Nach der Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung um 2 °C zu reduzieren, ist der Stellenwert von Nachhaltigkeit und Umweltschutz in den letzten Jahren stetig gewachsen, nicht zuletzt wegen der Fridays-for-Future-Bewegung. Doch auch die globalen Ausmaße der Coronakrise haben vielen Menschen eindrücklich vor Augen geführt, dass wir bei der Klimakrise im selben Boot sitzen. Der Ruf nach Nachhaltigkeit wurde in den vergangenen zwei Jahren immer lauter – auch, weil sich wegen eines geringeren Verkehrsaufkommen die Natur zu erholen schien: „Der Mensch hat Pause, der Planet atmet auf“, titelte die Zeit im März 2020. Und wie jüngst das IFH Köln feststellte: Der Nachhaltigkeitsgedanke wird „als ‚Lehre‘ aus der Coronapandemie dauerhaft im globalen Konsumentenverhalten verankert bleiben.“
Gerade für den Online-Handel, dem sich pandemiebedingt mehr Menschen zuwandten, rückte der Umweltschutz, angesichts der immer höheren Bestellmengen mitsamt des weiteren Ressourcenbedarfs, verstärkt in den Fokus. Viele größere E-Commerce-Unternehmen verankerten Nachhaltigkeit noch fester in der eigenen Unternehmensstrategie – und setzen damit auch viele kleinere Online-Händler unter Druck, ebenfalls tätig zu werden.
Das Hauptaugenmerk richtet sich dabei vor allem auf die Logistik – auf Liefer- und Versandwege oder Verpackungsmüll. Doch wie nachhaltig wünscht sich die Online-Kundschaft eigentlich den Versand – und inwiefern ist man bereit, selbst etwas für den Umweltschutz zu tun? Welche Initiativen gibt es wiederum seitens der Logistiker? Wir haben die jüngsten Anforderungen, Entwicklungen und Lösungen rund um eine grünere Logistik zusammengetragen.
Wie nachhaltig wollen es die Online-Kunden?
Der Handel braucht natürlich seine Kundschaft – und deshalb bestimmen die Konsumierenden letztlich stark mit, wie grün es im E-Commerce zugehen kann. Und siehe da, der Ruf nach Nachhaltigkeit ist laut: Stolze 90 Prozent finden, dass Nachhaltigkeit beim Online-Kauf ein wesentliches Kriterium darstellt, wie das Beratungsunternehmen Green Credits herausfand.
Interessant wird es allerdings in der Versandpraxis – wenn es etwa darum geht, bequeme Zustelloptionen einzubüßen, mehr zu zahlen oder länger zu warten. Nun, in puncto Mehrkosten gibt es eher gute Nachrichten: Gut die Hälfte der Shopperinnen und Shopper würde für eine umweltfreundliche Lieferung 2 Euro mehr zahlen, ein Viertel könnte sogar sich vorstellen, dafür bis zu 5 Euro auszugeben, ergab die Analyse E-Commerce-Monitor 2022 des Marktforschungsunternehmens Spectos. Und eine ähnliche Zahlungsbereitschaft gibt es auch in Bezug auf umweltschonende Versandverpackungen, offenbart eine Marktstudie des Verpackungs- und Papierherstellers Mondi.
Doch es gibt auch gegenteilige Untersuchungen: Einer Studie von SolobusinessTribe zufolge finden 85 Prozent der Käuferinnen und Käufer den kostenlosen Versand weiterhin für ihre Kaufentscheidung wichtig – und das, obwohl 60 Prozent der Befragten mehr Geld ausgeben würden, wenn der Shop besonders auf Nachhaltigkeit achtet. Auch ist Spectos zufolge die Haustürzustellung – ein wesentlicher Emissionstreiber – noch immer für die allermeisten Menschen die beliebteste Versandoption. Mit anderen Worten: Umweltschutz finden durchaus viele wichtig und wünschen sich nachhaltige Sortimente, Verpackungen und Versandoptionen – außen vor lassen kann man das Thema also nicht. Gleichzeitig sollen die Waren aber möglichst bequem an die Haustür und zudem kostengünstig geliefert werden. Wenn Nachhaltigkeit in der Logistik eine Luxusoption ist, stellt dies also noch nicht die Lösung dar: „Es bleibt daher nach wie vor zu klären, wie nachhaltiger Konsum auch für die breite Masse erlebbar gemacht werden kann“, schlussfolgert das IFH Köln.
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Letzte Meile: Lastenrad top, Paketkästen Flop
Bei nachhaltigen Lieferungen ist man schon deutlich weiter: So hat beispielsweise der internationale Versanddienst Asendia, ein Joint Venture der französischen La Poste und der Schweizerischen Post, gerade erst angekündigt, von der ersten bis zur letzten Meile komplett CO2-neutral zuzustellen. Möglich ist das auf allen Transportwegen bislang allerdings nur durch Kompensationszahlungen: Für die entstehenden Transportemissionen wird zum Ausgleich in nachhaltige Projekte, in diesem Fall in Windkraftwerke, investiert.
Dass aber auch eine CO2-freie Lieferung auf der letzten Meile bereits möglich ist, zeigte zuletzt Hermes. Der Paketdienst hat in Berlin in den vergangenen drei Jahren einen „Pionierstandort“ geschaffen, der zeige „was möglich ist, wenn die vielen Zahnräder, die für eine emissionsfreie Zustellung in Innenstadtgebieten wirtschaftlich und organisatorisch durchdacht werden müssen, ineinandergreifen“, führte COO Marco Schlüter auf LinkedIn zum Projekt aus.
Generell zeichnet es sich ab, dass sowohl große als auch kleine Logistiker und Lieferdienste immer öfter umweltfreundlichere Transportmittel wie Elektro-Lieferwagen und E-Cargobikes einsetzen. Im vergangenen Jahr hat beispielsweise neben Hermes auch DPD die eigene Lieferflotte mit den E-Lastenrädern des Anbieters Onomotion noch einmal erweitert. GLS liefert seit Sommer letzten Jahres in Leipzig mehrheitlich mit Elektrofahrzeugen aus. Und es schießen förmlich immer mehr Logistikdienstleister aus dem Boden, die für kleinere stationäre oder Online-Händler und Restaurants grünere Lieferoptionen in urbanen Räumen anbieten – beispielsweise Bringly, Alpakas, Fairsenden, Fandli, Liefergrün oder Pickshare.
Bemühungen, verstärkt auf alternative Zustellmethoden wie Paketboxen oder -Shops und Abstellgenehmigungen auszuweichen, tragen indes weniger Früchte. Spectos zufolge ist diese Form der Lieferung weniger beliebt, erst recht bei der ländliche nBevölkerung. Wie die Branche diese Hürde meistern wird, bleibt also noch abzuwarten. So verkündeten Hermes und DPD gerade das Ende der gemeinsamen Paketkastenlösung.
Transportwege: Es mangelt noch an technischen Lösungen
Problematischer ist es derzeit noch, den CO2-Ausstoß innerhalb der Lieferkette zu reduzieren, also beim Transport zwischen Lieferant und Händler oder zwischen Händler und Verteilzentrum – etwa wenn der Transport von Gütern über die Autobahn stattfindet. Für emissionsfreie Transporte auf langen Strecken fehle es schlicht noch an technologischen Lösungen, wie Dennis Kollmann, Chief Sales Officer bei Hermes, in der aktuellen Folge des Podcasts Lieferzeit anmerkte. So gibt es etwa bei E-Vans zwar inzwischen Reichweiten von etwa 120 Kilometern, doch Hermes fahre deutlich längere Touren. Hinzu komme, dass auch die Anschaffung der neuen E-Fahrzeuge für viele Logistiker einen enormen Kostenfaktor darstelle. Bei derartigen Investitionen, müssten die Lieferfahrzeuge letztlich auch in der Praxis intensiv eingesetzt werden können, was jedoch aktuell noch nicht der Fall sei. Um praxistaugliche Lösungen voranzutreiben, geht Hermes beispielsweise Entwicklungspartnerschaften mit Mercedes Benz ein.
Viele Logistiker investieren aber bereits in Projekte zur Förderung alternativer Antriebe. DHL Express und Apple erproben Wasserstoff-Lkw, die Deutsche Post kaufte gerade 33 Millionen Liter nachhaltigen Flugzeugtreibstoff und Sören Skou, Chef der weltgrößten Containerreederei Möller-Maersk, erklärte, dass man „neue Schiffe mit fossilen Antrieben komplett verbieten“ solle – also zumindest dann, wenn die „CO2-neutrale Schifffahrt genauso teuer ist wie die mit herkömmlichen Treibstoffen“ sei.
Umweltfreundliche Verpackungen auf dem Vormarsch
Viele Händler gehen indes den Umweltfaktor Verpackungen an: Otto brachte Projekte zu kompostierbaren Versandtüten und zu Mehrwegverpackungen voran. Letzteres lief auch gar nicht mal so schlecht: Kunden sendeten insgesamt freiwillig 75 Prozent der Verpackungen zurück. Um Mehrwegverpackungen dreht sich auch die aktuelle Initiative „Grüne Verpackung“ der Österreichischen Post, die diese mit Handelsunternehmen wie DM, Intersport, Interspar Weinwelt, Tchibo und Thalia ins Leben gerufen hat. Deren Ziel ist es, den Einsatz von wiederverwendbaren Verpackungen gemeinsam in der Praxis zu testen. Das Projekt soll – Stand jetzt – voraussichtlich im März beginnen.
Der Online-Händler Galaxus hat gerade der Umwelt zuliebe seinen typischen weißen Paketen ein frisches Design verpasst: Die nunmehr braunen Kartons bestehen jetzt aus unbehandeltem Recycling-Papier und werden außerdem nicht länger aus Skandinavien, sondern aus Süddeutschland geliefert – was näher am Standort in der Schweiz liegt und Transportemissionen spart.
Umwelt- und Klimaschutz: Kein Alleingang, sondern ein Umdenken
Insgesamt lässt sich beobachten, dass die Branche gemeinsame Sache machen möchte. So rief beispielsweise die Deutsche Post DHL Unternehmen zu einem Umdenken auf, damit aus Lieferketten Lieferkreisläufe werden – dabei will der Logistiker selbst als Antreiber und Ermöglicher eines effizienten Warenflusses agieren. Und auch Online-Riese Amazon bekräftigte, dass Umweltschutz keine One-Man-Show ist: „Die Größe und das Ausmaß der Klimakrise machen es erforderlich, dass die Geschäftswelt ihre Kräfte bündelt und zusammenarbeitet, um entschlossene Dekarbonisierungsprogramme zum Schutz unseres Planeten zu entwickeln, zu finanzieren und umzusetzen“, sagte der inzwischen ehemalige Amazon-Chef Jeff Bezos zur Ausweitung der Klimainitiative Climate Pledge, die weitere Firmen zum Klimaschutz ermutigen soll. „Kein Unternehmen kann dieses Problem im Alleingang lösen“, führte Bezos fort. Auch Zalando investierte zuletzt wieder in neue Geschäftsmodelle, die die Kreislaufwirtschaft vorantreiben: So startete das Unternehmen einen Pflege- und Reparaturservice, für den der Modehändler sein Logistiknetzwerk nutzt, um Abholung und Rückversand von Artikeln zu gewährleisten.
Sicher, es gibt noch einiges zu tun. Vieles hat noch Projekt- und Pilotcharakter – und die Lösungen für eine breite Anwendung lassen noch auf sich warten. Doch dass es inzwischen eine enorme und stetig steigende Anzahl an Nachhaltigkeitsbemühungen gibt und immer größere Budgets in die grünere Versand- und Infrastruktur fließen, zeigt auch: Diese rasante Entwicklung wird keinen Schritt mehr zurück machen.
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