Interview mit Amazon-Experte Adrian Jaroszynski

„Für Amazon war die Pandemie ein absoluter Glücksfall“

Veröffentlicht: 27.05.2021 | Geschrieben von: Tina Plewinski | Letzte Aktualisierung: 03.06.2021
Amazon-Logo auf einem Gebäude

Die Umbrüche, die das Jahr 2020 durch die Pandemie ausgelöst haben, haben für den gesamten Handel und jeden einzelnen Händler weitreichende Konsequenzen. Alte Strukturen gerieten nicht nur ins Wanken, sondern wurden teils nachhaltig eingerissen. Handels- und Amazon-Experte Adrian Jaroszynski von Jaroszynski Marketplace Strategies verrät im Interview, wie sich der Wettbewerb seither verändert hat, worauf Händler nun verstärkt achten müssen, warum ältere Verkaufsdaten eine Schwachstelle sind und wie sich die Beziehung zwischen Amazon und seinen Händlern verändert hat.

Umbruch betrifft nicht nur Kundenwünsche, sondern auch Wettbewerb und Infrastruktur

OnlinehändlerNews: Die Pandemie kam 2020 überraschend und heftig. Wie hat sie sich auf den Marktplatz-Handel bei Amazon ausgewirkt? Hat sich der Wettbewerb verschärft?

Adrian Jaroszynski: Der Handel befand sich bereits lange vor der Pandemie in einer Phase der Veränderung. So kämpfte der Einzelhandel mit großen Herausforderungen wie dem stetig ändernden, fast schon dynamischen Einkaufsverhalten der Kunden. Diese wanderten nicht einfach nur über zum Online-Handel, sie verlangten direkt und indirekt auch nach Services, die unter dem Slogan „New Retail“ den Einzelhandel mit der Zugabe digitaler Optionen bereicherten; wie zum Beispiel das Click&Collect-System der MediaSaturn oder die bereits damals aufkommenden Plattformen, über die Endkunden aktuelle Verfügbarkeitsabfragen in der näheren lokalen Umgebung tätigen können. Insbesondere das „Erlebnis“ rund um das Einkaufen herum stand immer stärker im Fokus.

Der Beginn der Pandemie bzw. mit dem Beginn des ersten Lockdowns wurde für den Handel über Nacht, rein aus der Situation heraus, das Einkaufsverhalten samt den herausgearbeiteten Prioritäten einmal komplett neu durchgemischt. Rein stationär handelnde Fachgeschäfte strömten reihenweise als neue Anbieter auf den Marktplatz; und mit ihnen viele traditionelle Hersteller und Marken, für die es mit dem Stillstand des stationären Handels schnellstmöglich einen Quick-Fix für ihre mehr mittel- bis langfristig ausgelegte Transformation zum DTC zu realisieren gab. All das machte sich natürlich auch im Wettbewerb auf den Handelsplattformen und den dortigen Werbekosten bemerkbar.

Auch führte nicht allein die plötzlich gesteigerte Nachfrage zu den infrastrukturellen Problemen, die kurz darauf folgten. In der entgegengesetzten Richtung – im Zulauf, in der Fertigung u. s. w. – kam es ebenso zum Kampf um bestehende Kapazitäten und Ressourcen. 

Historische Daten als Schwachpunkt

Worauf müssen Händler seither verstärkt achten, um gegen Konkurrenten bestehen zu können?

AdrianJaroszynski

Die neue Situation erfordert insbesondere einen bestmöglichen Überblick: vom ersten Glied der Lieferkette bis hin zum Endkunden. Je mehr und je bessere Daten in Echtzeit abgerufen werden können, desto höher sind die Chancen, plötzliche Hindernisse schnell zu erfassen, situationsgerecht zu reagieren (wie z. B. die Umverteilung von Lagerbeständen) und die Infrastruktur entsprechend gewonnener Erkenntnisse zu justieren oder neu zu gestalten.

Was Kennzahlen anbelangt, so wurde beispielsweise die Nachfrage bisher auf Basis der Verkäufe aus den Vorjahren errechnet und prognostiziert. Diese Rechnung geht logischerweise immer weniger auf. Historische Daten haben stark an Effektivität eingebüßt und sind so zum Schwachpunkt vieler Analysen und Methoden geworden.

Gibt es auch Aspekte des Marktplatz-Handels, die durch die Pandemie eher an Bedeutung verloren haben? Wie hat sich beispielsweise das Image des Marktplatzes verändert?

Gute Frage, die sich aus dem Stehgreif nicht so einfach beantworten lässt. Für Amazon war die Pandemie – so unwirklich es auch immer noch klingen mag – ein absoluter Glücksfall. Wenn es einen Gewinner gibt, dann Amazon; sowohl als Händler, Marktplatzbetreiber und Advertiser, als auch als Anbieter diverser Webservices. Ob das aus Perspektive der Händler und Zulieferer ebenso zu neuen unerwarteten Sympathiepunkten geführt hat, steht auf einem anderen Blatt.

Amazon als einzige Option

Hat sich durch die Pandemie die Beziehung zwischen Amazon und seinen Dritthändlern irgendwie verändert? Wenn ja, wie?

Als die Geschäfte gezwungenermaßen schließen mussten, wurde Amazon für viele Menschen zur einzigen Option, an Waren des täglichen Bedarfs zu kommen und dringende Anschaffungen zu tätigen. Es ist kein Geheimnis, dass der dortige Komfort und der vorgefundene Überfluss viele Neukunden, die vorher gegenüber Amazon skeptisch eingestellt waren, überzeugt hat. Das hat selbstverständlich Einfluss auf die bisherigen Machtverhältnisse zwischen Amazon, seinen Zulieferern und den Händlern, aber auch den Ansprüchen jedes Einzelnen gehabt

Während die einen aktuell Rückschläge durch die Verknappung an Lagerkapazitäten kompensieren müssen, gilt es für Amazon mehr denn je, den Grad an Automatisierung zu erhöhen ohne gleichzeitig das selbst gesetzte Ziel der Klimaneutralität zu gefährden. Viele glauben, dass in den Fullfilment Centern tatsächlich ein Großteil der Arbeit von Robotern erledigt wird, dabei arbeiten Tausende Kommissionierer im Pick&Pack beispielsweise nach wie vor größtenteils manuell. Die hohe Arbeitslast führt leider bei vielen zu gesundheitlichen Problemen und konnte bisher auch von den eingesetzten Robotern nicht ansatzweise aufgefangen werden. 

Apropos Gesundheit: Ein Fullfilment Center als Infektionsherd ist für alle Beteiligten der Super-Gau. Das Infektionsgeschehen auszusperren ist keine Aufgabe, um die ich Amazon beneiden würde. Maßnahmen zu entwickeln, die allen Arbeitern und externen Beteiligten effektiven Schutz bieten, ist, wie man auf der ganzen Welt beobachten kann, alles andere als eine leichte Aufgabe.

Mehr Wissen – auf dem Amazon SellerDay 

Adrian Jaroszynski wird auch als Speaker auf dem Amazon SellerDay auftreten. Das Branchenevent geht am 15. Oktober 2021 in der Messestadt Leipzig in seine nächste Runde und wird dort, wie gewohnt, Händler, Branchenexperten und Interessierte zusammenbringen. Einen ganzen Tag lang wird es dabei um den Online-Riesen Amazon gehen: In spannenden Vorträgen, interaktiven Workshops, Gesprächsrunden und Expertentalks werden Themen wie Amazon SEO, Umsatz- und Gewinnmaximierung, Kontensperrungen oder auch Tools und Kampagnenmanagement in den Fokus gerückt.

Tickets gibt es ab 179,90 Euro. Informationen rund um den Amazon SellerDay sowie die Möglichkeit zur Ticket-Buchung finden Sie hier.

Amazon SellerDay2021

Über die Autorin

Tina Plewinski
Tina Plewinski Expertin für: Amazon

Bereits Anfang 2013 verschlug es Tina eher zufällig in die Redaktion von OnlinehändlerNews und damit auch in die Welt des Online-Handels. Ein besonderes Faible hat sie nicht nur für Kaffee und Literatur, sondern auch für Amazon – egal ob neue Services, spannende Technologien oder kuriose Patente: Alles, was mit dem US-Riesen zu tun hat, lässt ihr Herz höherschlagen. Nicht umsonst zeigt sie sich als Redakteurin vom Dienst für den Amazon Watchblog verantwortlich.

Sie haben Fragen oder Anregungen?

Kontaktieren Sie Tina Plewinski

Schreiben Sie einen Kommentar

Newsletter
Abonnieren
Bleibe stets informiert mit unserem Newsletter.