User Experience: Wenn der Kunde das Gesicht verzieht

Veröffentlicht: 28.02.2017 | Geschrieben von: Julia Ptock | Letzte Aktualisierung: 13.03.2017

Gibt es den perfekten Online-Shop? Aus Sicht des Händlers vielleicht ja, aber auch aus Sicht des Kunden? Die Antwort auf die Frage nach der Perfektion ist alles andere als einfach, denn je nach Situation kann sich ein vermeintlich perfekter Shop ganz anders darstellen. An der Hochschule Offenburg forscht Oliver Gast im Bereich User Experience (UX) mit den Methoden und Techniken des Customer Experience Trackings, um herauszufinden, wie Internet-Nutzer auf bestimmte Attribute und Eigenschaften von Online-Shops reagieren und wie sich diese auf das Nutzererlebnis auswirken.

Girl holds and changes her face portraits with different emotions
© Gearstd – shutterstock.com

Ein Labor, das aussieht wie ein Wohnzimmer

Das Customer-Experience-Tracking-Labor auf dem Campus in Gengenbach erscheint auf den ersten Blick wie ein typisches Wohnzimmer. Ein Sofa, zwei Sessel, Regale und Sideboards mit Deko, Bildern und Blumen – eine einladende Atmosphäre. Eher untypisch für ein Labor, denkt man dabei doch in erster Linie an sterile Räume. „Wenn wir das klassische Hochschulambiente hätten – weiße Möbel, grauer Tisch, vielleicht noch ein Porzellanwaschbecken in der Ecke, weiße Wände – dann könnten wir zwar Untersuchungen machen, doch würden sich die Personen eher vorkommen wie beim Arzt. Dann können wir zwar Emotionen messen, nur ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese Emotionen dann nicht wirklich etwas mit dem Online-Shop zu tun haben, den wir erforschen wollen“, erklärt Oliver Gast im Gespräch den Grund für das Labor-Design. „Deshalb haben wir das Labor wie ein Wohnzimmer eingerichtet. Es soll eine Wohlfühlatmosphäre entstehen.“ Doch hinter der gemütlichen Ausstattung verbirgt sich auch einiges an Technik: Überwachungskameras, Mikrofone und Lautsprecher fallen teilweise erst auf den zweiten Blick auf.

Im Customer-Experience-Labor der Hochschule Offenburg untersucht Oliver Gast mit seinen Kollegen das Nutzererlebnis, das Kunden beim Einkaufen im Online-Shop haben. Die Analyse ist dabei modular aufgebaut, die Untersuchungsteilnehmer werden nicht einfach auf die Shops losgelassen. Ganz im Gegenteil. Im ersten Teil der Analyse wird der Shop von den Experten Seite für Seite unter die Lupe genommen. Bei der Experten-Evaluation wird nach Irritationen gesucht – beispielsweise Rechtschreibfehler in der Artikelbeschreibung. Klingt im ersten Moment nicht dramatisch, doch Gast weiß, wie sich gehäuft auftretende Rechtschreibfehler auswirken können: „Rechtschreibung und Grammatik sind immer noch ein Vertrauenspunkt. Finden sich solche Fehler zu oft, sind Nutzer schnell verunsichert. Generell ist Sprache ein extrem wichtiger Faktor. Stellen Sie sich einen Online-Shop für YouTube vor, in dem die Kunden mit ‚Sie‘ angesprochen werden. Oder ein Shop, dessen Zielgruppe Silver Surfer sind. Diese wiederum werden irritiert sein, wenn sie geduzt werden.“

Emotionen sind im Gesicht kaum zu manipulieren

Nachdem sämtliche Irritationen, bei denen die potenziellen Kunden abgehängt werden könnten, evaluiert und aufgenommen wurden, werden daraus von den Forschern Tasks, also Aufgaben, erarbeitet. Diese werden den Teilnehmern dann im zweiten Schritt der Untersuchung vorgelegt. Dabei sind die Aufgaben so ausgerichtet, dass sie immer etwas abbilden, was die Kunden auch tatsächlich in einem Online-Shop machen würden. Wichtig ist dabei immer, dass die Teilnehmer, wenn sie die Aufgaben bearbeiten, auch über die Irritationen stolpern, die die Forscher im Vorfeld identifiziert haben. „Und genau dann kommen wir zum Messen der Emotionen“ – dem Kern von Oliver Gasts Forschung. „Wir haben dabei den Fokus auf Messungen von Emotionen via Mimik gelegt“, erläutert Gast den Forschungsansatz. Die Aufzeichnung des Gesichts ist deswegen unumgänglich.

Der Glaube, dass man seine Mimik bewusst steuern kann, stimmt dabei nur bedingt. „Das ‚soziale Lächeln‘ beherrschen wir zwar alle, doch dann ist im Großen und Ganzen eigentlich Schluss. Man kann es gern mal an sich selbst ausprobieren, ob man absichtlich die Mundwinkel nach unten ziehen kann“, animiert Gast im Gespräch zum Selbstversuch. Tatsächlich fällt es ziemlich schwer, die Mundwinkel bewusst nach unten zu ziehen. Dabei handelt es sich um eine Mimik, die jeder hat und die auch benutzt wird, wenn etwas nicht gefällt oder irgendwas negativ ist. Neben der Aufzeichnung der Gesichtsmimik setzen die Forscher der Hochschule zusätzlich auf die „Think-Aloud-Methode“. Dabei werden die Teilnehmer dazu aufgefordert, „laut zu denken“. „Und natürlich verwenden wir auch Eye-Tracking“, ergänzt Oliver Gast. Durch das Blickverhalten lassen sich Rückschlüsse auf die User Experience eines Nutzers ziehen. „Durch das Eye-Tracking lässt sich beispielsweise nachverfolgen, wo der Teilnehmer hingeschaut hat, ob er bestimmte Bereiche vielleicht gar nicht gesehen hat und, und, und.“ Die Kombination aus den einzelnen Modulen ermöglicht den Forschern dann Aussagen über die subjektive User Experience.

Facial Action Coding System - HS Offenburg
Das Facial Action Coding System ordnet nahezu jeder sichtbaren Bewegung im Gesicht eine Bewegungseinheit zu. Insgesamt gibt es 44 solcher Einheiten, das Obergesicht umfasst 12, das Untergesicht 32. Das Bild zeigt einen neutralen Gesichtsausdruck. © Hochschule Offenburg

Bei diesem Text handelt es sich um einen Ausschnitt aus dem Onlinehändler Magazin im Februar 2017. Den gesamten Artikel finden Sie in der aktuellen Ausgabe, die Sie kostenlos online lesen oder herunterladen können. Im weiteren Verlauf des Artikels erfahren Sie unter anderem, was welche Mimik bedeutet.

Cover Onlinehändler Magazin Februar

 

Neben diesem Thema beleuchten wir in der aktuellen Ausgabe unter anderem auch, woran StartUps scheitern, wie der asiatische Online-Marktplatz Alibaba versucht, in Europa Fuß zu fassen und wie Supermärkte derzeit den Online-Lebensmittelhandel für sich entdecken. (Bild: © Händlerbund)

  

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