3,5 Milliarden Sendungen wurden im vergangenen Jahr alleine in Deutschland verschickt. Der Wert ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen, laut Statista sollen es 2023 bereits über 4,4 Milliarden Sendungen sein. Allerdings kommen die hiesigen KEP-Dienstleister bereits jetzt an ihre Grenzen. Immer wieder gibt es Berichte von Paketboten, die ihre Arbeit in der regulären Zeit nicht schaffen und notgedrungen Überstunden machen müssen. Das und die Tatsache, dass die Innenstädte jetzt schon durch Autos und den Lieferverkehr rappelvoll sind, machen Alternativen für die letzte Meile dringend notwendig. Dabei setzen immer mehr Firmen auf Roboter. Egal ob laufend oder rollend, die autonomen kleinen Maschinen werden inzwischen weltweit getestet und stellen Sendungen sogar schon eigenständig zu.

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Starship auf dem Vormarsch

Ganz weit vorn in Sachen Roboter-Technologie ist das Unternehmen Starship. Das StartUp entwickelt kleine autonome Roboter und arbeitet bei der Zustellung mit verschiedenen Lieferdiensten oder auch Restaurants zusammen. In 2016 hat sich auch der deutsche KEP-Dienstleister Hermes für eine Kooperation mit Starship entschieden. Gemeinsam mit dem Technologie-StartUp wurden die Roboter von Oktober 2016 bis März 2017 in Hamburg sowie ab Frühjahr 2017 für mehrere Monate im Londoner Bezirk Southwark für die Paketzustellung erprobt. In einem entsprechenden Vorstellungsvideo bezeichnet Hermes diesen neuen elektrisch betriebenen Lieferroboter als die „Zukunft auf der letzten Meile zum Kunden“. Das kleine autonome Fahrzeug lässt sich über einen individuellen Link, welchen der Kunde kurz vor Eintreffen des Paketroboters erhält, öffnen, um das Paket zu entnehmen. Während der Testphase wurden bis zu zwei Hermes-S-Pakete pro Roboter und Fahrt von einem Paketshop zum Kunden transportiert. Insgesamt absolvierten die Roboter für den KEP-Dienstleister rund 600 Fahrten und legten über 3.500 Kilometer zurück. Mit den abschließenden Ergebnissen zeigte sich der Konzern damals zufrieden und schloss die weitere Zusammenarbeit in der Zukunft nicht aus.

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Aber nicht nur hierzulande, auch in anderen Teilen der Welt stellt der sechsrädrige Roboter bereits seit einiger Zeit Waren zu. Im August konnte das Unternehmen bereits die 100.000ste erfolgreiche Zustellung feiern. In den USA beispielsweise kann das autonome Fahrzeug auf dem Universitätsgelände der George Mason University im Bundesstaat Virginia bzw. der Northern Arizona University angetroffen werden, wo es die Studenten mit Nahrungsmitteln sowohl aus Restaurants als auch Lebensmittelgeschäften versorgt. In den vergangenen Monaten hat der Lieferroboter laut Starship über 6.000 Pizzen, 8.000 Kaffees, 9.000 Sushi-Rollen, 15.000 Bananen und 3.700 Windeln zugestellt.

Scout beliefert Amazons Prime-Mitglieder

Neue und innovative Liefertrends sind natürlich auch das Spezialgebiet von Amazon. Im Jahr 2017 kaufte der Online-Riese heimlich, still und leise das Roboter-StartUp Dispatch und präsentierte zwei Jahre später dank der erworbenen Technik seinen eigenen kleinen Lieferroboter mit Namen Scout der Öffentlichkeit. Das kleine blaue Lieferfahrzeug auf sechs Rädern hat seine Arbeit bereits in der Stadt Irvine im US-Bundesstaat Kalifornien aufgenommen. Hier erhalten ausgewählte Prime-Kunden ihre bestellten Sendungen von Montag bis Freitag von Scout, allerdings noch mit Unterstützung eines menschlichen Mitarbeiters, dem sogenannten Amazon Scout Ambassador. Amazon setzt schon in vielen seiner Lager auf Roboter, nun nutzt der Konzern sie auch für die schwierige letzte Meile.

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Futuristischer Zusteller von Ford

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Auch der Autobauer Ford hat zusammen mit dem Roboter-StartUp Agility seinen ganz eigenen Lieferroboter auf die Beine gestellt – im wahrsten Sinne des Wortes. Der Gefährte mit Namen Digit hat zwar keinen Kopf, dafür aber ein Lidar-Radar zur optischen Abstands- und Geschwindigkeitsmessung sowie mehrere Stereokameras für die Navigation. Mit seinen zwei Beinen ähnelt der Roboter in seinen Bewegungen einem Menschen, er kann sogar Treppensteigen und Hindernissen ausweichen. Ford liefert außerdem das autonome Fahrzeug, in dessen Innenraum sich Digit zusammengefaltet platzieren lässt, bis er zum Einsatz kommt. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt testet man aktuell, inwieweit Digit die Paketzustellung für Sendungen bis zu 20 Kilogramm auf den letzten Metern übernehmen kann. Gelingt dies, funktioniert die Lieferung komplett autonom: Das selbstfahrende Auto von Ford bringt den Roboter zum jeweiligen Empfänger, die letzten Schritte bis zur Tür übernimmt Digit dann selbst.

Die aktuellen Hürden der rollenden Lieferroboter

An den Zustellrobotern, egal ob mit Beinen oder auf Rädern, finden Unternehmen zwar immer größeren Gefallen, die Arbeit mit diesen verläuft aber noch längst nicht reibungslos. Das musste auch Hermes während der sechsmonatigen Testphase in Hamburg feststellen. Während dieser Zeit ergaben sich für den KEP-Dienstleister drei wesentliche Problemfelder. Eine erste Hürde ist, dass sich die Technik für die Roboter noch immer im Anfangsstadium befindet. „Für eine massenmarkttaugliche Lösung war das damalige System noch nicht geeignet. Ein paar Jahre Weiterentwicklung vorausgesetzt, könnte aber durchaus Potenzial vorhanden sein“, erklärt Linda Behm von Hermes auf Nachfrage. „Wir sind überdies während des Tests damals mehrfach mit unzureichenden Mobilfunknetzen konfrontiert gewesen“, schildert sie ein zweites Problem. Da die Starship-Roboter via LTE mit der Leitzentrale kommunizieren, hat diese Tatsache im Alltagsbetrieb immer wieder zu Komplikationen geführt.

Eine dritte Schwierigkeit könnte nach Ansicht des Logistikers aktuell noch die ambivalente Gesetzeslage sein. „Während der Tests gab es noch keine wirklich verlässliche Regulierung vonseiten des Gesetzgebers, wie mit autonomen / semiautonomen Fahrzeugen zu verfahren ist. Im Test in Hamburg hatte das Team mit sehr wohlwollenden Behörden zu tun, die nicht nur den Test selbst hochinteressant fanden, sondern auch intensiv bei der Durchführung unterstützt haben“, erklärt die Hermes-Sprecherin dazu. „Gleichwohl gab es Auflagen, die einen betriebswirtschaftlich lohnenden Betrieb für Hermes kaum möglich gemacht hätten, allen voran die Auflage, jeden Roboter permanent durch einen menschlichen ‘Aufpasser’ begleiten zu lassen.“ Diese Richtlinie war für die Testphase zwar nachvollziehbar, da häufig auch Fragen von Passanten kamen, aber: „Mittel- bis langfristig würde so eine Regelung die Idee des autonomen Fahrens natürlich ad absurdum führen“, so Linda Behm weiter.

Dass Hermes den Test, nach einer einmaligen Verlängerung, nach sechs Monaten beendet hat, lag unter anderem auch daran, dass die kleinen Paketroboter während dieser Zeit noch nicht für den Massenmarkt tauglich waren. Der KEP-Dienstleister sieht den Test allerdings keineswegs als gescheitert an, sondern konnte wichtige Erfahrungen und Kenntnisse sammeln. „Für einen Regeleinsatz in der Paketzustellung aber war es einfach noch etwas zu früh“, so das abschließende Fazit von Hermes. Allerdings schließt das Zustell-Unternehmen den Einsatz in Zukunft keinesfalls aus, „sofern uns die Automobil- und Tech-Branchen entsprechend skalierbare Lösungen zur Verfügung stellen und wir eine klare gesetzliche Regelung haben. Gerade mit Blick auf den zunehmend schwierigen Personalmarkt könnten Roboter oder autonome Fahrzeuge eine absolut sinnvolle Ergänzung auf der Letzten Meile sein“, betont Linda Behm.

Kiwi in Flammen

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Die Nachfrage für autonome Lieferung von Lebensmitteln von Studenten scheint in den USA besonders hoch zu sein, denn auch das StartUp Kiwi konzentriert sich mit seinem Roboter auf vier Rädern auf dieses Feld. Die sogenannten Kiwibots sind unter anderem an der Universität Berkeley im US-Bundesstaat Kalifornien aktiv und beliefern die hungrigen Studenten hier fleißig mit Lebensmitteln aller Art.

Aber auch diese autonomen Helferlein stoßen bisweilen noch an ihre Grenzen, wie ein Vorfall aus dem Dezember 2018 beweist. Ohne fremdes Einwirken ging einer der kleinen Kiwibots in Flammen auf, in einem YouTube-Video wurde die Szene festgehalten: 

Kurze Zeit nach dem Brand gab das Unternehmen auch die Ursache bekannt: Es handelte sich um eine defekte Batterie, welche statt einer neuen und intakten in den Roboter eingesetzt wurde. Daraufhin wurden sämtliche Lieferungen mit den Kiwibots gestoppt, außerdem sollten alle Lieferroboter eine Software erhalten, welche den Stand jeder einzelnen Batterie genau überprüft, um ähnliche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden.

Baldige Realität oder entfernte Zukunftsmusik?

Neben den oben angeführten Beispielen gibt es noch zahlreiche weitere StartUps und Unternehmen, die fieberhaft an solchen und ähnlichen Robotern arbeiten. Die Nachfrage ist also durchaus da. Der Reiz solch autonomer Zusteller lässt sich sowohl für Kunden als auch für die Logistikunternehmen erkennen. Es wird aber auch deutlich, dass sich die entsprechende Technik teilweise noch im Anfangsstadium befindet und mit Kinderkrankheiten zu kämpfen hat. Ob es schon in einigen Jahren für Konsumenten völlig normal ist, Pakete von Robotern entgegen zu nehmen, wird die Zukunft zeigen. Die ersten Schritte hin zu diesem Szenario wurden allerdings bereits getan.


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