Kolumne: Alle haften für alles?

Veröffentlicht: 17.02.2017 | Geschrieben von: Yvonne Bachmann | Letzte Aktualisierung: 24.03.2017

Ich lese viele, wirklich viele Urteile. Täglich. Doch manchmal verstehe ich mein Gehalt eher als eine Art Schmerzensgeld, denn was die deutsche Justiz bastelt, ist für den Laien manchmal wirklich nicht nachvollziehbar. Dass Juristen ein schlechtes Image haben, als Spielverderber, Paragraphendreher und generell wenig freudlos beurteilt werden, kann ich den „normalen“ Menschen wirklich nachsehen.

Heute möchte ich Ihnen wieder ein Urteil aus der Kategorie „Unglaubliches“ vorstellen. Können Sie sich an das Urteil zu Verlinkungen aus Luxemburg erinnern, welches 2016 hohe Wellen geschlagen hat? Sobald von einer kommerziell betriebenen Seite aus verlinkt wird, begibt man sich in die Gefahr der Mithaftung, wenn die verlinkten Inhalte rechtswidrig sind, etwa Fotos oder Texte kopiert wurden (Rechtssache C-160/15). Etwas Ähnliches stellte das Oberlandesgericht in Hamburg jetzt auch für Buchhändler – und alle anderen Händler – klar.

Buchhändler haftet für Rechtsverletzungen in seinem Sortiment

Zunächst reisen wir nach Hamburg. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen netten Buchladen im Internet. Na klar, was gibt es dort zu kaufen? Bücher. Und sonstige analoge Nettigkeiten wie Postkarten und Kalender. Ein Händler, der solche und andere Artikel an Verbraucher verkauft, ist dafür generell verantwortlich, dass diese legal auf den Markt gelangt sind, sprich keine Fälschungen sind oder Rechte verletzten. Ähnlich soll es nun auch Buchhändlern gehen. Auch sie müssen sicherstellen, dass alles, was sie vertreiben, seine Richtigkeit hat. Soweit nichts Neues.

Welche Ausmaße das annehmen kann, zeigte dieser Rechtsstreit: Der Kläger, ein anonymer „international bekannter Popmusiker“, stellte fest, dass ein Kalender von ihm online vertrieben wurde, den er nicht autorisiert hatte. Der abgemahnte Buchhändler verteidigte sich natürlich, jedes verkaufte Werk ohne Anlass auf mögliche rechtsverletzende Inhalte zu überprüfen, käme der Forderung der Aufgabe des Buchhandels gleich. Und das bestätigt auch das eigene Rechtsempfinden der Verfasserin dieser Kolumne. Doch weit gefehlt. Beide Instanzen waren auf der Seite des Popstars und verurteilten den Händler (zuletzt das Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 27.01.2017, Az.: 5 U 138/13). 

Wer gegen Urheberrechte verstößt, wird bestraft – auch ohne eigenes Verschulden, denn der Verkäufer vermittle dem Internetnutzer den Eindruck, er übernehme die inhaltliche Verantwortung für die von ihr im eigenen Namen eingestellten Verkaufsangebote. Ein Buchhändler, der eigenverantwortlich, und jetzt kommt’s: „aufgrund seiner autonomen Entscheidungsbefugnis ohne Rücksicht“ entschieden hat, dass der Artikel in sein Sortiment aufgenommen wird, ist auch für dessen rechtsverletzende Inhalte verantwortlich.

Damit ist das Handeln mit Waren im Internet generell ein Pulverfass. Kein Mensch kann sicherstellen, ob die dargestellten Produktverpackungen nicht irgendeinen Fotografen auf den Schlips treten, oder ob das Fotomodell irgendwelche unerwarteten Befindlichkeiten äußert.

Bleiben Sie cool!

Also müssen jetzt alle Buchhändler alle Bücher vorher selbst lesen, die Nachfrage in meinem Team. Nein. Das menschliche Gehirn ist so gestrickt, dass von einhundert positiven Meinungen nur die eine negative im Gedächtnis bleibt. So ist es auch mit Gerichtsurteilen. Nach dem Lesen dieser Kolumne sollten Sie nicht in Panik verfallen. Selten lassen sich solch abstruse Urteile auf andere Fälle anwenden und das nächste Gericht kann die Sache schon wieder ganz anders sehen. Die Wahrscheinlichkeit, von einem Blitz getroffen zu werden, liegt auch nur bei 1:6.000.000. Also: Einfach weitermachen, getreu dem Motto „Brust raus, Bauch rein“ und weiter machen!!!

via GIPHY

 

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