Na, haben auch Sie einen Dealer im Haus? Mit Sicherheit. Ich würde mich sogar soweit aus dem Fenster lehnen und behaupten, in fast jedem Mehrfamilienhaus in Deutschland lebt ein Dealer. Die Dealer, die ich meine, sind meistens junge Eltern oder Rentner und haben natürlich nichts mit Drogen oder anderen unerlaubten Substanzen am Hut. Die Rede ist von Nachbarn, die oft zuhause sind und gefühlt für das gesamte Haus Pakete annehmen. Oder eben die Paketdealer, wie das Unternehmen Pickshare diese Personen so treffend bezeichnet.

Interaktive Logistikplattform zum Vernetzen

Pickshare, ein Produkt aus dem Hause der Parcelbox GmbH, bietet eine interaktive Plattform und lässt damit jede Privatperson zu einem eigenen kleinen Paketshop werden. Das Prinzip dabei ist denkbar einfach: Mithilfe der Pickshare-App können Kunden den genauen Ort festlegen, an welchem ihre Pakete abgegeben werden sollen, die sogenannten Pickplaces. Als solche können sich Privatpersonen registrieren lassen und als Annahmestelle fungieren. Diese „Paketdealer“ können sich im Anschluss mit Freunden und Nachbarn vernetzen und genau festlegen, für wen man Pakete annehmen möchte. 

Pickshare entlastet so nicht nur die Zusteller, die dank des sozialen Zustellnetzwerkes mehrere Pakete an einem Ort abgeben können und sich so ein mehrfaches Anfahren einer Adresse sparen. Auch die Paketempfänger und -dealer profitieren von dem Dienst. Als Kunde lässt sich genau festlegen, wo Pakete hinterlegt werden sollen, wenn man selbst nicht zu Hause anzutreffen ist. So wird dem Empfänger der Weg hin zu einem Paketshop erspart und es müssen keine unleserlichen Abholscheine entziffert werden. Der Paketdealer hat hingegen die volle Kontrolle darüber, für wen er Pakete kostenfrei, gegen eine gewisse Gebühr oder gar nicht annehmen möchte. So wird die Wohnung nicht unfreiwillig zum „Ablageort“. Die Gebühr in Form von digitalen Sharecoins kann jeder Paketdealer pro Nachbar selbst festlegen, natürlich kann die Annahme auch gratis erfolgen. Die gesammelten ShareCoins können anschließend als Gutscheine ausgezahlt werden. 

Den kompletten Ablauf regelt die Pickshare-App, sodass sich Nutzer um nichts weiter kümmern müssen. Bis September 2019 wurde Pickshare in über 40 Städten in ganz Deutschland getestet, mit etwa 1.000 aktiven Nutzern.

Das PayPal für die Logistik

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Nun will das Unternehmen einen Schritt weitergehen und arbeitet an einer neuen Plattform, welche noch im Mai diesen Jahres an den Start gehen soll. „Pickshare hat die Vision, zum PayPal für die Logistik zu werden und als zentrale Schnittstelle im Check-Out individuelle, sichere und bequeme Zustelloptionen bereitzustellen“, erklärt CEO Björn Marc Paulus die Ziele. „Dafür stellen wir ab Sommer Plug-Ins für die gängigen Shop-Systeme zur Verfügung. Neben privaten Paketannahmestellen und Multi-Label-Paketshops werden wir dazu ab diesem Jahr stark auf professionelle Partner auf der letzten Meile setzen, die mit uns alltagstaugliche und nachhaltige Zustellkonzepte und Geschäftsmodelle auf der letzten Meile umsetzen.“ 

Dafür wird Pickshare noch in diesem Jahr verschiedene Pilottests starten, mit denen die Plattform umfangreich geprüft werden kann. „Ein erster Pilot ist dabei die Umsetzung des Kiezboten-Konzeptes in Berlin, bei dem auf Basis unserer Plattform die Zustellung gebündelt und nachhaltig mit Lastenfahrrädern in Berlin umgesetzt werden wird. Pickshare-Kunden in Berlin erhalten damit alle Pakete gemeinsam mit dem Pilotpartner ‘Kiezbote’ in einem zweistündigen Wunschzeitfenster direkt und emissionsfrei mit dem Lastenfahrrad an die Haustür geliefert – ohne zusätzliche Kosten“, so der Pickshare-Chef weiter. Langfristig hat sich das Unternehmen zum Ziel gesetzt, die aktuellen Herausforderungen auf der letzten Meile anzugehen und „die notwendige Infrastruktur für eine nachhaltige Logistik der Zukunft aufzubauen“, betont Björn Marc Paulus. 

Hermes und der PaketFuxx

Ein ähnliches Konzept hat auch der KEP-Dienstleister Hermes vor Augen und will mit dem Service PaketFuxx die Nachbarschaftszustellung in Großstädten vergüten. Dabei erhalten die PaketFüxxe, welche Sendungen von Nachbarn oder Personen aus der näheren Umgebung annehmen, 30 Cent je Paket, unabhängig davon, welcher Paketdienst dieses liefert. Begonnen hat Hermes mit dem neuen Service in Nürnberg, hier haben sich bereits über 200 PaketFüxxe angemeldet, wie Hermes-Pressesprecher Sebastian Kaltofen erläutert. Aufgrund der positiven Resonanz wurde der Dienst nun auch auf Berlin, Leipzig und Dresden ausgeweitet.

„Sollte der Aufbau eines relevanten Netzwerks an Konsolidierungspunkten gelingen, ist es zum Beispiel eine Option, die PaketFuxx-Nutzung transaktionsbasiert auch anderen Zustellunternehmen oder Online-Händlern anzubieten. Wir möchten mit dem PaketFuxx-Service eine ernstzunehmende Alternative im Checkout-Prozess der Online-Händler werden“, erklärt Dennis Kollmann, Chief Sales Officer Hermes Germany, die Ziele.

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Als Paketdienst sieht Hermes Tag für Tag, unter welchem Zeitdruck die eigenen Zusteller jetzt schon stehen. Durch die immer größer werdenden Sendungsmengen sind neue und innovative Lösungen auf der letzten Meile unabdingbar. Die Möglichkeit der gesammelten Abgabe bei PaketFüxxen kann eine Alternative zur klassischen Haustürzustellung sein, die mehrfache Zustellversuche an einer Adresse verhindert und damit natürlich auch die Umwelt entlastet. Gleichzeitig bietet es den Menschen, die tagsüber regelmäßig zu Hause sind, eine zusätzliche Einnahmequelle.

Dennoch sieht Hermes die Paketannahme durch Privatpersonen nicht als alleinigen Problemlöser für die aktuellen Herausforderungen auf der letzten Meile, sondern vielmehr als Ergänzung zu den restlichen Angeboten, wie das bereits breit aufgestellt Paketshop-Netz. „Aber noch wichtiger ist uns dabei der Kundengedanke – denn mit ‘PaketFuxx’ verbessern wir das Versanderlebnis für den Kunden signifikant. Vorbei sind die Zeiten, in denen bei fünf verschiedenen Paketen der Kunde diese an fünf verschiedenen Orten abholen musste. Alle Sendungen liegen jetzt bei dem ‘PaketFuxx’“, so Sebastian Kaltofen weiter.

Schutzmaßnahmen vor„schwarzen Schafen“

So hilfreich wie die beiden Dienste von Pickshare und Hermes aber auch sind, das Sprichwort „Gelegenheit macht Diebe“ kennt wohl jeder. Um sicherzustellen, dass wertvolle Pakete oder Gegenstände nicht in falsche Hände gelangen, setzt Hermes beispielsweise auf ein Projektteam, welches sich nach eigenen Angaben sehr genau um die PaketFüxxe kümmert und sowohl mit ihnen als auch mit den Zustellern vor Ort im regelmäßigen Austausch steht. Etwaige Probleme würde der Konzern so relativ schnell auf dem Schirm haben. 

Bei Pickshare wiederum sorgt die lückenlose Übergabekontrolle in der App dafür, dass das StartUp jederzeit den Standort der Sendung überprüfen kann. Zusätzlich gibt es innerhalb des Paketnetzwerkes eine Bewertungsfunktion, um allen Mitgliedern der Community sofort anzuzeigen, welche Paketdealer zuverlässig sind oder wo es des Öfteren zu Problemen gekommen ist. Auch können Kunden bei negativen Erfahrungen jederzeit Pickshare direkt kontaktieren, so kann das Unternehmen schnell reagieren.

Zalando liefert an private Abgabestellen

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Der Online-Modehändler Zalando setzt sich ebenfalls mit neuen und effektiven Zustellalternativen auseinander und hat im vergangenen Jahr gemeinsam mit dem Partner PostNord die Zustellung und Abholung von privaten Abhol- und Abgabestellen in Dänemark getestet. „Unsere dänischen Kunden wünschen sich sowohl nachhaltige als auch bequeme Lieferservices. Sie schätzen an der Nachbarschaftszustellung bzw. -abholung vor allem die kurzen Wege, die Zugänglichkeit und das hohe Service-Niveau. 95 Prozent der Kunden, deren Paket an eine Nachbar-Abholstation geliefert wurde, haben angegeben, dass der Service exzellent war“, erklärt Christian Scheffler, Director Zalando Premium Logistics. Die detaillierte Auswertung des dreimonatigen Tests läuft zwar noch, allerdings fallen die ersten Ergebnisse laut dem Modehändler sehr positiv aus. 

Analog zu den beiden bereits vorgestellten Diensten richtete sich auch Zalandos Pilotprojekt vor allem an Menschen, die regelmäßig zuhause sind, beispielsweise Selbstständige, Rentner und Eltern. Beim Test in Dänemark wurde mit bis zu 50 Abhol- und Abgabestellen, betrieben von Privatpersonen, begonnen. Diese erhielten eine stückbasierte monatliche Vergütung, wie der Modehändler in der Ankündigung schreibt. Aktuell prüft Zalando die Möglichkeit, den Service auch in anderen Märkten zu testen.

Bedürfnis nach nachhaltigen Zustelloptionen steigt 

Zalando hat erst vor wenigen Monaten bekannt gegeben, das eigene Engagement im Bereich der Nachhaltigkeit verstärken zu wollen und ist dafür der Global Fashion Agenda beigetreten, einer Initiative die sich dafür einsetzt, die Innovationen zur Nachhaltigkeit in der Modebranche voranzutreiben. Zusätzlich testet das Unternehmen den Einsatz von Lastenfahrrädern und Elektrofahrzeugen, denn auch bei den Kunden steigt das Bedürfnis nach nachhaltigen Zustelloptionen stetig an. Aus diesem Grund wurde auch die Nachbarschaftslieferung in Dänemark ins Leben gerufen. Ob es auch einen ähnlichen Test in Deutschland geben wird, ist noch nicht bekannt.

Wie mit so vielen neuen Innovationen ist aber auch diese Alternative zur Paketzustellung auf der letzten Meile nicht unbedingt die eierlegende Wollmilchsau, ergänzt die bereits bestehende nachhaltige Option der Abgabe an einem Paketshops aber dennoch. Ob sich das Konzept tatsächlich durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Dass sich sowohl Paketdienste als auch Händler selbst an neuen Methoden versuchen, beweist allerdings, wie wichtig neue Ideen für die Paketzustellung sind.