Das Thema der Mehrwertsteuersenkung beschäftigt alle – die Politik, die Unternehmen, die Kunden. Was auf den ersten Blick vielleicht nach einer einfachen Methode klingt, um die Wirtschaft nach der Coronakrise wieder anzukurbeln, entpuppt sich allerdings als eine Idee, die äußerst kontroverse Reaktionen hervorruft. Dabei stellt sich auch die Frage, ob Unternehmen die Senkung zwingend an die Verbraucher weitergeben sollten. Drei Juristen und ein Redakteur, der garantiert kein Jurist ist, schauen sich das Thema in unserem Format „3 Juristen, 4 Meinungen“ aus individuellen Blickwinkeln an.
Tina, keine Juristin
Als ich in der vergangenen Woche im Supermarkt war, wurde ich von roten Rabatt-Schildchen quasi überschwemmt. Alles war rabattiert. Wirklich ALLES. Nach kurzer Verwirrung fiel mir wieder ein, dass es sich hierbei wohl nicht um die gewohnten, wöchentlich wechselnden Schnäppchen aus den Prospekten handelt, sondern dass die Rabattflut wohl auf die gesunkene Mehrwertsteuer zurückzuführen ist. „Super!“, dachte ich. „Wer den Cent nicht ehrt …“ Auch verschiedene E-Mails erreichten mich übers Wochenende und verkündeten mir für die kommenden sechs Monate sinkende Produkt- oder Abo-Preise.
So weit, so verbraucherfreundlich. Allerdings gibt es auch Unternehmen, die die Senkung nicht an ihre Kunden weitergeben wollen. Starbucks zum Beispiel. Die US-amerikanische Kaffeekette verfolge langfristige Perspektiven und will unter anderem die Löhne im Rahmen des Tarifvertrags schrittweise steigern. Indem man die Mehrwertsteuersenkung nicht weitergebe, erhalte das Unternehmen einen „flexibleren Handlungsspielraum“. Für diese Entscheidung hagelt es allerdings massive Kritik – auch aus der Politik. Es stellt sich die Frage: Macht Starbucks alles falsch und mein Supermarkt alles richtig? Sollte man Unternehmen dazu zwingen, die Kunden durch die Senkung der Mehrwertsteuer zu entlasten?
Contra Weitergabe-Pflicht: Rabatte als Marketing-Chance
Ich für meinen Teil finde, dass es den Firmen selbst überlassen bleiben sollte. Schließlich zwingt auch keiner die Unternehmen, an weihnachtlichen oder sonst wie gearteten Rabattschlachten teilzunehmen. Außerdem ist es schwierig, hinter die Kulissen jedes Unternehmens zu blicken. Es dürfte durchaus viele Firmen geben, die um jeden Euro kämpfen und die Einsparungen dringend benötigen, um den Betrieb aufrechterhalten zu können. „Und wenn man nur die großen Branchen-Player zwingt?“, könnte man fragen… Tja. Aber wer entscheidet in Zeiten von Corona, was groß ist? Und die Erfahrungen der letzten Wochen zeigen: Auch große Firmen sind vor Umsatzeinbrüchen und Insolvenzen nicht gefeit!
Schlussendlich ist es doch so: Für Unternehmen, die die Kunden nun mit einer Preissenkung beglücken, ist dies eine super Marketing-Möglichkeit. Sie können damit werben, neue Kunden anlocken und Bestandskunden binden. Dass alle anderen – wie etwa Starbucks – in Ungnade fallen, nur weil sie die Mehrwertsteuersenkung nicht weitergeben, ist jedenfalls nicht gesagt. Hier kommt es auf eine gute Unternehmenskommunikation an. Und die sollte für die Kunden nachvollziehbar und authentisch sein.
Doch das ist nur meine nicht-juristische Meinung. Wie sieht es nun aber aus rechtlicher Sicht aus? Meine Kollegen wissen mehr.
Yvonne, Juristin
Hand aufs Herz … wer spart nicht gerne Geld? Alles, was mit einer Senkung von was auch immer zu tun hat, Strom, Benzin oder eben gleich der kompletten Mehrwertsteuer, klingt doch fantastisch, oder?! Umso mehr habe ich der Steuersenkung entgegengefiebert, denn mal sehen, vielleicht ergibt sich ja die eine oder andere Chance, ein paar Cent oder Euro zu sparen.
Ganze Armeen haben die Supermärkte, Geschäfte und Online-Shops missioniert. Von einer Welle der grellroten Schilder, Blink-Streichpreise und Knallerschnäppchenwerbebannerdingsbumser wurde auch ich überrollt und schnell trat die Ernüchterung ein… Mmpf, was mache ich jetzt mit den 7 Cent, die ich nun mehr auf dem Konto habe? Gönn dir?!
Keep calm and trust your lawyer
Gesetze sind nicht immer in Stein gemeißelt. Jüngst demonstrierte das Drama um den neuen Bußgeldkatalog, was so alles schief gehen kann. Viele Köche verderben den Brei, oder? Da auch das Konjunkturpaket, und im Speziellen die Mehrwertsteuersenkung, in einer Nacht- und Nebelaktion auf den Weg gebracht wurde, würde es mich nicht wundern, wenn man erst das Gesetz verabschiedet und dann nachgedacht hätte.
Tatsächlich gehe ich an die Frage, ob die Mehrwertsteuersenkung an Kunden durchgereicht werden MUSS, knallhart mit meinem analytischen Juristenhirn ran. Die Mehrwertsteuersenkung ist nun mal da und da steht halt nicht drin, dass die temporäre Mehrwertsteuersenkung an den Kunden weitergegeben werden muss. Oder soll. Oder darf. Basta! Und wenn’s da nicht steht, muss man’s eben nicht, gell?
Wie gewonnen, so zerronnen
Blenden wir doch mal die Dollarzeichen aus und nehmen die rosarote Brille ab. Dass der eine oder andere Schlauberger schon mit dem Bekanntwerden der Senkung die Preise klammheimlich angehoben hat und sich nun selbst gönnerhaft feiert, ist nicht zu übersehen. *wir nennen keine Namen*
Melvin, Diplom-Jurist
Huiuiui, denke ich bei der Frage nach einem verpflichtenden Weitergeben der Ersparnis erstmal aus praktischer Sicht. Wo die Maßnahme an sich gerade ohnehin schon viel Aufwand erzeugt, dürfte so eine Pflicht ein ganz eigenes Kaliber sein, nicht nur für Händler, sondern auch für den Gesetzgeber.
Diese Realität auf der einen Seite, aber es gibt auch eine andere. Pflichten und Gesetze können zum Beispiel dann eine Menge Sinn ergeben, wenn es etwas zu schützen oder zu gestalten gilt, insbesondere wenn das wichtige Ziel ohne solch einen Eingriff nicht erreicht werden kann.
Tropfen auf den heißen Stein?
Was also ist das Ziel der Mehrwertsteuersenkung? Das liest man gebetsmühlenartig überall: Durch die Ersparnis kann mehr ausgegeben werden, die Dinge sind ja nicht mehr so teuer. Also werden mehr Umsätze verzeichnet und die Wirtschaft wird angekurbelt und floriert. Es geht nicht darum, dass Verbraucher „mehr haben“, oder dass einzelne Personen profitieren. Natürlich liegt dieser Gedanke nicht fern, aber ich denke, wir sind uns einig, dass das nicht das offizielle Ziel ist.
Das Geld, das gespart wird, soll auch nicht irgendwo geparkt werden – kann es zwar, aber das dient nicht dem Zweck der Senkung, soweit ich selbst das ohne jedwede volkswirtschaftliche Kenntnisse beurteilen kann. Und natürlich ist diese Maßnahme auch nicht deswegen lächerlich, weil sie sich vermeintlich auf ein „Na von den 3 Cent mehr kann ich mir ja richtig was gönnen“ runterbrechen lässt. Denn so ist das nicht. Die Maßnahme ist nicht der Tropfen auf den heißen Stein, sie besteht aus etlichen Tropfen, die zu einer ganzen Menge Wasser werden sollen, die dann nicht mehr auf dem Stein verpufft.
Damit diese Maßnahme nicht zu der Lächerlichkeit wird, die man ihr teilweise unterschiebt, muss man den Zweck anerkennen, dass es um das große Ganze geht. Und dass das, was man davon selbst erlebt (die gesparten Cents an der Supermarktkasse) nur ein ganz kleiner Teil davon ist.
Damit eine Maßnahme ihr Ziel erreicht, muss sie umgesetzt werden
Warum nun dieses Geschwurble vom großen Ganzen? Weil es mitunter verkannt wird. In der Praxis dürfte die Ersparnis häufig irgendwo hängen bleiben, in einer Weise, die so nicht vorgesehen war oder zumindest dem Zweck nicht dienlich scheint. Das konterkariert die Maßnahme und sorgt am Ende – mal rumgesponnen – für eine selbsterfüllende Prophezeiung. Und damit komme ich zum Punkt der verpflichtenden Weitergabe. In diesem Kontext könnte man das als Erziehungsmaßnahme, als Lenkung sehen. Gibt man seinem Kind Taschengeld für einen Monat, und das ist am ersten Tag für eine 5kg schwere bunte Tüte vom Kiosk draufgegangen, dann würde das Konsequenzen haben. Zum Beispiel gäbe es Regeln, wie das Geld künftig auszugeben sei – oder aber man macht es sich einfach und zahlt künftig kein Taschengeld mehr. Ziel wäre insgesamt die Disziplin.
Schüttet man als Regierung Geld auf die Straßen, damit es die Leute nehmen und ausgeben – stattdessen steckt es aber jeder in seine eigene Tasche und behält es da, dann ist das ähnlich: Nicht Sinn der Sache. Gehen wir nun davon aus, dass die Ankurbelung der Wirtschaft dringend für uns nötig, die Mehrwertsteuersenkung das Mittel der Wahl ist, dieses aber an der Umsetzung scheitert – dann drücken wir uns selbst in die Richtung, dass über eine Pflicht zur Weitergabe nachgedacht werden müsste. Und nicht nur das: Am Ende müsste das Geld gar verpflichtend ausgegeben werden. Naja. Persönlich fänd ich eine funktionierende „Selbstregulierung“ hier deutlich erstrebenswerter. Es ist doch schön, wenn eine Pflicht nicht nötig ist, weil es ohne auch läuft.
Sandra, Juristin – Volljuristin
Die Senkung der Mehrwertsteuer sorgt für gemischte Gefühle. So manch ein Schelm rechnet vor, wie viel wenige Euro er nun mehr in der Tasche hat, um zu zeigen, wie wenig sinnvoll der Vorstoß ist. Das ist übrigens eine wie ich finde recht überhebliche Argumentation, die ich selbst nicht mag. Mag daran liegen, dass ich mich noch gut an Zeiten in meinem Leben erinnern kann, in denen jeder Euro am Ende des Monats gezählt hat. Aber gut: Jedem, wie es gefällt und die Sinnhaftigkeit der Steuersenkung soll hier auch nicht Thema sein. Thema ist die Frage, ob der Staat den Handel nicht zur Weitergabe der Steuerersparnis verpflichten sollte.
Eingriff in die Grundrechte
Würde der Staat sagen: „Handel: Mach gefälligst deine Preise runter!“ – würde er die Händler aktiv dazu zwingen, die Preise neu zu kalkulieren, was ein Eingriff in die Berufsfreiheit des Grundgesetzes wäre. Davon abgesehen, dass der Staat bei einem solchen Vorhaben hätte gleich mal ein neues Gesetz schaffen müssen, da Eingriffe in die Berufsfreiheit nur auf Grundlage eines entsprechenden Gesetzes geschehen dürfen, müsste so eine Regelung außerdem verhältnismäßig sein. Bei einer Pflicht zur Weitergabe der Mehrwertsteuersenkung bedeutet das, dass diese sogenannte Berufsausübungsregelung gerechtfertigt ist, wenn vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls diese Regelungen zweckmäßig erscheinen lassen. Solch ein vernünftiger Zweck liegt zum Beispiel in den Ladenöffnungsgesetzen der Länder sowie dem Rauchverbot in Gaststätten.
Vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls
Eine vernünftige Erwägung des Allgemeinwohls könnte sein, dass mit der Weitergabe der Steuersenkung jeder am Ende etwas mehr in der Tasche hat, was dann wiederum ausgegeben werden kann. Der Gedanke hinter der Steuersenkung ist ja schließlich das Ankurbeln der Wirtschaft, wovon – zumindest in der Theorie – jeder profitieren sollte. Allerdings ist dies eine sehr einseitige Betrachtung. Sie lässt außer Acht, dass es während des Shutdowns Unternehmen gab, die das Ganze nur mit Mühe und Not überstanden habe.
Das könnte damit gelöst werden, dass genau aufgeschlüsselt wird, wer von solch einer Pflicht umfasst ist. Allerdings könnte das schwierig werden, denn: Einfach zu sagen, die Großen müssen, die Kleinen dürfen, ist nicht ausreichend. Auch bei den Branchen gibt es massive Unterschiede. So gehen Streamingdienste wie Netflix als klare Gewinner hervor, während so manche Gaststätte nie wieder ihre Türen öffnen wird. „Wer kann, der soll“ wäre genauso wenig zielführend, schließlich muss ein Gesetz hinreichend bestimmt sein. Der Gesetzgeber müsste also genau definieren, wer seiner Meinung nach „kann“, ergo dem es trotz Krise gut genug geht, um die Preise zu senken. Mal ganz davon abgesehen, dass – selbst wenn der Gesetzgeber es irgendwie schaffen würde, eine entsprechende gesetzliche Grundlage zu schaffen, die genau den Zweck erfüllt – dem Ganzen im Übrigen noch entgegensteht, dass Preise eben nicht nur aus dem Netto plus der Steuer bestehen. Eine Preiskalkulation ist je nach Produkt sehr komplex. Wer die Steuerersparnis trotz Gesetz nicht weitergeben wollen würde, dreht einfach an einer anderen Schraube. Wer will das unterm Strich schon kontrollieren?
Unvernünftig
Selbst wenn wir annehmen, dass eine entsprechende Regelung dem Allgemeinwohl dienen würde, erscheint sie mir als unvernünftig. Neben dem hohen bürokratischen Aufwand würde sie außer Acht lassen, dass die Folgen der Krise so unterschiedlich wie die Betroffenen selbst sind. Zu guter Letzt müsste außerdem nach dem A noch das B folgen: Wenn man sagt, dass es am Ende darum geht, die Wirtschaft anzukurbeln, müsste man den Verbraucher ja außerdem auf der anderen Seite noch dazu verpflichten, die eingesparte Steuer weiter auszugeben und nicht etwa das Sparschwein damit zu füttern.
Eine entsprechende Pflicht zur Weitergabe der Mehrwertsteuersenkung würde schlicht den Zweck verfehlen und wäre damit verfassungswidrig.
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bei 20.000 verschiedenen produkten einzeln ausrechnen was und wieviel es denn wärwe.??
da kann man nicht auf 3% abziehen klicken.
allein 1 oder 2 monate wäre damit einer vollzeit beschäftigt.
5000.- kosten, 1000.- ersparniss. ??
praktisch müßte sie beim ändern dann, 3% abziehen und danach alles 5% teurer machen ?? :-(((
wenn es 10% wären, kann man da schon was machen, aber bei 5 bis 25cent zu 75% ist es leider sinnlos.
dafür hat sie viele gebühren usw, nicht auf die artikel die letzten 2 jahre umgeschlagen.
da spart der käufer mehr.
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Wie so oft. Traurig. (Aber man kann es ja am Ende immer auf die Gegenpartei schieben.)
Im Übrigen gut auf den Punkt gebracht: "Eine entsprechende Pflicht zur Weitergabe der Mehrwertsteuers enkung würde schlicht den Zweck verfehlen und wäre damit verfassungswidrig."
Denn auch der Händler hat durch die Umstellung teilweise enorme Kosten und das, nachdem er zuvor monatelang horrende Umsatzeinbußen hatte. Nicht jeder Kleinunternehme r hat Unterstützung vom Staat erhalten. Und auch ein Händler hat das Recht von der Mehrwersteuerse nkung zu profitieren, wenn er schon die Arbeit damit hat. (Für ein halbes Jahr, denn dann hat er ja nochmal Arbeit)
Mal ganz davon abgesehen, das wir in einer freien Marktwirtschaft und nicht im Kommunismus leben (Noch!). Da wird der Preis immer noch nach Angebot und Nachfrage vom Händler festgelegt und nicht vom Gesetzgeber.
Und was viele vergessen: Es sollten Alle darauf warten, bis Händler und Konsument gleichermaßen die Rechnung als Steuererhöhunge n in x Bereichen präsentiert bekommen, oder wer zahlt sonst für Corona? Die Politik?
Wenn man dann seine großzügig ersparten 3% gegenrechnet, sollte Yvonne sich lieber nicht gönnen, sondern die ersparten 7 Cent und weitere Cents für die kommenden Jahre sparen. :o)
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