Ganz Deutschland befindet sich seit Wochen erneut im Lockdown, Geschäfte bleiben noch auf unbestimmte Zeit geschlossen. Auf Shoppingtouren müssen Konsumenten natürlich trotzdem nicht verzichten, dem Online-Handel sei dank. Und weil aktuell die Möglichkeit der Anprobe von neuen Kleidungsstücken in den Geschäften fehlt, wird ein bestimmtes Produkt eben in verschiedenen Farben und Größen bestellt, zuhause anprobiert und was nicht passt, ganz einfach und in den meisten Fällen ohne Gebühren zurückgeschickt. Die kostenlose Retoure – ein Segen für Käufer, ein Fluch für die meisten Händler.

Deutschland mit besonders hoher Retourenquote

Im internationalen Vergleich steht Deutschland in Sachen Rücksendequote mit auf den obersten Plätzen. Hierzulande liegt diese laut einer Untersuchung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) sowie des Forschungsinstituts ibi research im Schnitt bei über sechs Prozent, im Ausland fällt der Wert deutlich geringer aus. Konsumenten in China und Italien retournieren beispielsweise mit einer Quote von nur 2,9 Prozent, in den Niederlanden, der Schweiz, Großbritannien und Frankreich liegt der Wert zwischen 3,4 und 5,6 Prozent. Betrachtet man nur den Modehandel, liegen die Quoten noch weitaus höher. Das Problem bei den übermäßigen Retouren: Sie verursachen zusätzliche Kosten für den Händler und sind außerdem schlecht für die Umwelt. Schließlich müssen die Sachen nicht nur einmal quer durch die Republik gefahren werden, sondern gleich mehrmals, um wieder beim Verkäufer zu landen. Das bedeutet mehr Pakete im Lieferwagen, vollere Straßen und ein höherer CO2-Ausstoß. 

Die Händler wiederum müssen die zurückgeschickten Waren sichten, säubern und in einigen Fällen sogar vernichten, wenn sie nicht mehr in den öffentlichen Verkauf gehen können. In der Vergangenheit gerieten immer wieder Konzerne in Kritik, da die Vernichtung von Retouren oft billiger ist als die Wiederaufarbeitung und der Weiterverkauf. Laut einer Händlerbund-Umfrage unter kleinen und mittelständischen Online-Händlern aus dem vergangenen Herbst ging die Retourenquote im Corona-Jahr 2020 sogar noch etwas nach oben. Demnach sorgten sogenannte Spaßkäufer, die ohne echte Kaufabsicht Waren bestellten, bei 59 Prozent der befragten Händler für ein Minusgeschäft. Zusätzlich erhielten zwei Drittel der Studienteilnehmer beschädigte Retouren, die nur noch mit einem Rabatt weiterverkauft werden konnten.

Hartes Durchgreifen: Kontensperrungen bei übermäßigen Retouren

In Anbetracht dieser Zahlen ist es kein Wunder, dass viele Unternehmen in den vergangenen Jahren verstärkter gegen übermäßige Rücksendungen vorgehen. Manche Konzerne greifen sogar zur äußert rigorosen Maßnahmen, um ungewöhnliches Retouren-Verhalten im Blick zu behalten und zu bestrafen. So gab der britische Modehändler Asos bekannt, Vielretournierer künftig aussperren zu wollen. Dabei liegt der Fokus vor allem auf Kunden, die viel größere Mengen als üblich zurücksenden. Sanktionen drohen auch, wenn der Konzern vermutet, dass bereits getragene Kleidungsstücke zurückgeschickt werden. Dann behält sich Asos das Recht vor, „möglicherweise das Konto und die dazugehörigen Konten zu deaktivieren“, betont der Händler. Über die neue Vorgehensweise wurden Kunden bereits per E-Mail informiert, Asos erklärt die strikten Maßnahmen unter anderem auch mit Umweltaspekten, da ein solches Verhalten schließlich alles andere als nachhaltig ist.

Otto: Viele kleine Stellschrauben für eine geringe Rückgabequote

Wie also massenhaft Rücksendungen vermeiden, ohne seine Kunden zu verprellen und dennoch ein positives Kauferlebnis zu bieten? Otto hat dafür in den letzten Jahren zahlreiche Maßnahmen ergriffen, die alle zusammen dafür sorgen, die Retourenquote beim Konzern sehr klein zu halten. Zwar kommuniziert Otto keine genauen Zahlen, betont aber, dass es sich in den verschiedenen Bereichen sehr unterscheidet. „Retouren gehören zum Geschäftsmodell eines Online-Händlers. Am höchsten sind sie bei Kleidung und Schuhen“, betont Pressesprecher Frank Surholt. Deswegen liegen in dieser Kategorie die Rückgaben bei Otto auch am höchsten, bei Möbeln und weißer Ware gibt es die wenigsten Retouren.

Zu den „Sorgenkindern“ gehören hauptsächlich Basic-Artikel aus dem Modebereich. Hier hat sich der Online-Händler einiges einfallen lassen, um die Rücksendungen herunterzuschrauben. So nutzt Otto die Artikeldetailseite zum Produkt nun viel besser. Vor zehn Jahren noch waren das nach Angaben des Pressesprechers wenige Zeilen Text und Fotos. Heute sind auf der Seite eine Vielzahl von Bildern, sowohl mit als auch ohne Model zu sehen, eine sehr ausführliche Artikelbeschreibung mit zahlreichen Hinweisen beispielsweise Informationen zum Waschen oder zum Material. Außerdem werden Details wie Knöpfe und Taschen genau beschrieben. So kann sich der Kunde auch ohne vorheriges Anprobieren das Produkt vorstellen. „Das macht unfassbar viel Arbeit, hat uns aber dabei geholfen, besonders bei Kleidung die Retouren zu senken“, bestätigt Frank Surholt. Im Bereich Technik setzt der Konzern auf Erklärfilme, um das Produkt den Kunden möglichst ausführlich zu beschreiben und näher zu bringen. 

„Es hört sich sehr profan an, aber die ausführliche Produktbeschreibung einschließlich Foto und Film haben wir in den letzten Jahren massiv ausgebaut und das hat uns deutlich dabei geholfen, die Rückgaben zu senken“. Laut Frank Surholt machen oder können vor allem viele kleine Online-Shops dies so nicht. Wenn in der Beschreibung nur „blaue Bluse“ steht, fehlen dem Kunden häufig die genauen Vorstellungen, was er da eigentlich bestellt, was sich gleichzeitig in einer hohen Retourenquote niederschlägt.

otto kundenbewertungen

„An das Umweltgewissen der Kunden zu appellieren, hat uns beim Retourenmanagement einiges gebracht“

Außerdem bezieht Otto Kundenbewertungen aktiv mit in den Retourenprozess ein. Dies geschieht auf zwei Ebenen. Zum einen fast eine künstliche Intelligenz Begriffe zusammen, die besonders häufig in Rezensionen genannt werden und macht diese in einem Keyword sichtbar. Bei Klick auf dieses Keyword werden alle Bewertungen anzeigt, die das bestimmte Wort enthalten. Zum anderen werden die Rücksendungen sehr aufwendig ausgewertet und die Gründe für Retouren in ein System eingespeist. Erkennt das Tool, dass ein Produkt häufig mit der gleichen Begründung zurückgeschickt wird, schlägt es umgehend Alarm. Auf diese Weise erkennt Otto sehr schnell, wenn beispielsweise eine Charge an Blusen produziert wurde, die an den Armen zu eng sitzt und dem Händler so nur Retouren beschert. „Wenn das System anschlägt, nehmen wir das Produkt dann auch sofort aus dem Shop heraus“, so der Pressesprecher zum Prozess.

Screenshot OTTO

Otto hat natürlich auch erkannt, dass sich das Thema Nachhaltigkeit in den letzten Jahren immer mehr in den Köpfen der Konsumenten festgesetzt hat und dies in die Prozesse des Retourenmanagements mit aufgenommen. Hat ein Käufer mehrere Größen desselben Artikels in den Warenkorb gelegt erscheint ein PopUp-Fenster mit einem Hinweis auf die zusätzlichen Transportwege und Umweltbelastung. So konnte Otto nach eigenen Angaben bereits nach kurzer Zeit die Retouren herabsenken. „An das Umweltgewissen der Kunden zu appellieren, hat uns beim Retourenmanagement einiges gebracht“, resümiert Frank Surholt.

Zalandos Sizing Team und Künstliche Intelligenz

Auch Online-Modehändler Zalando hat eine ganz besondere Strategie entwickelt, damit so wenig Stücke wie möglich nach dem Kauf wieder zurück zum Unternehmen wandern. Dafür arbeiten die Berliner unter anderem mit detaillierten Produktbeschreibungen und Produktvideos, experimentieren aber auch mit Teilkörperansichten, 360°-Ansichten und Größenempfehlungen. Um das zu realisieren, wurde vor einigen Jahren sogar eine eigene Abteilung, das Sizing-Team, im Unternehmen gegründet. Dieses besteht aus Datenwissenschaftlern, Business Developern, Software-Ingenieuren und Fitting Models und befasst sich ausführlich mit Produktgrößen und den richtigen Passformen. Dabei setzt das Berliner Unternehmen zum großen Teil auch auf maschinelles Lernen, um Produkte direkt im Shop mit einem Hinweis zu versehen, sollten diese beispielsweise zu klein oder zu groß ausfallen. Mit dem Thema Sizing will Zalando nicht nur die eigenen Kunden zufriedenstellen und die Retourenquote senken, sondern auch in der gesamten Branche einen Unterschied machen.