Kolumne: Ein Abgesang auf das Ende des Otto-Katalogs

Veröffentlicht: 13.07.2018 | Geschrieben von: Christian Laude | Letzte Aktualisierung: 13.07.2018

Anfang der Woche bemühten viele Medien die Phrase „das Ende einer Ära“ und verabschiedeten sich gebührend, ja fast schon ehrerbietend von einem Medium, das sie über mehrere Jahrzehnte lang begleitet hat. Am 9. Juli 2018 gab das Handelsunternehmen Otto offiziell bekannt, seinen Print-Katalog einstellen zu wollen. Und das auch relativ zeitnah, denn die letzte Ausgabe soll im Dezember verschickt werden und das Frühjahr-/Sommer-Sortiment 2019 vorstellen.

Was den Print-Katalog zum Kultobjekt gemacht hat

Wahnsinnige 68 Jahre lang wurden auf unzähligen Seiten die verschiedensten Produkte aus dem Otto-Sortiment präsentiert. Die erste Ausgabe, die entsprechend 1950 angefertigt und in einer Auflage von 300 Exemplaren verschickt wurde, hatte natürlich wenig mit dem zu tun, was später enthalten war und den Katalog letztendlich zum Kultobjekt gemacht hat. Das Angebot beschränkte sich auf Schuhe, deren Fotos ausgeschnitten und aufgeklebt wurden – inklusive kurzen, mithilfe von Schreibmaschinen angefertigten Beschreibungstexten, versteht sich.

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Von dem dünnen Papier, das immens an Kassenzettel erinnerte, von den Briefkästen, die nach der Veröffentlichung immer und immer wieder überquilten, von Stars wie Claudia Schiffer und Heidi Klum, die als Aushängeschild fungierten, und von leicht bekleideten Models, die beispielsweise Dessous präsentierten und für Millionen Heranwachsende somit die erste Annäherung an das andere Geschlecht darstellten (noch vor der Bravo!), war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht einmal zu erahnen. Doch genau diese Sachen sorgten dafür, dass der Otto-Katalog – neben anderen Ablegern wie Neckermann, Quelle und Schwab – einen derartigen Status erlangen konnte.

Ein ungewöhnliches Hobby

Nicht nur eine, sondern direkt mehrere Generationen dürften deshalb nach der Bekanntgabe des Abschieds einen melancholischen Seufzer verdrückt haben. Auch ich gehöre aufgrund diverser Verbindungen zum Otto-Katalog dazu. Ein aus heutiger Sicht völlig unverständliches Ritual wird für immer und ewig in meinem Gedächtnis bleiben: Als junger Bub konnte ich es kaum abwarten, den Katalog aus dem Briefkasten zu entnehmen und daraufhin die Schutzfolie zu entfernen, um darin zu blättern und mir einen groben Überblick zu verschaffen. Eigentlich komplett unspektakulär, doch was dann folgte, wäre perfektes Material für jeden Nerd-Streifen im Kino, denn ich nahm Stift und Papier sowie einen Taschenrechner und zählte die Preise sämtlicher Waschmaschinen zusammen. Ein Zeitvertreib, für den ich auch heute noch absolut keine Erklärung parat habe.

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Natürlich ist das alles eine ziemliche Lobhudelei und die Frage, inwiefern ein papierintensives Medium in Zeiten des Internets noch wirklich eine notwendig Daseinsberechtigung hat, ist mehr als berechtigt. Durch die Besiegelung des Endes vom Otto-Katalog erübrigt sich diese allerdings – auch wenn das Unternehmen selbst zumindest in Teilen eine andere Erklärung mitlieferte. Marc Opelt, Vorsitzender des Bereichsvorstands OTTO, begründete den Schritt wie folgt. „Unsere Kunden haben den Katalog sukzessive selbst abgeschafft, weil sie ihn immer weniger nutzen und schon längst auf unsere digitalen Angebote zugreifen. Entsprechend sagen wir jetzt ‚tschüss‘– als letztes Zeichen einer gelungenen Transformation vom einstigen großen Katalogversender zum reinen Online-Händler, die weltweit so nur OTTO geschafft hat.“ Mit anderen Worten: Die Kunden sind selbst schuld und wir von Otto sind aufgrund des gelungenen Wandels einzigartig.

Amazon hält Print-Katalog am Leben – zumindest halbwegs

Müssen wir uns also darauf einstellen, nie wieder pompöse Print-Kataloge in den Händen halten zu dürfen? Wenn nicht gerade noch einmal ein erheblicher Wandel stattfindet, dürfte es tatsächlich noch eine ganze Weile dauern. Doch nur kurze Zeit vor der Bekanntgabe Ottos tauchte eine Meldung auf, die überhaupt nicht zum vermeintlich absoluten Ende dieses speziellen Mediums passt: Angeblich wird Amazon zum Weihnachtsgeschäft Kataloge an Millionen US-amerikanische Haushalte verschicken, in denen Spielzeuge beworben werden. Zusätzlich wird Amazon diese wohl in den Whole-Foods-Märkten auslegen. Und auch wenn das alles sehr wenig mit den kultigen Otto-Katalogen gemein hat, bleibt immerhin ein Fünkchen Hoffnung bestehen, dass „wir“ irgendwann mal wieder Print-Angebote von Waschmaschinen mit dem Taschenrechner zusammenrechnen können.

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