Weltweit sind nach aktuellen Angaben des Bundesgesundheitsministeriums über 80.200 Menschen am Corona-Virus erkrankt, 2.700 Menschen sind verstorben. Besonders stark betroffen vom Virus ist China, allen voran die Provinz Hubei, in der auch die Millionenmetropole Wuhan liegt. Wichtige Logistik-Schnittstellen in China sind teils zum Erliegen gekommen und sowohl für den Online-Handel hierzulande als etwa auch für die großen Tech-Konzerne zeigen sich bereits vielerorts negative wirtschaftliche Auswirkungen.
China ist auch eines der wichtigsten Produktionsländer für den Modehandel. Über die aktuelle Situation in der Modebranche sowie Effekte, Konsequenzen und mögliche Strategien angesichts des Corona-Virus sprachen wir mit Dr. Peter Rinnebach, Managing Director bei Kurt Salmon und Experte für Wertschöpfungsketten im Fashion-Handel.
Modeproduktion in China steht größtenteils still – weitere Märkte betroffen
OnlinehändlerNews: Welche Produktionsländer trifft der Corona-Virus derzeit am stärksten?
Dr. Peter Rinnebach: Die Auswirkungen des Corona-Virus zeigen sich momentan am stärksten in China. Dort ist ein Großteil der Produktion zum Erliegen gekommen. Andere wichtige Beschaffungsmärkte werden jedoch auch in Mitleidenschaft gezogen, da die Fertigung in Märkten wie Bangladesch, Vietnam oder Kambodscha häufig auf Materiallieferungen aus China angewiesen ist und Stoffe bzw. sonstige Komponenten nur begrenzt zur Verfügung stehen.
Wie gehen die Modekonzerne und Modehändler mit dem Rückgang der Importe bzw. der bestellten Ware aus dem asiatischen Raum um?
Im Moment versuchen viele Modeunternehmen die Produktionsausfälle und Verspätungen, die aus der derzeitigen Situation in China entstehen bzw. erwartet werden, dadurch aufzufangen, dass sie Teile der Beschaffung in andere Märkte verlagern. Dies gelingt jedoch nicht für die gesamten Beschaffungsmengen, so dass man versucht, vorherige Neuheitenzyklen länger auf der Fläche zu halten, um mehr Zeit für Produktionsverschiebungen zu gewinnen. Eine weitere Möglichkeit auftretende Defizite auszugleichen, wird in der Nutzung von Luftfracht für verspätete Ware gesehen.
China, Bangladesch, Indien und Kambodscha sind wichtigste Modeproduzenten
Was sind die größten Befürchtungen der Modeindustrie im Zusammenhang mit dem Corona-Virus?
Das gravierendste Szenario für die Modeindustrie wäre, wenn es nicht gelingen sollte, die aktuelle Situation in China in den nächsten Wochen zu normalisieren – oder wenn sich das Virus auf weitere asiatische Länder verbreitet.
China, Bangladesch, Indien und Kambodscha versorgen Europa mit etwa 60 Prozent des Bekleidungsbedarfs. Wenn es in diesen Ländern zu stärkeren Auswirkungen kommt, wird es nicht mehr möglich sein, die Produktionsausfälle in anderen Beschaffungsmärkten aufzufangen. Kapazitäten in diesem Ausmaß sind in Europa und Nordafrika nicht vorhanden.
Wie könnten sich die Auswirkungen auf die Hersteller in Europa und den USA weiterentwickeln?
Es ist zu hoffen, dass die Hersteller in China ihre Produktion relativ zügig wieder aufnehmen können. Damit ließen sich die ohnehin schon gravierende Umsatzausfälle durch fehlende Ware und geschlossene Geschäfte in China begrenzen. Hinzu kommt das Problem auflaufender Überbestände durch verspätete Ware, die eigentlich schon abverkauft sein sollte, um Platz für nachdrängende Neuware zu schaffen.
Aktuell können Händler in Europa und den USA fehlende Ware noch kaschieren, indem vorherige Kollektionen etwas länger im Verkauf gehalten werden. Dies ist bei längerfristigen Ausfällen nicht mehr möglich.
Flexible Lieferketten-Modelle könnten Händlern mehr Handlungsspielraum geben
Wie könnten Modeunternehmen ihre Lieferketten umstellen, um künftig solche Engpässe bzw. Krisen besser zu händeln? Geschieht dies bereits?
Auf solche gravierenden Ereignisse wie das Corona-Virus kann man sich als Marke oder Händler nur begrenzt vorbereiten, geschweige denn die Auswirkungen vollkommen neutralisieren.
Im heutigen volatilen Umfeld ist es dennoch wichtig, auf Absatz- und Beschaffungsseite flexible Supply-Chain-Modelle aufzubauen, die immer mehrere Optionen innerhalb einzelner Produktkategorien bereitstellen. So können Händler mehr Handlungsspielraum gewinnen. Mit einer gegenwärtigen Konzentration von 50 Prozent des europäischen Beschaffungsvolumens auf China und Bangladesch fehlt diese Flexibilität.
Wie können Online-Modehändler, die regelmäßig auf Lieferungen aus China angewiesen sind, nun am besten reagieren?
Für den Online-Handel stellt sich die Situation ähnlich dar wie für den klassischen stationären Handel. Online-Modehändler haben lediglich den Vorteil, dass sie keinen direkten Flächenbezug haben, so dass das Fehlen von Ware und auch das Aufeinandertreffen verspäteter Vorkollektionen und neuer Folgekollektionen aus Kundensicht weniger offensichtlich wird. Trotzdem werden sich die negativen Effekte auch auf die Online-Händler auswirken – etwa über verlorene Umsatzchancen oder höhere Preisabschriften auf Überbestände.
Wie könnten Strategien aussehen? Welche Ausweichmärkte kommen in Frage?
Auch die Online-Modehändler könnten versuchen, ihre Beschaffung in andere Länder, wie beispielsweise Bangladesch oder die Türkei, zu verlagern.
Wie gehen Modeunternehmen, Textilhändler und Modehändler mit ihren Mitarbeitern in den betroffenen Gebieten um?
Viele Unternehmen haben ihre Beschaffungsbüros in China entweder komplett auf Home-Office umgestellt oder strikte Hygieneregeln eingeführt, um die Risiken einer Ansteckung mit dem Corona-Virus für die Mitarbeiter zu minimieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
In Deutschland gibt es derzeit 16 laborbestätigte Fälle der durch den Corana-Virus ausgelösten Lungenerkrankung Covid-19, die meisten Erkrankten sind gesundet bzw. auf dem Wege der Besserung, heißt es seitens Bundesgesundheitsministeriums. Die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung werde von Experten des Robert Koch-Instituts weiterhin als gering eingeschätzt, eine weltweite Ausbreitung des Erregers scheint jedoch zunehmend wahrscheinlich.
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