Der Lkw-Fahrermangel führt zunehmend zu einer Verknappung des Laderaums. Für Versender ein absolutes Problem, denn die Ware muss an ihren Zielort. Doch wie dem Problem begegnen? Die Reduzierung von Leerfahrten ist dabei ein Weg, den unter anderem das StartUp Cargonexx einschlägt. Im Interview hat uns CSO Bert Manke erklärt, wie man mit modernen, digitalen Maßnahmen die Transportlogistik auf die nächste Stufe heben will.
In Deutschland wurden 2017 71,7 Prozent der Transportleistung im Güterverkehr durch Lkw bewerkstelligt. Für 2021 geht man von 72 Prozent aus. Dass sich an dem Positivtrend etwas ändern wird, ist nicht zu erwarten. Dabei kämpft das Transportgewerbe zunehmend mit einem erheblichen Lkw-Fahrermangel, der wiederum zu einer Verknappung des Laderaums führt. Um diesem Problem zu begegnen, müssen langfristig mehr Lkw-Fahrer gefunden werden. Eine kurzfristige Lösung für das Problem hält hingegen das Logistik-StartUp Cargonexx bereit.
Das Hamburger Jungunternehmen, das 2016 gegründet wurde, setzt Künstliche Intelligenz und selbstlernende Algorithmen ein, um freie Lkw-Kapazitäten effizient zu nutzen. Dabei werden auch externe Einflussfaktoren wie Wetter oder Verkehrsaufkommen einbezogen. Auf dem 24. Handelslogistik Kongress haben wir mit Chief Sales Officer Bert Manke über die Gründungsidee, Zukunftspläne und Künstliche Intelligenz gesprochen.
LogistikWatchblog: Wie kam es zur Gründung von Cargonexx durch CEO Rolf-Dieter Lafrenz?
Bert Manke: Die Idee für die Gründung kam unserem Gründer Rolf-Dieter Lafrenz, als er auf der Autobahn im Stau stand und er gesehen hat, wie viele Lkw an der Seite auf der rechten Spur standen. Bei dem Stauaufkommen ist es eine große Leistung, Lkw pünktlich zum Zielort zu bewegen. Während er also im Stau stand, kam ihm die Idee, dass man das eigentlich mal organisieren müsste. Die wenigsten wissen zudem, dass ca. 30 Prozent dieser Lkw leer sind. Und es braucht einfach ein digitales Netzwerk, um diese Leerfahrten zu minimieren.
Wir glauben, dass wir unser ganzes Netzwerk in Europa in den nächsten eineinhalb bis zwei Jahren so flächendeckend anbieten zu können und dass wir diese Leerfahrten, die von Entladung bis zur nächsten Beladung entstehen, durch Optimierung um 15 bis 20 Prozent reduzieren können. Das Transportaufkommen wird in den nächsten Jahren noch weiter steigen – bis 2030 müssen wir von fast 40 Prozent Steigerung ausgehen, und wenn wir nicht antreten und das ganze besser organisieren, dann laufen wir in einen Verkehrsinfarkt. Die Transportbranche ist nicht so organisiert, wie man sich das wünscht. In Europa gibt es fast 600.000 Fuhrunternehmen, wobei 50 Prozent der Fuhrunternehmer nur drei Lkw oder weniger einsetzen. Es handelt sich also um einen stark fragmentierten Markt und wir bieten über unsere Plattform Fuhrunternehmen die Möglichkeit, auf ein breites Lkw-Tourenangebot zuzugreifen. Dadurch kann die Auslastung gesteigert und Leerfahrten vermieden werden.
LogistikWatchblog: Wie viele Unternehmen sind aktuell auf Cargonexx angemeldet?
Bert Manke: Aktuell sind ca. 6.000 Unternehmen auf unserer Plattform registriert, die bei uns kostenfrei ihre Kapazitäten anbieten können. Insgesamt besteht unser Netzwerk aus ca. 60.000 Lkw. Unser Ziel ist es, das größte digitale Transportnetzwerk Europas aufzubauen. Dieses Netzwerk bieten wir Verladern, also den Auftraggebern an, die bei Cargonexx Transporte ab drei Lademetern, das sind ca. acht Palettenstellplätze, ab einer Strecke von 300 km einfach und schnell in Auftrag geben können.
LogistikWatchblog: Wie verdient Cargonexx Geld?
Bert Manke: Verlader (Auftraggeber) können Transportaufträge mit wenigen Klicks bei Cargonexx buchen. Dafür gibt der Verlader ein, von wo nach wo die Ware transportiert werden soll und innerhalb welcher Zeitfenster be- und entladen werden soll. Nach einem Klick ermittelt Cargonexx innerhalb von 11 Millisekunden einen Preis, den der Verlader dann akzeptieren oder ablehnen kann. Dafür hat er 10 Minuten Zeit. Wenn er das Angebot annimmt, treten wir als haftender Spediteur ein und der Verlader braucht sich dann um nichts mehr zu kümmern. Das ist einmalig in der Branche. Wir suchen dann in unserem Netzwerk automatisiert nach dem geeigneten Frachtführer. Dabei fallen keine Nutzungsgebühren an. Cargonexx verdient über eine entstehende Preisdifferenz zwischen Angebots- und Nachfragepreis.
LogistikWatchblog: In welchen Märkten ist Cargonexx bereits aktiv?
Bert Manke: Wir sind im Grunde fast flächendeckend in Europa aktiv. Unser Netzwerk ist am engmaschigsten in Deutschland. Neben Deutschland sind wir zusätzlich von Beginn an in Polen gestartet. Aufgrund des in Deutschland vorherrschenden Fahrermangels war es wichtig, auch im osteuropäischen Ausland nach qualifizierten Frachtführern zu suchen. Wir sind jetzt dabei, auch andere europäische Märkte zu öffnen. Wir suchen aktuell Country Manager für Spanien, Italien und Frankreich, um nur einige Beispiele zu nennen. Unser Ziel ist es, in zwei Jahren im Grunde ein genauso engmaschiges Netzwerk in ganz Europa zu haben, wie wir es jetzt schon in Deutschland betreiben. Wichtig ist zu wissen, dass Verlader bereits heute Transporte in ganz Europa über Cargonexx verlässlich buchen können.
LogistikWatchblog: Wie überprüft Cargonexx die Qualität der Frachtführer?
Bert Manke: Im Vorfeld müssen natürlich die Papiere und die Standarddokumente stimmen. Wir geben nach der Vorprüfung grundsätzlich jedem die Chance, unsere Plattform zu nutzen. Wenn dann die ersten Aufträge ausgeführt werden, bewerten wir die Qualität des Frachtführers mit einem Sterne-System. Das heißt: Wenn der Transport perfekt durchgeführt wurde, bewerten wir diesen mit der höchsten Punktzahl. Wenn es Abweichungen vom Vertrag gibt, erhält der Frachtführer eine niedrigere Bewertung. So fällt es uns leicht, immer die besten Frachtführer einzusetzen.
Wenn ein Verlader einen Auftrag bei uns bucht, dann ist es so, dass wir den geeignetsten und zuverlässigsten Frachtführer automatisiert für ihn auswählen. Die Frachtführer werden über unsere Plattform informiert, dass eine passende Tour eingestellt wurde. Dazu kommt, dass die Hälfte unserer 60.000 Lkw mit sogenannten „Such-Agenten“ ausgestattet sind. Das heißt, der potenzielle Auftragnehmer hat uns mitgeteilt, dass er beispielsweise regelmäßig montags von Hamburg nach Köln fahren möchte. Diese Informationen berücksichtigen bei der Vergabe der Transportaufträge.
Wenn die Qualität eines Frachtführers nicht unseren Ansprüchen entspricht, erhält dieser zukünftig keine Aufträge mehr von Cargonexx. Hohe Qualität, Verlässlichkeit und eine einfache Nutzung unseres Angebots - das ist es, was Auftraggeber und Auftragnehmer von uns geboten bekommen.
LogistikWatchblog: Gibt es Überlegungen auch kürzere Fahrten, also unter 300 Km, anzubieten?
Bert Manke: Wenn unsere Verlader-Kunden sagen: ‚Mensch, ich hab hier einen 100-km-Transport, den ich dringend organisieren muss’, dann sagen wir: Ruf uns an. Wir versuchen, das zu organisieren. Wir haben neben der Technologie auch eine physische Disposition. Aktuell stehen unseren Kunden 12 Disponenten als Ansprechpartner unter anderem für diese Aufträge zur Verfügung.
Unsere Kunden haben immer einen verantwortlichen Ansprechpartner bei Cargonexx. Dadurch kombinieren wir die Vorteile unseres digitalen Transportnetzwerkes mit den Vorteilen einer klassischen Spedition.
LogistikWatchblog: Die letzte Meile ist für viele Unternehmen eine Herausforderung. Gibt es Pläne selbst in das Paketgeschäft bzw. auf der letzten Meile einzusteigen?
Bert Manke: Das ist aktuell nicht geplant. Wir sind mit schweren Lkw auf langen Strecken unterwegs. Wir sind sehr fokussiert, was unser Geschäftsmodell angeht. Der Lkw-Transportmarkt in Europa ist mit einem jährlichen Umsatzvolumen von 350 Milliarden Euro so groß, dass es aus unserer Sicht absolut Sinn macht, sich zu fokussieren.
LogistikWatchblog: Wie stehen Sie zur Thematik Gigaliner bzw. zu den aktuellen Entwicklungen beim Lkw-Güterverkehr?
Bert Manke: Aus unserer Sicht macht es Sinn, mit einem Fahrzeug so viel Ware wie möglich zu transportieren. Deshalb sind wir diesen Entwicklungen grundsätzlich aufgeschlossen. Wir glauben, dass Themen wie Platooning, also das Konvois mehrerer Lkw mit einem Fahrer und autonomes Fahren in der Zukunft eine wichtige Rolle einnehmen werden. In diesem Zusammenhang müssen verschiedene Herausforderungen jedoch gelöst werden. Die Infrastruktur an Autobahnen, wie beispielsweise die Parksituation, ist nicht immer für Lkw-Konvois geeignet. Wir glauben jedoch, dass diese Entwicklungen erforderlich sind, um das stark steigende Transportaufkommen bewältigen zu können.
LogistikWatchblog: Cargonexx setzt für die Disposition auf Künstliche Intelligenz, ein Novum in der Logistik. Wie stehen Sie generell zu dem Thema?
Bert Manke: Das Thema Künstliche Intelligenz hat bereits einen wichtigen Platz in unserem Leben eingenommen und das wird aus unserer Sicht auch in der Zukunft so bleiben. Es macht also Sinn, sich damit zu beschäftigen.
Wir glauben, dass der Einsatz Künstlicher Intelligenz immer dann sinnvoll ist, wenn diese die Arbeit erleichtert oder Aufgaben übernimmt, die Computer oder Maschinen sinnvoller übernehmen können, als Menschen dies könnten. Künstliche Intelligenz klingt für viele zunächst irgendwie bedrohlich. Dabei kann diese Technologie sehr sinnvoll genutzt werden.
Hier ein Beispiel: Wenn ein Auftraggeber bei Cargonexx einen Lkw-Transport bucht, berücksichtigen wir für die Ermittlung eines fairen Preises über 400 Einflussfaktoren innerhalb von 11 Millisekunden. Eine wirklich sinnvolle Preisfindung für einen Lkw-Transport können Menschen eigentlich gar nicht gewährleisten, weil der humane Disponent die Entscheidung am Ende aus seinem Bauch heraus trifft. Er kann nicht über 400 Faktoren in so kurzer Zeit prüfen. Wir berücksichtigen die verschiedensten Ist-Daten, wie Verkehrsdaten, Wetterdaten, Verfügbarkeit von Lkw-Kapazitäten, Transportaufkommen… eben alles, was den Preis beeinflussen kann.
Wir setzen unsere Technologie ebenfalls für Themen, wie die Optimierung des Rampenmanagements bei Be- und Entladung ein, damit der Ladungsempfänger immer darüber informiert ist, wann diese voraussichtlich eintreffen wird. Die Supply Chain ist an dieser Stelle häufig unterbrochen. Dadurch tragen wir dazu bei, dass Versender und Empfänger Ihr Laderampenmanagement optimieren können.
LogistikWatchblog: Cargonexx hat bereits den ein oder anderen Preis gewonnen, wie beispielsweise den Deutschen Digitalpreis „The Spark“, den polnischen Logistik-Innovationspreis und den Gipfelstürmer Award der Süddeutschen Zeitung. Im Februar 2018 wurde Cargonexx auch zum besten Mobilitäts-Startup Europas ernannt. Wie fühlen Sie sich dabei bzw. warum glauben Sie, dass Cargonexx so erfolgreich ist?
Bert Manke: Wir sind begeistert, dass unsere Idee anscheinend auch in der Fachwelt verstanden und gesehen wird. Wir glauben, dass Verlader vor allem Bequemlichkeit und Zuverlässigkeit wollen. Aus diesem Grunde treten wir als haftender Spediteur bei der Durchführung der über Cargonexx gebuchten Transporte ein. Sobald der Auftraggeber den ermittelten Preis akzeptiert, übernehmen wir und haften uneingeschränkt für die Durchführung. Das ist einmalig und ein echter Wettbewerbsvorteil für uns. Verlader wollen aus unserer Sicht nicht mit Auftragnehmern langwierig über Preise verhandeln und die Qualität der Frachtführer prüfen. Diesen Service übernimmt Cargonexx. Zusätzlich bieten wir jedem Kunden einen festen Ansprechpartner. Dadurch kombinieren wir die Vorteile einer traditionellen Spedition mit den Vorteilen eines digitalen Transportnetzwerkes.
LogistikWatchblog: Haben Sie noch den ein oder anderen Tipp für Gründer?
Bert Manke: Ich selbst bin Mehrfachgründer, auch in anderen Brachen und kann da aus der Erfahrung berichten. Und da gibt es mehrere Tipps. Zum einen muss die Idee erst mal wahnsinnig gut sein. Wichtig ist auch, die Idee durch eine branchenneutrale Brille zu betrachtet. Erfolgreiche StartUps sind schnell und flexibel, weil sie auch traditionelle Geschäftsfelder komplett neu denken. Bekannte Probleme der traditionellen Marktteilnehmer werden dabei zunächst oft ausgeblendet, um möglichst flexibel starten zu können. Probleme werden dann gelöst, wenn sie entstehen. Das muss dann allerdings professionell erfolgen. Zusätzlich ist es wichtig, fokussiert zu bleiben und nicht mit jedem gut gemeinten Tipp von außen, das Geschäftsmodell anzupassen.
Außerdem sollte man von Anfang an genügend Kapital in die Hand nehmen. Viele Ideen, die im Internet erfolgreich sein soll, erfordern einen sieben- bis achtstelligen Investitionsbetrag. Besonders wenn die Idee nicht in einem Nischenmarkt starten soll. In einer Nische kann das auch Mal kleiner funktionieren. Und ja, der Fokus ist wahnsinnig wichtig. Wir beobachten, dass einige unser Mitbewerber ihren Fokus verändert haben. Das kann jedoch dazu führen, dass die potenziellen Kunden vielleicht das Geschäftsmodell nicht mehr versteht und sich dann lieber doch einen anderen Anbieter suchen. Und deshalb sagen wir auch ganz klar: Wir führen Standard-Lkw-Transporte ab 300 km, FTL/LTL (Full Truck Load/Less Than Truckload) in Europa durch. Dieses Ziel stringent zu verfolgen, war bisher eine gute Strategie.
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