Online-Handel: "Wir arbeiten an der Digitalen Identität"

Veröffentlicht: 27.12.2013 | Geschrieben von: Giuseppe Paletta | Letzte Aktualisierung: 21.10.2014

Wie sieht der Online-Handel von morgen aus? Während viele darüber gerne spekulieren, ist der Fraunhofer-Verbund für Informations- und Kommunikationstechnologie aktiv bei der Gestaltung dieser Zukunft dabei. Im Auftrag großer Online-Unternehmen erarbeiten die Forscher der Fraunhofer-Gesellschaft neue Konzepte und Anwendungen für den E-Commerce von morgen. Im Interview erklärt uns Geschäftsführer Thomas Bendig, an was die Forscher gerade arbeiten und wie der Online-Handel von morgen aussehen könnte.

Die Fraunhofer Gesellschaft erforscht den E-Commerce von morgen.

(Bildquelle Digital Data: Sergey Nivens via Shutterstock)

OnlinehändlerNews: Seit wann und warum erforscht das Fraunhofer Institut den E-Commerce?

Thomas Bendig: Im Prinzip erforschen wir den Bereich des E-Business seit der Kommerzialisierung des Internets Anfang der 90er Jahre. In diesen Jahren hatte sich das Internet aus dem wissenschaftlichen Bereich weiterentwickelt und es wurde begonnen, es auch für die Normalverbraucher zu öffnen. Damals hatten auch die ersten Unternehmen ihre Internetauftritte gestartet.

Wie haben sich ihre Forschungsschwerpunkte im Vergleich zu der Anfangszeit verändert?

Damals drehte sich unsere Forschung primär um die Möglichkeiten der Produktpräsentation im Internet und um die Optimierung von Geschäftsprozessen. Im Vergleich zu damals legen die Unternehmen heute mehr Wert auf die Sicherheit im Internet und die Usability ihrer Auftritte, also auf die einfache und intuitive Bedienung ihrer mobilen Anwendungen und Webseiten.

In der Beschreibung des Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie heißt es, dass das „Internet der Dienste“ das anzustrebende Ziel für den Online-Handel sei. Was genau ist darunter zu verstehen?

Mit dem sogenannten Internet der Dienste, wird angestrebt, dass der E-Commerce eines Tages in seinen Wertschöpfungs- und Prozessketten ohne Unterbrechung funktionieren kann. Das ist heute noch nicht der Fall. Durch unsere Forschung möchten wir einen Teil dazu beitragen, dass ein Online-Händler eines Tages seine Produkte ohne Warteschleifen an die Kunden ausliefern kann. Ein Idealfall den wir anstreben: Online-Händler können schon vorher die Bedürfnisse ihrer Kunden abschätzen, und können daraus ableiten, welche Waren sie anbieten oder in großer Stückzahl im Lager haben sollten.

Welche konkreten Projekte laufen gerade am Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie? Wie und von wem werden diese finanziert?

Wir arbeiten an einer Vielzahl von Technologien für den E-Commerce. Es ist ein breites Spektrum, das von Produktkonfiguratoren und intelligente Verkaufsautomaten über Big Data Analysewerkzeuge und Empfehlungsmechanismen bis hin zu vollständig neuen Geschäftsmodellen. Im Moment arbeiten wir zum Beispiel am Projekt „FutureID“, welches das Ziel hat, Nutzern eine einheitliche europäisch standardisierte Digitale Identität für ihre Aktivitäten im Internet zu geben. Das kann u.a. auch in Kombination mit dem elektronischen Personalausweis geschehen. Diese digitale Identität wird - wie unsere reale – in verschiedene Teile gegliedert sein, die wir je nach Verwendungszweck einzeln offenlegen können. So werden wir in Zukunft mit einer einzigen Digitalen Identität im Internet einkaufen oder in sozialen Netzwerken unterwegs sein, ohne uns ständig neue Kennwörter merken zu müssen. Dieses Projekt wird von der Europäischen Union finanziert und von Fraunhofer gemeinsam mit verschiedenen Unternehmen aus dem E-Commerce-Bereich bearbeitet. Ein anderes Projekt, an dem wir arbeiten und das im Bereich des E-Commerce anzusiedeln ist, beschäftigt sich mit der Technologie des „Key to Share“. Diese Technologie soll es uns eines Tages erlauben, virtuelle Schlüssel zum Beispiel mit E-Mails oder als QR-Codes zu versenden. Dann könnten wir mit unserem Smartphone und dem virtuellen Schlüssel zum Beispiel Hotelzimmer während einer bestimmte Zeitspanne öffnen oder unsere Pakete bei Packstationen abholen. Der Schwerpunkt liegt hier darauf, Sicherheit, Zuverlässigkeit und einfache Bedienung in Einklang zu bringen.

Warum sind im E-Commerce der Zukunft intelligente standardisierte Systeme so wichtig?

Standardisierte Systeme sind wichtig, damit wir das Ziel des durchgehenden Warenwirtschaftssystems ohne unnötige Zeitverluste erreichen können. Mit standardisierten Schnittstellen können verschiedene Branchen aus dem E-Commerce- und Logistik-Bereich fließender zusammenarbeiten, ohne dass jedes Mal wieder neue Informationen abgefragt werden müssen. Für Verbraucher bieten die standardisierten Systeme außerdem die Möglichkeit, Dienstleistungen verschiedener Unternehmen übergangslos nutzen zu können.

Während der Online-Handel boomt, haben die Verbraucher durch den NSA-Skandal einen herben Vertrauensverlust in das Internet erlitten. Wie können Online-Händler dieses Vertrauen Ihrer Meinung nach wieder zurückgewinnen?

Die Online-Händler müssen den Kunden transparent erklären, welche Informationen sie über die Verbraucher speichern und wofür welche Information genutzt wird. Auch müssen sie zum Beispiel anzeigen, wie und mit welchen Informationen sie individuelle Kaufempfehlungen erstellen. Andererseits müssen die Verbraucher wiederum die Möglichkeit haben, Einsicht in über sie erstellte Profile zu bekommen und auch die Gelegenheit haben, Daten die sie betreffen löschen zu können.

Wird der E-Commerce irgendwann das Bargeld als Zahlungsmittel wie wir es heute kennen abschaffen?

Nein, das glaube ich nicht. Ich denke das Bargeld wird uns auch in Zukunft als Zahlungsmittel neben der Vielzahl elektronischer Bezahlmöglichkeiten erhalten bleiben. Auch wenn es neue elektronische Möglichkeiten geben wird, schafft das Bargeld eben immer noch ein Gefühl der Einfachheit und Anonymität, dass die elektronischen Bezahldienste bisher nicht herstellen können.

Wie wird sich der Online-Handel Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren verändern? Wird der Einzelhandel obsolet werden?

Üblicherweise werden die Bereiche des Online-Handels und des stationären Handels oft getrennt voneinander oder gar als Rivalen gesehen. Ich denke jedoch, dass diese beiden Bereiche in Zukunft stark miteinander verschmelzen werden. So kann wird es zum Beispiel möglich sein, dass ich auf dem Weg nach Hause aus dem Auto heraus meinen Einkauf im Baumarkt aufgebe und wenn ich dort ankomme, ist der Einkaufswagen mit den Waren schon fertig. Ich muss ihn nur noch mitnehmen und erspare mir die stundenlangen Märsche durch den Markt. Ein anderes Beispiel: Man wird in Zukunft in ein Kleidungsgeschäft gehen können und sich die passende Bekleidung zusammen mit dem geschulten Personal individuell real und virtuell zusammenstellen lassen können. So wird es nicht mehr vorkommen, dass bestimmte Kleidung nicht mehr vorrätig ist. Ist die Bekleidung einmal zusammengestellt, braucht man die Ware nicht nach Hause zu tragen, sondern sie wird noch am gleichen Tag direkt nach Hause gesendet.

Weitere Informationen zu aktuellen eCommerce-Projekten des Fraunhofer IuK-Verbundes finden Sie hier: http://innovisions.de/beitraege/tag/E-Commerce/

Thomas Bendig vom Fraunhofer IUK Verbund.Über Thomas Bendig

Herr Thomas Bendig ist Geschäftsführer des Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie und damit auch verantwortlich für die Erforschung des Bereiches E-Business.

 

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