Kolumne: Amazon – Vom Shopping-Kanal zur Entertainment-Bude

Veröffentlicht: 18.05.2018 | Geschrieben von: Julia Ptock | Letzte Aktualisierung: 06.07.2018

Erinnert ihr euch noch an die Zeit, als Facebook das Nonplusultra war und sich da einfach jeder angemeldet hat? Ohne Facebook war ein Leben möglich, aber sinnlos. Das war vor so gut zehn Jahren. Seit dem hat sich viel geändert. Jetzt gibt es zahlreiche soziale Netzwerke, manche erfolgreicher als die anderen… Und Facebook verliert langsam aber sicher an Relevanz. Zumindest bei mir.

Dass diese Entwicklung auch vor anderen Giganten keinen Halt macht, kam mir aber letztens bei einem Konzern in den Sinn, bei dem ich das selbst nicht unbedingt erwartet habe. Und das wäre Amazon. Jetzt werden sich sicher viele denken: Was? Amazon beherrscht doch bis dato die deutsche E-Commerce-Branche? Gefühlt hat so gut wie jeder eine Prime-Mitgliedschaft und täglich werden tausende Bestellungen abgegeben und sowieso und überhaupt… Aber wenn man mal darüber nachdenkt, hat Amazon meiner Meinung nach zumindest im Handel seinen Höhepunkt erreicht und vielleicht sogar schon überschritten.

Ich hab mich selbst immer als Amazon-Kind gesehen

Wie ich zu der steilen These komme? Nun ja. Ich bin seit 2005 bei Amazon angemeldet und habe im Laufe der Zeit viel Geld auf dem Marktplatz gelassen. Dabei lassen sich die Peaks ganz gut nachvollziehen – Weihnachten, Geburtstage, Umzug und entsprechende Neueinrichtung der Wohnung. Doch über all die Jahre gerechnet, habe ich pro Jahr nicht ganz elf Artikel bestellt. Nicht viel. Dafür bin ich aber trotzdem Prime-Kunde und zahle jetzt im Jahr meine knapp 70 Euro Mitgliedschaftsgebühr. Dass Gefühl, dass ich durch die Prime-Mitgliedschaft Geld beim Versand spare, ist schon lange weg. Dafür bestelle ich zu wenig und ganz im Ernst: Amazons Versandversprechen wird öfter gebrochen als die Beteuerungen russischer Spitzensportler, angeblich nicht zu dopen. Also um es ganz ehrlich zu sagen: Ich bin nur noch Prime-Kunde, weil ich vergessen habe, zu kündigen. Man kennt das ja.

Amazon Bestellungen Jahresübersicht

Was das Shopping angeht, bin ich auch schon lang kein Freund mehr von Amazon. Nicht falsch verstehen – ich hab mich selbst immer als Amazon-Kind gesehen. Mein Vater dagegen ist und bleibt Ebay-Fan. Aber so hat jeder seins. Doch mittlerweile ist Amazon für mich ein bisschen wie ein Ramschladen. Ja, ich bekomme da so gut wie alles, doch preislich ist Amazon noch nie die günstigste Einkaufsvariante gewesen. Dazu kommt das mittlerweile für mich extrem veraltete Design der Produktübersicht. Und auch die Detailseiten finde ich nervig. Zu viel Inhalt, zu unübersichtlich. Shoppen macht keinen Spaß. Mittlerweile habe ich meine jeweiligen Händler des Vertrauens für spezielle Produktgruppen und da bin ich auch wirklich treu. Die Konkurrenz ist Amazon auf den Fersen – der große Generalist verliert bei mir immer mehr Sympathien.

Entertainment statt Shopping

Warum bleibe ich also bei Amazon? Wie gesagt, ich hab vergessen, meine Prime-Mitgliedschaft zu kündigen. Und wenn man sie hat, kann man sie auch nutzen. Schließlich bietet Prime ja noch mehr. Die „Falle“, in die ich getappt bin, ist Amazon Unlimited Reading. Ich besitze einen Kindle und als Leseratte, die wöchentlich bis zu drei Bücher verschlingt, ist Prime Reading bzw. Unlimited Reading trotz extra zehn Euro im Monat unverzichtbar. Und dann ist da natürlich noch Prime Video. Auch wenn hier die Suche und das Design mehr als nervt (@Amazon: Nehmt euch ein Beispiel an Netflix!), gibt es doch eine riesige Auswahl und manch grandiose Eigenproduktion. Doch das war es für mich. Amazon ist meine Entertainment-Plattform, aber nicht mehr meine Shopping-Plattform des Vertrauens.

Um jetzt wieder den Bogen zu Facebook zu schlagen: Ich habe immer mehr das Gefühl, dass viele Leute nur noch aus Gewohnheit bei Facebook angemeldet sind. Bei vielen Freunden sind die Aktivitäten auf ein Minimum reduziert. Das Netzwerk wird zunehmend nur noch für Absprachen zu Veranstaltungen genutzt oder um über den Messenger zu kommunizieren. Aber die Grundidee, sein Leben mit seinen Freunden zu teilen, verschwindet mehr und mehr im Hintergrund. Bei Amazon ist ähnlich. War es früher der versandkostenfreie Shoppingkanal vor dem Herrn, rutscht das Bestellen immer mehr aus dem Fokus, abgelöst von anderen Services wie Prime Reading, Cloud-Nutzung oder eben Prime Video.

Einstige Grundgeschäftsideen rücken in den Hintergrund

Amazon ist, wie Facebook, zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Die Medien sorgen zudem für eine regelmäßige Verschlechterung des Images. Die beiden Big Player verkommen immer mehr zu einer Selbstverständlichkeit, junge und kreative Konkurrenz steht in den Startlöchern. Damit will ich nicht sagen, dass Facebook irgendwann das Schicksal von StudiVZ ereilt oder das Amazon irgendwann keine Verkäufe mehr macht. Beide Unternehmen wird es noch sehr lang geben, doch die einstige Grundgeschäftsidee verschwindet zunehmend. Schade eigentlich.

Und um den Bogen zum Anfang zu schließen: Es gab eine Zeit, da war ein Leben ohne Amazon Prime in puncto Shopping möglich, aber sinnlos. Mittlerweile… Nun ja, ohne Prime Reading oder Prime Video wäre die Amazon Prime Mitgliedschaft möglich, aber eben auch sinnlos.

Kommentare  

#1 Papa 2018-05-29 07:37
Eine ganze These auf seinem ganz persönlichen Schicksal mit Amazon abzustützen halte ich für sehr gewagt. Wer 11 Artikel(nicht Bestellungen!) pro Jahr bei Amazon kauft ist in jedem Falle kinderlos und mit ausreichend Zeit zum Individual-Shop pen gesegnet. Und das Alleinstellungs merkmale nicht dauerhaft bestehen können, ist uns spätestens mit der Globalisierung des Handels aufgefallen - es gibt nichts was es nicht auch billiger aus China gibt.
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