Alexander Holzknecht von Motatos im Interview

„Lebensmittelrettung ist Teil der Motatos-DNA“

Veröffentlicht: 08.03.2023 | Geschrieben von: Ricarda Eichler | Letzte Aktualisierung: 08.03.2023
Lebensmittel vor blauem Hintergrund

Der Online-Lebensmittelhandel gewinnt so langsam aber sicher immer mehr Fahrt in Deutschland. Der Anbieter Motatos geht es dabei clever an und umgeht einen der größten Stressfaktoren der Branche: die Kühlkette. Bei Motatos gibt es nämlich ausschließlich ungekühlte, dafür aber gerettete Lebensmittel. Ob Überproduktion, Nähe zum Mindesthaltbarkeitsdatum oder kleine Imperfektionen. 

Was bei anderen vermutlich in den Müll fliegen würde, bekommt hier eine zweite Chance. Im Interview verrät uns Alexander Holzknecht, Chief Commercial Officer, wie Nachhaltigkeit und E-Commerce sich die Hand reichen können.

Online-Lebensmittelhandel ist vor allem eine Kostenfrage

OnlinehändlerNews: Die Online-Lebensmittelbranche ist ja eher ein schwieriges Feld. Tatsächlich erscheint den meisten Verbraucherinnen und Verbrauchern ein Gang zum Supermarkt an der Ecke weiterhin als schneller und flexibler. Wie überzeugt man in so einem Klima Kunden dennoch davon, mehr Lebensmittel online zu bestellen?

Alexander Holzknecht: Wir glauben, dass es einfach mehr gute Lösungen braucht, die auch einen Mehrwert bieten. Das Problem des Online-Lebensmittelhandel ist, dass die Kostenstrukturen der Lebensmittelbranche sie nicht unbedingt für den Online-Handel prädestinieren. Es gibt einen Grund, warum das mit dem Online-Lebensmittelhandel jetzt erst losgeht. Wir sind heute da, wo Consumer Electronics vor zehn bis fünfzehn Jahren stand. Dann kam Home & Living, dann Fashion – der Bereich Food ist vor allem auf Grund der Kostenstrukturen erst so spät dran.

Das heißt, es ist ganz schwer, kompetitive Angebote zu machen. Und solange es hier ein besseres Angebot und einen besseren Preis im Supermarkt um die Ecke gibt, warum soll ich dann online bestellen?  

Und dazu muss man auch sagen, dass das auch ein bisschen ein deutsches Phänomen ist. Wenn ich da vergleiche: UK hat bereits jetzt einen Online-Anteil von 13 bis 14 Prozent. In Deutschland sprechen wir dagegen von 3,2 Prozent. Der Deutsche Kunde ist einfach noch zurückhaltender. Hier ist es bisher eher noch so, dass das einzige, was für die breite Masse wirklich dafür spricht, der Convenience-Faktor ist. Aber den lässt sich der Onlinehandel auch gut bezahlen, – außer bei Motatos.

Lebensmittelrettung als Nischenmarkt

Was macht denn Motatos anders als andere Online-Supermärkte?

Wir haben uns von vornherein eine Nische ausgesucht. Wir sind kein Vollsortimenter – Wir haben ein sehr limitiertes Sortiment und wir retten Lebensmittel, die es eben normalerweise nicht in den Supermarkt geschafft hätten.

Aus welchen Gründen wären diese Lebensmittel denn entsorgt worden? 

Man muss sich das so vorstellen: die großen Hersteller produzieren insgesamt riesige Mengen und eine hundertprozentige Verwertungseffizienz, die gibt es einfach nicht. Das liegt auch daran, dass der reguläre Handel Produkte unterhalb einer Mindeshaltbarkeitsangabe von fünf Monaten einfach direkt ablehnt. Das heißt, dass Produkte dort oft schon frühzeitig nicht mehr verkaufsfähig sind. Und dann hat der Hersteller ein Problem und sitzt teilweise auf ein paar hundert Paletten, für die es keinen sinnvollen Abnehmer mehr gibt.

Wir dagegen sehen ein Produkt mit fünf oder sechs Monaten MHD und kaufen dieses dann direkt zu einem sehr günstigen Preisen auf. Die Produkte bringen wir in unser zentrales Lager und verkaufen von da weiter an unsere Kunden. Deswegen ist es auch so, dass wir ein sehr limitiertes und ständig wechselndes Sortiment haben, aber dieses zu einem sehr interessanten Preis anbieten. 

„Wir betreiben vor allem auch viel Aufklärung“

Gerade bei Lebensmitteln haben viele Kunden Vorbehalte, insbesondere wenn man ihnen praktisch “Restposten” anbietet. Wie baut ihr dennoch Vertrauen gegenüber Verbraucher:innen auf?

Also in erster Linie muss man natürlich das Vertrauen bei den Kunden aufbauen, die man bereits hat. Das heißt, man muss gewährleisten, dass die Qualität stimmt. Das Setzen von eigenen Qualitätsstandards ist dabei enorm wichtig, damit ich den Kunden, den ich bereits habe, nicht enttäusche. 

Und gleichzeitig sind natürlich genau solche Interviews, wie dieses hier, tolle Gelegenheiten für uns, um darüber zu sprechen: Was heißt denn genau Mindesthaltbarkeitsdatum? Es ist eine Garantie vom Hersteller, dass bis zu dem Zeitpunkt Geschmack, Konsistenz, Farbe und Verderblichkeit garantiert werden. Aber natürlich will niemand etwas garantieren, sofern er nicht muss – und aus solchen Überlegungen geht bereits hervor, dass das Datum in jedem Fall mit ausreichend Puffer gewählt wurde.

Das heißt, wir betreiben auch viel Aufklärung. Denn da gibt es noch viele Missverständnisse und Berührungsängste seitens der Verbraucherinnen und Verbraucher. Selbst ich bin ja mit dem Wissen aufgewachsen, im Supermarkt immer den Joghurt von ganz hinten zu nehmen, einfach nur um sicher zu sein. 

„Lebensmittelrettung ist für uns nicht nur ein Lippenbekenntnis“

Bei Motatos haben wir zudem keinerlei Frischeprodukte und schließen damit einen großen Teil verderblicher Produkte direkt aus. Wir kaufen die Ware auch nicht, wenn sie das MHD bereits überschritten hat. Sprich wir kaufen und verkaufen großteils innerhalb des MHD.

Ein weiterer Punkt ist, dass unsere Ware ja nicht bereits draußen im Supermarkt lag. Der Hersteller hat produziert, die Ware stand in einer Halle und aus unterschiedlichen Gründen klappt der beabsichtigte Absatz nun nicht mehr. Von daher ist also auch die Prozesskette ganz transparent und völlig bedenkenlos. 

Und wie sieht es aus, wenn Ware auch bei euch nicht innerhalb des MHD verkauft wird? Also wann ab wann gilt die Ware auch bei euch als unverkäuflich?

Wir kaufen die Ware auf unser eigenes Risiko ein. Und das betrachten wir auch als unsere Kernkompetenz: den Abverkauf möglichst genau zu steuern. Auf unserer Webseite sieht man beispielsweise auch, dass die Rabatte ab einem gewissen Zeitpunkt immer größer und größer werden. Das soll gewährleisten, die Ware doch noch abzusetzen.

Natürlich kommt es auch vor, dass auch wir mal daneben liegen. Es gibt einen sehr kleinen Teil, bei dem auch wir uns verschätzen. An diesen Stellen kooperieren wir dann mit den Tafeln. Lebensmittelrettung ist für uns wirklich nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern Teil der Motatos-DNA. Dafür lege ich sogar die Hand ins Feuer.

Wenn nichts mehr geht im Abverkauf, wird trotzdem nichts weggeschmissen, sondern das Problem dann eben über diesen Weg gelöst. 

Konkurriert ihr nicht von vornherein mit gemeinnützigen Vereinen, die ansonsten vielleicht von derartigen Warenüberschüssen profitieren könnten? 

Uns ist ein transparente Austausch mit der Tafel wichtig. Und wir haben aufgrund der Kooperationen auch ein sehr, sehr gutes Verhältnis. Was wir beispielsweise gar nicht machen ist es, an lokale Händler, Supermärkte oder Großmärkte heranzugehen. Denn diese sind oft ein großer Bezugspunkt für die Tafeln

Motatos allein wird das Problem Foodwaste nicht lösen können

Stattdessen treten wir direkt an die großen Hersteller heran, bei denen es dann beispielsweise um eine LKW-Ladungen voller Ketchup geht. Dabei handelt es sich also tendenziell ohnehin eher um Waren, bei denen wir uns eigentlich nicht in die Quere kommen.

Das Thema Foodwaste ist insgesamt jedoch so viel größer als dass wir bei Motatos das alleine lösen könnte. Das betrifft so viele Schritte innerhalb der Wertschöpfungskette. Wir adressieren lediglich einen kleinen Teil: Überproduktionen und Prozessineffizienzen. Darüber hinaus gibt es dann eben noch das, was in den Supermärkten, Restaurants und Kantinen anfällt. Ich glaube, es braucht insgesamt noch sehr viel mehr Marktbegleiter, um das Thema Foodwaste wirklich zu lösen.

Wie gestaltet sich eure Logistik: Habt ihr ein großes zentrales Lager oder mehrere Standorte innerhalb Deutschlands?  

Wir sind in sechs Ländern aktiv und betreiben drei Logistikstandorte. Einer steuert dabei zentral Deutschland und Österreich. Und das scheint uns auch tatsächlich der effizienteste Weg zu sein. Denn somit haben wir nur Verkehrswege vom Hersteller ans Zentrallager, dann zum DHL Verteiler und von dort dann auf die letzte Meile. 

Wir wollen vor allem vermeiden, dass wir zwischen irgendwelchen Lagerhäusern noch zusätzlich Ware umverteilen oder verschieben müssen. Effizienz ist in dem Business wahnsinnig wichtig: Sowohl Kostenseitig als auch in hinsichtlich Geschwindigkeit und natürlich auch was den ökologischen Fußabdruck betrifft. 

Wir veröffentlichen auch einen jährlichen Impact Report. Darin gehen wir unter anderem darauf ein, wie viel CO₂-Äquivalent wir nachweislich einsparen dadurch, dass unsere Ware eben nicht wie sonst in der Verbrennungsanlage gelandet ist. Insgesamt können wir da einen tollen Netto-Effekt aufweisen, der sich echt sehen lassen kann. 

Unsere Überraschungskisten sind (leider) echt erfolgreich

Bei Motatos gibt es auch Lebensmittel-Überraschungs-Kisten. Wie kommen die bei den Kundinnen und Kunden so an? Und wer entscheidet, was da reinkommt?

Die kommen zum Glück (oder leider) wahnsinnig gut an! Ich würde sie gerne permanent anbieten. Doch leider gehen da einige Komplikationen mit einher. Denn natürlich wollen wir auch in den Überraschungskisten eine konsistente Qualität anbieten. Und das bedeutet dann wiederum, dass es für uns sehr teuer ist, die Boxen zusammenzustellen. Das heißt, diese Überraschungskisten, freuen zwar unsere Kunden wahnsinnig, aber wir können sie uns nicht immer leisten. 

Schließlich sollen beim Kunden auch immer ausgewogene und interessante Kisten ankommen. Es ist also nun nicht so, dass der eine Kunde einfach eine Kiste voller Chips bekommt, und der andere einen Karton Energydrinks, obwohl er die vielleicht gar nicht haben wollt.

Die Kisten sollen ein guter, bunter Mix und auch alle etwa gleich interessant sein. Und mittlerweile ist unser Volumen einfach zu groß, so dass es einfach schwierig und kompliziert ist, diese Kisten in der Menge zusammenzustellen. 

„Wir sind Online, ich bin E-Commerce“

Alexander Holzknecht / Motatos

Wie geht es weiter mit Motatos? Wollt ihr weiter expandieren in Europa? Wollt ihr komplett online bleiben oder wäre es für die Marke auch interessant den stationären Handel, beispielsweise in Form eines Pop-up-Stores, auszuprobieren?

Ich will es jetzt nicht grundsätzlich ausschließen, aber momentan ist das nicht unser Fokus. Denn dann würden wir nur wieder damit anfangen, Ware in dezentrale Supermärkte zu verteilen. Dann läuft an dem einen Standort das Produkt nicht gut und plötzlich haben wir wieder das Problem mit dem Foodwaste.

Darum sage ich da lieber: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Wir sind online, ich bin E-Commerce, da kennen wir uns aus, das lass mal machen! Und da ist noch so viel Potenzial. Aber natürlich prüfen auch wir regelmäßig unsere Konzepte. Aber stationär hat für uns bisher einfach noch keinen Sinn gemacht. 

Der ganze E-Commerce hat sich im letzten Jahr ja so ein bisschen neu orientieren müssen. Wir haben dabei definitiv ein paar Wachstumsmärkte nach hinten geschoben. Stattdessen schauen wir jetzt erstmal, dass wir die Basics aufräumen. 

Seit 2023 gibt es Motatos nun auch in Österreich

In diesem Jahr haben wir noch Österreich mit dazu gelauncht. Aber der Launch war deutlich einfacher als andere Expansionen. Immerhin gibt es hier keine Sprachbarriere, die Produkte sind übergreifend und auch das Logistik-Setup können wir so eins zu eins aus Deutschland mit übernehmen. 

Es gibt natürlich trotzdem bürokratische Zusatzfragen, beispielsweise hinsichtlich Verpackungsmüll. Also es gibt alles in allem schon veränderte Prozesse im Hintergrund, das ist ganz klar. Aber trotzdem war es vergleichsweise der leichteste Launch, den wir bisher hatten.

Anders war das in UK. Da das Land nun außerhalb der EU liegt, musste man hier vieles von neuem aufbauen. Darum bleibt es in diesem Jahr erst einmal beim Markteintritt Österreich. Aber in den nächsten Jahren wird es weitere Expansion geben, da bin ich mir relativ sicher. Aber final entschieden ist derzeit nichts Konkretes. 

Motatos weltweit? – „Never say never!“

Wäre eine Expansion in die USA ein Thema oder wollt ihr eher im europäischen Raum bleiben?

Da kommt es darauf an, wer hier sitzt. Wenn unser Gründer hier sitzen würde, würde er natürlich sagen “ja, auf jeden Fall geht es in die USA!” Ich komme da ja eher aus dem handfesteren Teil unseres Business. Ich glaube, wir haben in Europa noch sehr viele Hausaufgaben, die wir lösen müssten, bevor wir uns an die USA wagen könnten.

Aber natürlich ist das Potenzial da drüben gigantisch und an sich ist es ein ganz spannende Markt für uns. Aber da kann ich eigentlich global in alle Richtungen schauen. Ich glaube, es gibt keinen Teil der Welt, in dem man mit unserem Konzept keinen Unterschied machen würde. Ich glaube aber, wir tun uns leichter, wenn wir Europa noch ein bisschen weiter machen. Aber „never say never!“.

Wie steht es denn grundsätzlich mit dem Lebensmittel-Onlinehandel in anderen Teilen der Welt? 

Da bin ich ganz ehrlich. In Richtung Asien und Südamerika habe ich keine Vergleichswerte. In Südamerika steht online aber generell noch recht weit am Anfang. Die USA dagegen, sind, wie bereits besprochen, durchaus sehr spannend. Da ist aber das nächste Thema, dass es ja eigentlich nicht „den US-Markt“ gibt, sondern vielmehr 50 kleine Märkte, die man sich im Einzelnen anschauen müsste. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Über die Autorin

Ricarda Eichler
Ricarda Eichler Expertin für: Nachhaltigkeit

Ricarda ist im Juli 2021 als Redakteurin zum OHN-Team gestoßen. Zuvor war sie im Bereich Marketing und Promotion für den Einzelhandel tätig. Das Schreiben hat sie schon immer fasziniert und so fand sie über Film- und Serienrezensionen schließlich den Einstieg in die Redaktionswelt.

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