Abmahnungen sind für viele der Bonus im E-Commerce, auf den sie gut und gern verzichten können. Dem Instrument, welches ursprünglich mal für mehr Fairness im Wettbewerbs gedacht war, haftet oft der Makel des Rechtsmissbrauchs an. Diesen Vorwurf müssen sich vor allem die großen Abmahner, wie etwa Sandhage und der Ido Verband, gefallen lassen. Kein Wunder: Beide verschicken – bzw. im Falle des Ido muss es verschickten heißen – große Mengen an gleichlautenden Abmahnschreiben. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass es regelrechte Trends gibt.
Da stellt sich zwangsläufig die Frage, welche Abmahngründe in diesem Jahr Trend waren – und welche es möglicherweise im Jahr 2023 werden.
Google Fonts – ein Abmahnphänomen
Obwohl das Thema erst Mitte des Jahres aufploppte, ist es schon jetzt ein Phänomen: Es geht um die dynamische Einbindung von Google Fonts und die damit verbundene Weiterleitung personenbezogener Daten in die USA. Hintergrund ist ein Urteil vom Jahresbeginn. Das Landgericht München hatte einem Seitenbesucher einen Schadensersatz in Höhe von 100 Euro zugebilligt. Seitdem werden unzählige Schreiben per Post oder E-Mail an Webseitenbetreiber versendet. Teilweise versenden die Betroffenen die Zahlungsaufforderungen selbst, teilweise werden Anwaltskanzleien beauftragt. Eines haben alle gemeinsam: Es wird moniert, dass durch die Einbindung von Google Fonts personenbezogene Daten ohne Einwilligung in die USA transferiert werden, was einen Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) darstellt und damit zum Schadensersatzanspruch führt. Gefordert werden 100 bis 170 Euro.
Was das Ganze ungewöhnlich macht: Es handelt sich nicht um wettbewerbsrechtliche Abmahnungen, wie sie typisch sind, sondern um Schadensersatzforderungen von Privatpersonen. Ähnliche Forderungen sind bereits aus dem Bereich der unerlaubten E-Mail-Werbung bekannt. Neu sind allerdings die Dimensionen. Um diese zu veranschaulichen: Der Händlerbund hat in diesem Jahr (Stand 27.11.2022) rund 150 Abmahnungen verzeichnet, die Rechtsanwalt Sandhage im Namen seiner unterschiedlichen Mandanten abgesendet hat. Damit ist Sandhage der „Fleißigste“ im Versenden wettbewerbsrechtlicher Abmahnungen. Bei dem Thema Google Fonts wurden etwa 422 Abmahnungen allein im Zeitraum vom 1. September bis 27. November 2022 registriert. Allein 239 tragen dabei den gleichen Absender. Daher ist es kein Wunder, dass diese Schreiben in unserem kleinen Rückblick an erster Stelle stehen.
Omnibus Directive schafft Abmahnrisiken
Nicht ein Thema, sondern eine ganze Latte an Änderungen trieb dem einen oder anderen Unternehmen im Mai die Schweißperlen auf die Stirn: die Omnibus Directive. Am meisten dürften in dem Zusammenhang die Themen Kennzeichnung von Rezensionen, Grundpreise und das Werben mit Rabatten für Verunsicherung gesorgt haben. Immerhin sind das Punkte, die bei einem Fehler besonders leicht durch Abmahner erkennbar sind. Allerdings blieb eine riesige Abmahnwelle zum Glück aus.
Was aber natürlich abgemahnt wird, ist im Allgemeinen die fehlerhafte Grundpreisangabe. Diese befindet sich mit einem Anteil von etwa 6,6 Prozent auf dem vierten Platz. Auffällig ist lediglich, dass neben dem Klassiker, der fehlenden Grundpreisangabe, nun auch die falsche Grundpreisangabe abgemahnt wird, denn: Seit der Omnibus Directive dürfen Grundpreise für kleine Abpackungen nicht mehr pro 100 Gramm bzw. 100 Milliliter angegeben werden, sondern müssen pro einem Kilogramm bzw. pro einem Liter anzeigt werden. Hin und wieder wird auch das Werben mit Rabatten abgemahnt. Hier muss seit der Gesetzesänderung ein Bezugspreis, auch Streichpreis genannt, angegeben werden. Bei diesem Streichpreis muss es sich um den günstigsten Preis handeln, der in den letzten 30 Tagen tatsächlich vom Händler verlangt wurde.
Die Top 3 der Abmahngründe
Zum Abschluss dieses Rückblicks wollen wir noch einen kleinen Blick auf die Top 3 der Abmahngründe werfen.
Auf den dritten Platz hat es die Werbung mit gesundheitsbezogenen Aussagen geschafft. Dabei sind es vor allem die Klassiker, wie etwa „entschlackend“ oder „fatburner“, die immer wieder abgestraft werden.
Auf Platz 2 finden sich das Verpackungsgesetz. Wer sich nicht bei der Zentralen Stelle registriert, muss mit unerwünschter Post rechnen. Hier sollten Unternehmen besonders die Änderungen für das Jahr 2023 nicht verpassen.
An der Spitze stehen irreführende Werbebotschaften im Allgemeinen, mit denen etwa ein Fünftel der Abmahnungen begründet werden und die es so auf unseren Platz 1 im Jahr 2022 schaffen. Dazu zählen beispielsweise falsche Produktzuordnungen: So werden auf Ebay regelmäßig Angebote abgemahnt, die sich in der Kategorie „neu“ befinden, in Wirklichkeit aber gebrauchte Artikel sind.
2023: Verpackungen, Cannabis, Datenschutzverstöße & Nachhaltigkeit
Natürlich können wir nicht in die Glaskugel schauen, aber gewisse, angekündigte Neuerungen bergen Abmahn-Potential: So wartet das Verpackungsgesetz mit einer Reihe neuer Pflichten ab dem 1. Januar auf. Außerdem entscheidet der Bundesgerichtshof im Januar über die Frage, ob Verstöße gegen die DSGVO auch von Mitbewerbern abgemahnt werden dürfen. Ein großer Streitpunkt könnte das Thema Werbung mit Nachhaltigkeit werden: Nachdem der Verbraucherzentrale Bundesverband die FIFA wegen ihrer Werbung zum Thema Klimaneutralität der Fußball WM abgemahnt hat, fordern die Verbraucherschützer nun ein generelles Verbot mit solcher Werbung.
Sollte es im kommenden Jahr tatsächlich so weit kommen, dass Cannabis legalisiert wird, dann wird es auch für den Handel spannend: Eine Legalisierung wird mit vielen Regeln für den Verkauf einhergehen. Neben Beschränkungen des THC-Gehalts wird es sicherlich auch eine Reihe Informationspflichten geben, die erfüllt sein müssen. Verstöße gegen diese Regeln werden sehr wahrscheinlich ebenfalls wettbewerbsrechtlich abgestraft werden können.
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