall widmen müssen: Auch die Nutzerkonten in sozialen Netzwerken, z. B. ein Facebook-Account, unterfallen dem Nachlass und damit nach dem Tod des Nutzers an seine Erben (Az.: III ZR 183/17). Anlass war der Tod eines 15 Jahre alten Mädchens, dessen Eltern nach jahrelangen Prozessen endlich Zugang zum Facebook-Konto ihrer Tochter erlangt hatten. Die Eltern wollten mit dem Einblick in die Chatverläufe Hinweise finden, weshalb das Mädchen 2012 vor eine U-Bahn gestürzt war. Auswirkungen hat das Grundsatzurteil auch auf andere Social Media-Accounts sowie reguläre E-Mail-Konten. Einzige Ausnahme beim Übergang des Nachlasses: Der Verstorbene hat zu Lebzeiten eine andere Verfügung getroffen.

Qualität oder Quantität? 

Wissen Sie aus dem Stegreif, wo sie überall im Netz Accounts und Mitgliedschaften haben? Genau, denn da kommt einiges zusammen und das ad hoc und vor allem abschließend aufzuzählen ist schier unmöglich. Wie soll es dann wohl Ihren Erben ergehen? Die Erben haben zwar einen Anspruch darauf, Auskunft über einen Account zu verlangen oder einen Zugang zu verlangen, dies jedoch meist sehr umständlich, besonders wenn ausländische Dienste involviert sind. Sich als Erbe schnellen Zugang zu einem unbekannten Amazon-Verkäuferkonto zu verschaffen? Unmöglich!

Meist läuft alles über den P.C. des Verstorbenen, allem voran Telefon, E-Mail-Verkehr sowie Online-Banking. Doch selbst diese Werkzeuge im Tagesgeschäft eines jeden Unternehmer sind in der Regel mit einem Pin beziehungsweise Passwort geschützt. Die ersten Schritte sind es also, den Hinterblieben hier einen schnellen und unkomplizierten Einstieg zu ermöglichen. Anzumerken ist, dass es hierbei nicht den einen richtigen Weg gibt. Vielerorts wird eine Art Spickzettel für den Todesfall empfohlen. Um es den Erben leicht zu machen und ihnen die Spurensuche zu erleichtern, kommt man zunächst an eine Aufstellung sämtlicher digitaler Konten denken. Eine Musterliste über digitale Konten stellt auch die Verbraucherzentrale ebenfalls zur Verfügung.

Die wichtigsten Basics

Welches sind die Hauptarbeitsgeräte, wo befinden sie sich und wie lauten die wichtigsten Zugänge? Versetzen Sie sich dabei in der Lage Ihres Gegenübers, einiges mag für Sie selbstverständlich erscheinen, für unbeteiligte Dritte ist es das aber nicht.

  • PC
    Wo befindet sich das Gerät? ……………………………….
    PIN und/oder Passwort: ……………………………….

  • Diensttelefon
    Telefonnummer: ……………………………….
    PIN: ……………………………….
    Zahlencode: ……………………………….
    Vertragsdetails (Anbieter, Laufzeit): ……………………………….

  •  etc.

 

Alternative oder auch ergänzende Varianten sind die Vorsorgevollmacht sowie das Testament, in der eine Person des Vertrauens bestimmt wird, die den (digitalen) Nachlass in Teilen oder als Ganzes verwalten oder fortführen soll. Die Vollmacht muss handschriftlich verfasst sein und mit einer Gültigkeit über den Tod hinaus versehen sein. Eine Muster-Vollmacht für digitale Konten gibt es beispielsweise bei der Verbraucherzentrale. Aber auch mit einer Vollmacht oder dem Testament würden Erben nur umständlich und nicht direkt und auch nicht zügig an die Accounts kommen. Sind dann bei Amazon in der Zwischenzeit hunderte oder gar tausende Bestellung eingelaufen, wird es umso komplizierter. Zudem muss man als Erbe ersteinmal wissen, wo man mit der Suche anfangen soll.

Ebenfalls kostenpflichtig sind auf die Nachlassverwaltung spezialisierten Unternehmen, die zum einen die Daten und Zugänge sammeln und verwahren oder alternativ Detektivarbeit leisten, wenn der Verstorbene keine Vorsorge getroffen hat. Hier muss man sich jedoch bewusst sein, dass man sensible Daten in die Hände eines Fremden gibt, der anders als ein Rechtsanwalt nicht dem Schweigerecht unterliegt. Auch die Verbraucherzentrale gibt zu bedenken, dass die Sicherheit solcher Anbieter sich nur schwer beurteilen ließe. Interessenten sollen sich genau erkundigen, was in der gebuchten Leistung enthalten ist.

Wie gibt man Passwörter sicher weiter?

Auch diese Form der Vorsorge ist nicht der Weisheit letzter Schluss, denn solche Verzeichnisse sind anfällig für Missbrauch und Verlust, oder stellen einen fortwährenden Aufwand dar, sie aktuell zu halten. Vor allem steht bei der Umsetzung die Frage im Raum, wie, bitteschön, man denn die vielen Zugänge sicher und frei von jeglichen Zugang durch unbefugte Dritte aufbewahren oder weitergeben soll, wo doch jeder weiß, dass man Passwörter, Pins oder andere Zugangsdaten niemals notieren sollte? 

Von der Übersendung der Liste per Mail wird generell abgeraten. In der Regel werden E-Mails unverschlüsselt versandt und können so von Dritten auf ihrem Weg durch das Internet mitgelesen werden, so das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) auf seiner Infoseite. E-Mails können im Internet verloren gehen oder herausgefiltert werden. Passwörter sollten daher natürlich auch niemals unverschlüsselt auf dem PC abgelegt werden und schon gar nicht auf dem berühmten Notizzettel am Schreibtisch kleben. Nicht unerwähnt bleiben sollte auch die Tatsache, dass die Nutzungsbedingungen teilweise untersagen, dass Passwörter an Dritte weitergegeben werden.

Wer sich die Passwörter für den Ernstfall notwendigerweise analog notieren muss, sollte sie stattdessen gut unter Verschluss halten (z. B. in einem Schließfach oder Tresor). Für die Zugänge bei einer großen Anzahl an Online-Accounts wird vom BSI ein  Passwort-Verwaltungsprogramm wie zum Beispiel keepass empfohlen. Auch andere digitale Lösungen wie ein USB-Stick oder ähnliches sind möglich. Hierbei muss man jedoch ebenfalls berücksichtigen, dass der Ernstfall möglicherweise die Lebensspanne der Hardware überdauern kann, die Dateien damit ebenfalls einer Gefahr des Verlustes ausgesetzt sind und ohne laufendes Update wenig nützen. Manch einem ist möglicherweise wohler dabei, einen Rechtsanwalt oder Notar mit der Verwahrung der vertraulichen Daten zu beauftragen, muss dafür aber etwas tiefer in die Tasche greifen. 

Unternehmerische Rechte und Pflichten 

Für einen Erben, der nicht ausreichend auf den Erbfall vorbereitet ist und der keine genauen Informationen bzw. Instruktionen zum geschäftlichen Ablauf erhalten hat, scheint es schier unmöglich, alle anfallenden Aufgaben zu überblicken. Oftmals sind die erbenden Familienangehörigen nicht in das Geschäft involviert und selbst gar keine Unternehmer. Dann scheitert es bereits an den einfachsten Dingen. Damit der eigene Tod für die Hinterbliebenen nicht im Chaos endet, sollten Unternehmer daher unbedingt Vorkehrungen treffen. Versetzen Sie sich auch hier in die Lage des Dritten, was muss er wissen, was für Sie vielleicht eine Selbstverständlichkeit ist? Hier ein paar Beispiele:

Übersicht über die (wichtigsten) Geschäftsverträge

  • Miet-/Pachtverträge
  • Finanzierungsunterlagen und wichtige Details hierzu (z. B. Kreditverträge)
  • Versicherungen
  • Arbeitsverträge
  • Lieferverträge
  • und und und

Fazit

Stolz verkündet der Geschäftsmann, dass der studierende Sohnemann oder die ebenfalls im Unternehmen tätige Tochter einmal das Business fortführen wird. Das ist ein schöner, tröstender Gedanke, wenn man selbst und sein Tun nach dem Tod noch in einer Form weiterlebt. Tatsächlich sieht die aktuelle Situation in der Praxis ganz anders aus, denn laut dem Statistik-Portal Statista haben in einer Umfrage zur Regelung des digitalen Nachlasses in Deutschland im Jahr 2021 lediglich 16 Prozent der Befragten ihren digitalen Nachlass vollständig geregelt. Insgesamt 24 Prozent der befragten Internetnutzer gaben an, dass sie sich zumindest teilweise damit beschäftigt haben, was nach ihrem Tod mit ihren eigenen digitalen Daten geschehen soll. 

Wie soll es nun Sohn, Tochter oder sonstige Erben ergehen, wenn sie einen Amazon-Shop übernehmen sollen, der täglich Umsätze im vierstelligen Bereich verzeichnet und ihnen noch nicht einmal der Zugang zum E-Mail-Postfach vorliegt? Damit der eigene Tod für die Hinterbliebenen nicht im Chaos endet, sollten Unternehmer daher unbedingt Vorkehrungen treffen.

Über die Autorin

Yvonne Bachmann
Yvonne Bachmann Expertin für: IT-Recht

Yvonne ist schon seit Beginn ihrer juristischen Laufbahn mit Leib und Seele im IT-Recht unterwegs. Seit Anfang 2013 ist sie als Volljuristin beim Händlerbund tätig und berät dort hilfesuchende Online-Händler in Rechtsfragen rund um ihren Shop. Genausolange berichtet sie bei uns zu Rechtsthemen, welche die E-Commerce-Branche aufwirbeln. 

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