Ama-Zone

Kann Amazon ohne Bestrafung überhaupt besser werden?

Veröffentlicht: 20.07.2022 | Geschrieben von: Tina Plewinski | Letzte Aktualisierung: 20.07.2022
Sinnbild der Gerechtigkeit: Bestrafung eines Mannes

In der Reihe „Ama-Zone“ grübelt Tina Plewinski über die vielfältige Welt von Amazon: über Vor- und Nachteile des Online-Riesen, neue Entwicklungen, trendige Hypes, die unablässigen Machtbestrebungen des Konzerns und – im aktuellen Teil dieser Reihe – über Entwicklung ohne Strafe.

Amazon missbraucht seine Marktmacht und bevorzugt eigene Dienste – diesen Vorwürfen geht die EU-Kommission seit Jahren im Zuge umfangreicher Untersuchungen nach. Dabei geht es grundsätzlich auch darum, dass der Konzern seit jeher Daten von Online-Händlern sammelt und sie dann in Teilen für eigene Zwecke nutzt. Zum Nachteil der Händler.

Was viele Brancheninsider und Kritiker vielleicht schon gemunkelt oder zumindest befürchtet hatten, könnte schließlich für Amazon so richtig teuer werden, denn dem Unternehmen drohen im Fall der Fälle empfindliche Bußgelder. Allerdings muss es so weit gar nicht kommen. Denn Amazon hat versprochen, ich wiederhole: VERSPROCHEN, die Lausbubereien künftig sein zu lassen. So richtig mit Ehrenwort und dergleichen. Zahlreiche Praktiken rund ums Datensammeln und -auswerten, rund um die Positionierung von Eigen- und Fremd-Angeboten will der Online-Riese umgestalten. Lange Rede, kurzer Sinn: Amazon verspricht Änderungen an potenziellen Knackpunkten.

Und jetzt kommt das große Aber: Nur unter einer Bedingung. Die EU-Kommission muss die laufenden Untersuchungen einstellen. So der Deal. Dass Amazon an dieser Stelle die Bedingungen stellt, könnte dem ein oder anderen an sich schon komisch vorkommen. Allerdings sind solche Absprachen durchaus üblich, wenn beide Seiten zu einem für sie annehmbaren Kompromiss kommen.

Es stellt sich die Frage: Muss Strafe sein?

Wenn Kinder in unbedachtem Übermut Regeln brechen oder ganz bewusst Grenzen überschreiten, dann heißt es oft: Strafe muss sein. Sonst lernen sie ja nix! Wenn es nicht ein bisschen weh tut – ob Handyentzug, Spieleverbot oder Stubenarrest –, tritt auch kein Lerneffekt ein. Ohne Leidensdruck keine Weiterentwicklung, so die Theorie.

Doch diese Theorie könnte im Falle von Amazon eben gar nicht zur Anwendung kommen. Sollte sich die EU-Kommission tatsächlich mit dem Konzern einigen, so könnte Amazon einer massiven Strafzahlung entgehen.

Ist der Wunsch nach Bestrafung vielleicht nur kleinlich?

Dass eine solche Option ohne Bestrafung überhaupt in Betracht kommt, dürfte einigen sauer aufstoßen. Doch warum gibt es diese Option? Nun. Schiebt man sein individuelles, vielleicht kleinliches Gerechtigkeitsempfinden mal zur Seite, dann hat die Variante mit etwas Abstand und emotionaler Passivität durchaus Vorteile: Es ist eine gesichtswahrende Option für alle Beteiligten: Eine prominente Zurschaustellung von Schuld, ein übermäßiges An-den-Pranger-Stellen wird vermieden. In Zeiten übermäßiger, fast stilisierter Empörung ist ein Kompromiss ein vernunftbasiertes Ergebnis, das sich in diesem Fall an einem größeren Ganzen orientiert.

Auch aus wirtschaftlicher Sicht ist eine Variante, in der Amazon die Möglichkeit hat, sein Gesicht in gewissem Maße zu wahren, von Vorteil: Denn Amazon ist trotz aller Anschuldigungen und potenzieller Missstände ein wichtiger Akteur im hiesigen und globalen Wirtschaftssystem: Der Konzern ist Existenzgrundlage vieler Unternehmen, riesiger Arbeitgeber und somit Treiber von Wirtschaft, Innovationen, Infrastruktur etc.

Darüber hinaus würde ein Kompromiss der EU-Kommission viel Zeit ersparen: Jahre an umfangreichen Untersuchungen könnten verkürzt werden. Der Gerechtigkeit könnte in dem Sinne Genüge getan werden, dass zwar keine horrenden Strafen gegen Amazon verhängt werden, dafür aber Online-Händler schneller zu ihrem Recht kommen. Indem Amazon die potenziell schädigenden Geschäftspraktiken aufgibt, kann das Marktgleichgewicht zeitnah gestärkt werden. Ein großer Pluspunkt für Unternehmen.

Fairness als Ziel

Egal, wie es ausgeht: Ob sich die EU-Kommission und Amazon nun zu einem Kompromiss durchringen können oder Amazon am Ende vielleicht tatsächlich immense Strafbußen zahlen muss: Es bleibt zu hoffen, dass sich die ganze Arbeit der Wettbewerbshüter schließlich lohnt. Dass Amazon aus Fehlern lernt, mutmaßlich missbräuchliche Praktiken tatsächlich abstellt und die Marktsituation auch für kleinere und mittelständische Unternehmen zeitnah wieder ein bisschen fairer wird …

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Über die Autorin

Tina Plewinski
Tina Plewinski Expertin für: Amazon

Bereits Anfang 2013 verschlug es Tina eher zufällig in die Redaktion von OnlinehändlerNews und damit auch in die Welt des Online-Handels. Ein besonderes Faible hat sie nicht nur für Kaffee und Literatur, sondern auch für Amazon – egal ob neue Services, spannende Technologien oder kuriose Patente: Alles, was mit dem US-Riesen zu tun hat, lässt ihr Herz höherschlagen. Nicht umsonst zeigt sie sich als Redakteurin vom Dienst für den Amazon Watchblog verantwortlich.

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