Ab dem 01.07. bis zum 31.12.2020 gilt für (fast) alle in Deutschland steuerpflichtigen Umsätze ein Steuersatz von 16 bzw. 5 Prozent.
Diese Gesetzesänderung mit einer Entlastung von Unternehmern und Endverbrauchern in Höhe von schätzungsweise 20 Mrd. Euro kam für alle Marktteilnehmer überraschend. Das bedeutet jedoch nicht, dass es sich um eine impulsive Entscheidung der Politik handelt. Hätte man diese Entscheidung deutlich früher angekündigt, wären viele Kauf- bzw. Investitionsentscheidung bis zum 01.07.2020 aufgeschoben worden und hätten die Wirtschaft in der damaligen neuralgischen Phase noch zusätzlich geschädigt.
Für viele Onlinehändler stellen sich nun jedoch zwei Fragen.
- Muss ich an dieser Gesetzesänderung teilnehmen?
- Was sind die Stolpersteine – Die gibt es immer! – wenn ich die Gesetzesänderung umsetzen will bzw. muss?
Die erste Frage ist einfach: Intern kann und darf jeder Händler weiterhin mit 19/7 Prozent Umsatzsteuer kalkulieren. Problematisch wird es nur, wenn Rechnungen ausgestellt werden. Denn in diesen Fällen gilt der Grundsatz – in der gesamten EU – dass die in einer Rechnung zu hoch ausgewiesene Umsatzsteuer auch an das Finanzamt abgeführt werden muss – § 14c Abs. 1 UStG, daher auch der Begriff: 14c-Steuer.
Solange man als Onlinehändler nur innerhalb Deutschlands und nur B2C verkauft, besteht keine Verpflichtung zur Ausstellung einer Rechnung – anderenfalls jedoch schon (also: B2B oder grenzüberschreitend (B2B und B2C)).
Da die meisten Händler ihre Produkte auch grenzüberschreitend und/oder B2B verkaufen, können sie die Gesetzesänderung nicht einfach aussitzen, sondern müssen auf die folgenden Stolpersteine achten.
Nicht Rechnungsdatum, nicht Auftragseingang, …: Einzig auf das Leistungsdatum kommt es an.
Die wichtigste Frage im Rahmen der Gesetzesänderung ist: Wann ist eine Lieferung im Onlinehandel mit 19/7 Prozent und wann mit 16/5 Prozent Umsatzsteuer zu erfassen?
Die Antwort darauf ist einfach, doch in der Praxis sehr unterschiedlich gehandhabt.
So vielfältig die Systemlandschaft im Onlinehandel ist, so vielfältig erfolgt die Bestimmung des Leistungszeitpunkts, der nun für die befristete Senkung der Umsatzsteuersätze besonders relevant wird.
Wir erklären schon seit Jahren, dass sogenannte Workarounds, bei denen z.B. die zeitliche Zuordnung einer Lieferung durch das Rechnungsdatum, Bestelleingang, Zugang beim Kunden, ... erfolgt, nicht der Gesetzeslage entsprechen.
Der Zeitpunkt einer Lieferung – das Leistungsdatum – im Onlinehandel ist der Zeitpunkt, zu dem diese beginnt – also z.B. euer Lager verlässt bzw. an den Spediteur übergeben wird.
Eine weitere Problematik, welche zumindest nach unserer Erfahrung die meisten ERP-Systeme richtig abbilden, lautet: Wie sind Retouren zu bewerten, die im Juli, August, … erfolgen – die ursprüngliche Lieferungen aber (richtigerweise) mit einem Steuersatz in Höhe von 19/7 Prozent abgerechnet wurde?
Das Bauchgefühl sagt hier schon, dass eine Erstattung der Umsatzsteuer in Höhe von 16/5 Prozent mehr als ungerecht wäre.
Dieses Bauchgefühl trügt nicht. Retouren sind immer auf Basis der ursprünglichen Lieferung zu bewerten, sodass das Finanzamt immer die Umsatzsteuer für die Retoure erstatten sollte, welche für die ursprüngliche Lieferung abgeführt wurde.
Auswirkungen auf Finanzbuchhaltung und Umsatzsteuer-Voranmeldungen
Die Finanzverwaltung geht im Rahmen der Meldungen der Umsätze ab dem Zeitraum Juli/2020 relativ pragmatisch vor. Es wird keine neuen Formulare geben, was angesichts der knappen Zeit für die Umsetzung auch ausgeschlossen war.
Stattdessen sind alle zwischen dem 01.07. und 31.12.2020 steuerbaren Umsätze in einer Kennzahl zu melden, die bislang ein Schattendasein fristete: Kz. 35 Steuerpflichtige Umsätze zu anderen Steuersätzen.
Da die wenigsten Händler ihre Umsatzteuer manuell berechnen und per Hand in die Formulare eintragen, stellt sich die Frage: Kann mein Finanzbuchhaltungsprogramm die Gesetzesänderung umsetzen und am Ende korrekte Umsatzsteuer-Voranmeldungen erzeugen?
Beim Marktführer DATEV laufen die Anstrengungen dazu auf Hochtouren. Die DATEV hat jedoch klargestellt, dass soweit das korrekte Leistungsdatum – im Onlinehandel: der Beginn der Lieferung – übergeben wird, wird die DATEV automatisch den korrekten Umsatzsteuersatz berechnen.
Achtung beim Vorsteuerabzug: Die Fehler der anderen im Blick behalten!
Wer Unternehmer ist, bezieht laufend Eingangsleistungen. Da die Umsatzsteuer nur den Endverbrauch erfassen und auf Unternehmensebene neutral wirken sollen, gibt es das sogenannte Konstrukt des Vorsteuerabzugs. Unternehmer können sich die ihnen in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als sogenannte Vorsteuer durch das Finanzamt erstatten lassen.
Wie ist damit umzugehen, wenn ein Unternehmer einem anderen Unternehmer ab dem 01.07.2020 fälschlicherweise weiterhin 19 bzw. 7 Prozent in Rechnung stellt?
Wie eingangs erläutert, muss der leistende Unternehmer gem. § 14c Abs. 1 UStG diese zu hoch ausgewiesene Umsatzsteuer an das Finanzamt abführen. Der Leistungsempfänger darf jedoch die zu hoch ausgewiesene Umsatzsteuer (14c-Steuer) nicht als Vorsteuer abziehen.
Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat im Rahmen eines sogenannten BMF-Schreibens (es handelt sich um den Entwurf mit Stand vom 23.06.2020), an das alle Finanzämter gebunden sind, mitgeteilt, dass es eine kurze Übergangsfrist geben wird.
Demnach wird der Vorsteuerabzug vom 01.07. bis 31.07. nicht beanstandet, wenn der leistende Unternehmer diese 14c-Steuer an das Finanzamt abgeführt hat.
Ab dem 01.08. gilt das jedoch nicht mehr. Es ist damit zu rechnen, dass die Finanzämter diesen Zeitraum (01.08. – 31.12.2020) im Rahmen von Umsatzsteuer-Sonderprüfungen und Betriebsprüfungen besonders im Auge haben werden.
Über den Autor
Dr. Roger Gothmann (Dipl. Volkswirt & Dipl. Finanzwirt (FH)) war viele Jahre für die Finanzverwaltung im Bereich Umsatzsteuer tätig. Anschließend leitete er die Steuerabteilung einer Forschungseinrichtung. Seit 2016 ist er einer von drei Geschäftsführern von Taxdoo – der Compliance-Plattform für die digitale Ökonomie.
Kommentar schreiben