In diesem Jahr überwältigt die Bestell- und Paketflut in Online-Handel und Logistik. Doch mehr Bestellungen bedeuten für den Händler auch, dass mehr Waren retourniert werden könnten. Allerdings bedeutet jede Retoure den Verlust von Umsätzen. Der Umgang mit den Rücksendungen wird zudem auch in Bezug auf die Nachhaltigkeit immer wieder diskutiert und kritisiert.
Ganz ohne geht es im Online-Handel jedoch ohnehin nicht, weiß auch Artjom Bruch, Geschäftsführer bei Trusted Returns – einer IT-Plattform für das Retourenmanagement im E-Commerce. Umsatzverluste und hohe Kosten würden jedoch eher auf ineffiziente und althergebrachte Prozesse zurückzuführen sein. Im Interview erklärt uns der Experte für Retourenmanagement, welchen Herausforderungen sich Händler aktuell stellen müssen, welche Verfahren Probleme bereiten und welche neuen Methoden in der Abwicklung von Rückgaben nützlich sein könnten.
Geschwindigkeit und Service der großen Player verwöhnen Kunden kleinerer Händler
OnlinehändlerNews: Retouren gehören zum Online-Handel dazu. Welche Faktoren beeinflussen den Umfang von Retouren, gerade auch in Hinblick auf das aktuelle Weihnachtsgeschäft?
Artjom Bruch: Einen erheblichen Einfluss auf die Retourenquote hat natürlich die Qualität der Ware und deren Beschreibung im Online-Shop. Sie muss genau zum Produkt passen und dessen Eigenschaften vollständig und richtig beschreiben. Abweichende Größenangaben bei Fashion-Artikeln und generell zugesicherte Eigenschaften, die der Käufer nicht vorfindet, sind ein Garant für Retouren. Häufig ist sich der Händler über viele Details seiner verkauften Artikel jedoch gar nicht im Klaren. Hier kann ein optimierter Retourenprozess weiterhelfen, erhält der Händler durch eine zielführende Kommunikation mit dem Konsumenten entsprechende Hinweise. Sehr häufig ist es jedoch genau diese Kommunikation, die es im Retouren-Alltag nicht gibt. Der Kunde klebt einen Retourenaufkleber auf die Rücksendung – und fertig. Damit geht dann auch die Möglichkeit eines positiven Eingriffs des Händlers zur Vermeidung der Retoure verloren.
Zu den weiteren Faktoren gehört auch die Demographie der Kunden, die die Ware zurücksenden. So spielen z. B. Geschlecht, Alter und oder technische Affinität durchaus eine Rolle für das Retourenverhalten. Frauen tätigen generell mehr Retouren als Männer – das gilt besonders für Fashion-Artikel. Auch neigen weibliche Kunden eher zu Impulskäufen, was sich ebenfalls auf das Retourenverhalten auswirkt. Auch das Sortiment spielt eine der Hauptrollen. Insbesondere bei Kleidung liegt die Retourenquote auf Packstückebene nicht selten über 50 Prozent.
Welche Herausforderungen bringt dies für Online-Händler mit sich?
Die Online-Händler stehen vor großen Herausforderungen, wenn es um die eigenen Kapazitäten geht. Vor allem wird deutlich, wie wichtig es ist, die Prozesse im Unternehmen möglichst skalierbar abzubilden. Die hohe Erwartungshaltung der Käufer ist zu einer Dauerherausforderung der Branche geworden. Verwöhnt durch Service und Geschwindigkeit von großen Unternehmen treten Käufer mit denselben Erwartungen an mittelgroßen und kleineren Händler heran.
Und die größte Herausforderung kommt erst noch. Wir gehen davon aus, dass das Weihnachtsgeschäft 2020 alle bisherigen Retouren-Rekorde brechen wird. In der aktuellen Pandemie-Situation sehen sich Online-Händler und die gesamte Logistikkette seit Monaten einer starken Verlagerung des Einkaufsverhaltens auf den Online-Handel gegenüber. Zudem kämpft die Branche natürlich auch mit Hygienekonzepten für Mitarbeiter und Herausforderungen für die Logistik durch COVID-19.
Mit welchem Kostenaufwand (durchschnittlich, prozentual) sind Retouren für Online-Händler Ihrer Erfahrung nach verbunden? Welche Unterschiede gibt es diesbezüglich zwischen großen und kleineren Händlern?
Es gibt keinen „pauschalen“ Kostenaufwand. Neben der Retourenstrategie ist ebenso die Ware entscheidend. Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass durch eine höhere Standardisierung und Transparenz der Kostenaufwand aktiv beeinflusst werden kann. Kosten von bis zu 15 Euro im Schnitt sind üblich – dabei gibt es natürlich Ausreißer wie z. B. Weiße Ware (Waschmaschinen) oder Elektronikartikel, die sorgfältig aufbereitet werden müssen. Und hier betrachten wir nur einen kleinen Ausschnitt des Gesamtprozesses. Auch Logistik und Kundenservice müssen mit einbezogen werden.
Pauschal kann man jedoch sagen: Jede Retoure ist eine Retoure zu viel, da sie in der Regel nicht nur die Kosten durch Bearbeitung und Abwicklung nach sich zieht, sondern auch einen Umsatzverlust bedeutet – ganz zu schweigen vom Nachhaltigkeitsaspekt. Dabei ist es egal, ob der Händler als groß oder klein zu bezeichnen ist. Natürlich sind Betreiber größerer Online-Shops in der Regel professioneller aufgestellt und leisten sich den Einsatz von mehr Ressourcen, die leider in einen rückwärtsgerichteten Prozess investiert werden müssen und zu vermeiden wären, würden die richtigen Instrumente eingesetzt werden.
„Beilegerretoure ist mehr als überholt“
Welche Retourenprozesse sind denn Ihrer Meinung nach weniger (kosten)effizient? Warum?
Die Antwort ist hier eindeutig: die Beilegerretoure – so wird eine Retourenform genannt, bei der das Rücksendelabel schon der Aussendung beiliegt. Sie wirkt heutzutage bei genauer Betrachtung richtiggehend anachronistisch. Sie suggeriert dem Konsumenten, dass er Vertrauen in den Händler haben kann und dass seine Retoure willkommen ist. Auch im Hinblick auf entstehende Kosten und die Fragestellungen im Punkt Nachhaltigkeit, ist die Verwendung der Beilegerretoure mehr als überholt.
Ein Beileger bietet für den Händler somit die geringste Effizienz. Jedenfalls, wenn man es über den gesamten Prozess betrachtet. Man verschenkt die Möglichkeit auf Basis von wertvollen Daten das Problem des Käufers im positiven Sinne zu lösen. Wenn man versteht, warum der Käufer die Absicht hat die Ware zurückzusenden, kann man proaktiv gegensteuern oder z. B. sofort das Angebot anpassen. Das lässt sich über einen Beileger nicht erreichen. Der Händler wird mit der Retoure konfrontiert, wenn diese bereits im Lager eingetroffen ist, der Kunde bekommt erst danach Rückmeldung. Dazwischen herrscht quasi Funkstille.
Große Händler wie Zalando und Amazon haben ihr Retourenmanagement ins Ausland verlagert. Auch die Otto Group hat jüngst das letzte deutsche Hermes Retourencenter in Hamburg geschlossen. Welche Vorteile, aber auch welche Nachteile, bringt das mit sich? Ist diese Möglichkeit auch für kleinere Händler attraktiv?
Entscheidungen über die Auslagerung der Bearbeitung von Retouren ins Ausland sind auf den allgemein gestiegenen Kostendruck zurückzuführen. Die verschärfte Konkurrenzsituation trägt ebenfalls dazu bei.
Nachteile ergeben sich durch ausländische Retourenzentren ganz zwangsläufig durch starre Prozesse und damit auch durch die erhöhte Prozessdauer. Geben Käufer eine Ware bei einem Transporteur zur Rücksendung auf, hoffen sie auf eine schnelle Erstattung des Kaufpreises. Da bei bestimmten Retourenverfahren, wie der Beilegerretoure, der Händler lange Zeit nichts von der Rücksendung der Ware weiß, verlängert sich der Gesamtprozess schon allein durch einen längeren Transportweg um mindestens einen weiteren Tag. Übliche Rückmeldezeiten zur Rücknahme von Waren liegen heute immer noch zwischen drei bis sieben Tagen. In vielen Fällen gibt es gar keine Rückmeldung. Es gibt also eine Zeitspanne der Unsicherheit und Intransparenz. Je länger die Rückerstattung von Kaufpreisen dauert, umso unruhiger wird der Konsument und umso unbehaglicher fühlt er sich. Ob dieser nach einer derartigen Erfahrung wieder bei diesem Händler bestellt, ist fraglich, wenn es Alternativen gibt.
Für kleinere Händler ist die Möglichkeit der Auslagerung der Retourenbearbeitung ins Ausland in der Regel nicht attraktiv, es sei denn, man lagert komplett den gesamten Bestand an einen Fulfillment-Dienstleister aus. Sie Kosten für ein Versandlager und Ware, die aus dem ausländischen Retourenlager zurückgeführt werden muss, wären schlicht zu hoch.
Retouren-Bedingungen sind wichtiger Teil der Kaufentscheidung
Viele Händler bieten kostenlose Rücksendungen an. Wäre es ratsam in Hinblick auf die Zusatzkosten, die Retouren verursachen, stattdessen Gebühren für diese zu erheben? Könnte dies vielleicht auch ein Umdenken bei den Kunden bewirken?
Im Grunde tragen die Kunden die Kosten bereits heute. Zusätzliche Gebühren – sofern nicht einheitlich von allen Marktteilnehmern eingeführt – werden die Kunden eher zum Kauf bei Wettbewerbern verleiten. Gerade die Möglichkeit, die Ware vorab in Augenschein zu nehmen und sich von den Eigenschaften zu überzeugen, bewegt einen Kunden zum Kauf. Die Retouren-Bedingungen sind damit ein wesentlicher Teil der Kaufentscheidung. Je mehr Hürden eingebaut werden, desto kleiner der Warenkorb. Ein Umdenken kann bewirkt werden, indem Maßnahmen punktuell und dosiert durchgeführt werden. Dazu muss man aber erst seine Kunden verstehen und über die volle Kontrolle über und Einblicke in den gesamten Retourenprozess verfügen.
Was empfehlen Sie vor allem kleinen und mittelständischen Händlern, um kostengünstig Retouren zu managen?
Überblick und Transparenz über den gesamten Retourenprozess bilden die Grundlage. Damit wird es möglich, das eigene Angebot aus einem anderen/zusätzlichen Blickwinkel zu betrachten und Einblick in das Verhalten der Kunden zu bekommen.
Als nächstes betrachtet man die Kostenseite und kann mit der nun vorhanden Datenbasis ableiten, an welchen Stellen Optimierungen vorgenommen werden können. Die Spanne reicht hier von der Logistik über den Kundenservice bis hin zum Marketing.
Der Einsatz einer integrierten Plattform, die alle Prozessschritte mit Daten unterstützt, hilft jedem Händler dabei, ein klares Bild über das eigene Retourenmanagement zu bekommen. Eine standardisierte Lösung ist kostengünstig und schnell implementiert. Die modernen Prozesse schaffen nicht nur Transparenz in Bezug auf das Angebot einer direkten Kommunikation, sondern bieten auch die Möglichkeit, Bewertungen zum gesamten Bestellprozess einzuholen oder Informationen zur Ware, der Nachverfolgung von Gutschriftprozessen zu übermitteln. Sie schaffen so einen erheblichen Mehrwert für Kunden und Händler. Hierdurch werden Vertrauen und Loyalität aufgebaut und langfristige Kundenbeziehungen gebildet.
Auch Ansätze, Retouren mit Softwareunterstützung abzuwickeln, können nicht ohne zusätzliche Ressourcen bewältigt werden. Mit welchem Zeit-, Kosten-, Wartungs- und Schulungsaufwand müssen Händler rechnen, wenn sie auf eine solche digitale Variante umstellen?
Die Umstellung auf eine digitale Variante ist schneller durchgeführt, als dies im industriellen Umfeld meist bekannt ist. Es liegt einzig an der Machart der Portallösung, die eine schnelle Integration in laufende etablierte Umgebungen schafft. Durch Standard-Integrationen zu Warenwirtschafts- und Shopsystemen, Marktplätzen und Logistikdienstleistern ist die Anbindung und damit auch der Datenaustausch innerhalb von wenigen Stunden möglich. Standardmäßig liefert Trusted Returns beispielsweise alle nötigen Userinterfaces mit. Der Händler kann Anpassungen wie z. B. das Einbinden des Logos direkt auf der Plattform vornehmen. So ist auch die Bereitstellung eines Self-Service Portals für den Käufer durch einen Link möglich, den man in seinen Onlineshop einbindet. Auch der Schulungs- und Wartungsaufwand ist mit unser Retourenmanagement-Plattform für Händler gering.
Vielen Dank für das Gespräch!
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