Kommentar: Wo die Automatisierung makabre Züge zeigt

Veröffentlicht: 18.07.2018 | Geschrieben von: Michael Pohlgeers | Letzte Aktualisierung: 18.07.2018

Durch die Automatisierung bestimmter Prozesse lassen sich Arbeitsabläufe beschleunigen und triste Aufgaben – wie etwa das Erstellen von Anschreiben – durch Programme erledigen. Doch denen fehlt so manches mal eben eines: der menschliche Verstand.

Digitaler Totenkopf
© John David Bigl III – Shutterstock.com

Eine Frau erliegt ihrem Krebsleiden. Ihr Witwer steht nun davor, den frühzeitigen Tod seiner Frau zu verarbeiten und die unvermeidbaren Verwaltungsaufgaben zu übernehmen – und ihre Konten bei verschiedenen Online-Anbietern zu kündigen. Auch PayPal informiert er über den Tod seiner Frau, reicht eine Kopie ihrer Sterbeurkunde, ihres Testaments und seines Ausweises ein, wie der Payment-Anbieter es verlangt hat. Kurze Zeit später schickt PayPal einen Brief, der an die Verstorbene adressiert ist: „Sie verstoßen gegen Abschnitt 15.4(c) Ihrer Vereinbarung mit PayPal Credit, da wir kürzlich erfahren haben, dass Sie verstorben sind“, heißt es. Dieser Verstoß könne „nicht korrigiert“ werden, so das Schreiben weiter. Dass das vollkommen richtig erkannt ist, steht wohl außer Frage.

Bug, schlechte Vorlage oder menschlicher Fehler?

Nicht außer Frage steht allerdings, wie ein solches Schreiben in dieser Situation zustande kommt. PayPal hat sich umgehend bei dem Witwer entschuldigt und versprochen, nachzubessern. Was genau damit gemeint ist, sagt das Unternehmen aber nicht. Dabei handele es sich um „interne Fragen“, wie die BBC berichtet. Ein PayPal-Mitarbeiter habe allerdings drei Ursachen genannt: Ein Bug, eine schlechte Vorlage für das Anschreiben oder ein menschlicher Fehler. 

Was auch immer der Grund ist, der Zahlungsanbieter kann sich glücklich schätzen, dass der Witwer die Sache offenbar recht gut wegsteckt und sich in der Lage fühlt, mit „derartigem Papierkram“ umgehen zu können. „Wenn ich darüber viel Aufhebens mache, dann nur, damit PayPal – oder jedes andere Unternehmen, das etwas derart Unsensibles machen könnte – erkennt, welchen Schaden sie damit bei Hinterbliebenen anrichten können.“

Auch die GEZ trat schon ins Fettnäpfchen

Ähnliche Fälle sind auch aus Deutschland bekannt: Dass die GEZ schon eine Katze zur Zahlung ihrer Rundfunkgebühren aufgefordert hat, ist ein solches Paradebeispiel. Woher die Adresse der Katze kam, konnte sich die GEZ-Sprecherin damals auch nicht erklären. Unerklärt bleibt auch, wieso es mehrere Jahre und Anschreiben dauerte, bis das Haustier aus der Adressliste entfernt wurde. Noch dramatischer war allerdings die Zahlungsaufforderung, die ein Ehepaar aus Schnürpflingen in der Nähe von Ulm erhalten hatte: Weil ihre Kinder nun volljährig seien, sollten diese sich bei der GEZ anmelden, wie T-Online berichtet. Dass beide Kinder rund 20 Jahre zuvor im Säuglingsalter gestorben waren, war der Behörde offenbar nicht bekannt. Für die Eltern alles andere als ein angenehmes Erlebnis.

Auch sogenannte Bad-Ads sind im Grunde ein Fall von fehlgeschlagener Automatisierung: Wird eine Werbeanzeige für das neueste Luxusauto automatisiert ausgespielt und landet dann auf einer Nachrichtenseite in einem Artikel über einen tragischen Autounfall, ist das mehr als unglücklich. 

Dass sich Unternehmen und Behörden in solchen Fällen bei den Betroffenen entschuldigen, ist sicherlich das Mindeste. Das Versprechen, nachzubessern, sollten die Unternehmen dann aber auch in jedem Fall einhalten – und Formulierungen, dass man mit seinem Tod gegen die Nutzungsbedingungen verstößt, lieber direkt aus irgendwelchen Automatisierungen nehmen. Denn darin zeigt sich, was den Programmen fehlt: menschliches Verständnis und Mitgefühl.

Über den Autor

Michael Pohlgeers
Michael Pohlgeers Experte für: Marktplätze

Micha gehört zu den „alten Hasen“ in der Redaktion und ist seit 2013 Teil der E-Commerce-Welt. Als stellvertretender Chefredakteur hat er die Themenauswahl mit auf dem Tisch, schreibt aber auch selbst mit Vorliebe zu zahlreichen neuen Entwicklungen in der Branche. Zudem gehört er zu den Stammgästen in unseren Multimedia-Formaten, dem OHN Podcast und unseren YouTube-Videos.

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