Was genau ist nun alles systemrelevant? Und warum? In der Pandemie konnten wir feststellen, dass es unter anderem die Logistik ist. Schließlich trägt das Versand- und Transportwesen wesentlich zur Grundversorgung bei und hält die Gesellschaft „am Laufen“. PARCEL.ONE-Gründer und Geschäftsführer Micha Augstein erklärt, warum eine funktionierende Logistik – auch außerhalb einer Krise – so enorm wichtig ist und was es dazu braucht.
Die deutsche Wirtschaft unterliegt aktuell weiterhin den Auflagen und Geschäftsschließungen während des Lockdowns. Wenn sich daran nicht bald etwas ändert, werden die Langzeitfolgen immer dramatischer. Seit vergangenem März werden die Abhängigkeiten ganzer Zweige unserer Ökonomie von nicht beeinflussbaren Faktoren als fragiles Konstrukt entlarvt. Parallel kristallisierten sich allerdings auch einige Branchen als systemrelevant und sogar „überlebenswichtig“ heraus, von denen es nicht unbedingt auf Anhieb zu erwarten war.
Eine davon ist der Logistiksektor. Meist als selbstverständlich wahrgenommen, trägt das Transfer- oder auch Transportwesen aktuell maßgeblich zur (gesundheitlichen, Stichwort Impfstoff-Logistik) Grundversorgung bei. Und der KEP-Branche (Kurier-, Express-, Paketdienste) werden weiterhin steigende Umsätze prognostiziert – trotz Corona. Die direkten Auswirkungen der Coronakrise lassen sich hier noch nicht genau abbilden, allerdings geht der Bundesverband Paket & Express Logistik (BIEK) in der KEP-Studie 2020 davon aus, dass die KEP-Branche bis 2024 weiterhin ein stabiles Wachstum in der Sendungsmenge erwarten kann. Auf die KEP-Dienste war und ist Verlass und das auch während der Coronakrise.
Auswirkungen der Covid-19-Krise auf die Logistik
Das Transport- und Logistikwesen agiert trotz oder womöglich auch gerade wegen der Krise mehr oder weniger unter Volllast. „Mehr oder weniger“ deshalb, weil der internationale Cross-Border-Commerce durch Lock- und Shutdown inklusive Grenzschließungen und unterschiedlicher Verkehrsbestimmungen und -direktiven teilweise erneut pausieren muss. Dennoch steigt das weltweite Paketaufkommen rasant. Im Jahr 2019 wuchs das globale Paketvolumen erstmalig auf über 100 Milliarden versendete Pakete. Tendenziell rechnen Analysten mit einer jährlichen Wachstumsrate von 14,8 Prozent. Bis 2026 soll sich das globale Paketaufkommen noch einmal verdoppeln und abhängig von den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie zwischen 200 und 316 Milliarden Paketen liegen.
Allein in Deutschland wurden 2020 in den Monaten November und Dezember (Weihnachtsgeschäft) 435 Millionen Pakete zugestellt. Ein neuer Rekord: Im Weihnachtsgeschäft 2017 waren es noch 300 Millionen Sendungen. Die entscheidenden Treiber waren und sind größtenteils Corona und der allgemein florierende E-Commerce-Markt. Hier braucht und beweist die Logistik ein enormes Maß an Flexibilität, um die Versorgung von Bevölkerung und Wirtschaft sicherzustellen.
Innovationen und Digitalisierung der Logistik
In Sachen Digitalisierung wird die Logistik in der breiten Öffentlichkeit oft eher als Nachzügler wahrgenommen. Tatsächlich aber investierte Deutschlands drittgrößter Wirtschaftssektor schon früh in digitale Techniken: Computer, die in den 70er-Jahren Touren berechneten oder Barcode-Scanner zur schnelleren Erfassung von Sendungsdaten in den 80ern. Die Logistik zählt zu den Treibern digitaler Innovationen. Und die Pandemie wird der gesamten Logistikbranche einen weiteren Digitalisierungsschub verpassen.
Steigerung der logistischen Leistung, Produktivität, Optimierung der Prozessqualität, schnelle und rechtzeitige Bereitstellung von Information – All das sind Ziele, die durch eine Automatisierung und Digitalisierung der Logistik erreicht werden sollen. Dabei sind basierend auf digitalen Systemen Lieferantensteuerung, Kundenservice und Vertrieb bereits jetzt schon operative Normalität. Auch Transport-Management-Systeme (TMS) werden beispielsweise sukzessive in andere Prozesse wie etwa die Intralogistik, Telematik, Retouren- und Risikomanagement, Nachhaltigkeit, Business-Intelligence-Softwares oder ERP-Systeme implementiert.
Eine der zentralen Herausforderungen dürfte hierbei vor allem die reibungslose und effiziente Interaktion aller am Workflow beteiligten Instanzenen sowie die Finanzierung der Umstrukturierung sein. Denn selbst wenn Investitionen in die Digitalisierung gestemmt werden können, müssen zwangsläufig auch die Renditen folgen. Ertrag versus Aufwand.
Mit Karacho durch die Krise
Das Logistik-Ressort schlittert vergleichsweise behaglich durch die Krise. Als systemrelevantes Organ muss sie unter Volllast performen. Dennoch drücken Grenzschließungen oder Einreise- und Cargo-Verbote spürbar aufs Gemüt der Dienstleister. Und trotz Corona wird auch weiterhin die Dekarbonisierung in der europäischen Logistikwirtschaft gepusht und vorangetrieben. So dokumentiert in der aktuellen Studie des Center for Sustainable Logistics and Supply Chain (CSLS) der Kühne Logistics University (KLU) in Zusammenarbeit mit The European Freight & Logistics Leaders' Forum (F&L).
Zudem gehen laut Studie drei Viertel der befragten Unternehmen davon aus, dass die Digitalisierung in den nächsten fünf Jahren einen transformativen Einfluss auf die Logistik haben wird. Die entscheidenden Treiber sollen demnach eine verbesserte Lieferkettentransparenz, Fortschritte und Weiterentwicklung der Transportmanagementsysteme, Innovationen bei der Fahrzeugauslastung sowie Online-Logistikplattformen sein. Der Logistik steht eine fortschrittliche und technologiegetriebene Zukunft in der Logistik bevor. Während der Pandemie musste sie erst einmal unter Beweis stellen, dass sie uns trotz Widerständen versorgen kann. Das hat sie erfolgreich gemeistert. Und so wird es auch nach der Pandemie weitergehen, wenn die Welt hoffentlich wieder weniger Probleme zu bewältigen hat.
Über den Autor
Micha Augstein ist Gründer und Geschäftsführer bei PARCEL.ONE, dem Logistikdienstleister für den grenzüberschreitenden Online-Handel.
Seit 2006 investiert er in verschiedene Logistiklösungen und baut Unternehmen auf. Zuvor war er im Großhandel für verschiedene Fashion-Marken tätig.
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