Wiederholter Lockdown, geschlossene Läden: Die Corona-Pandemie hat den Trend zum E-Commerce deutlich verstärkt. Immer mehr Menschen bestellen ihre Waren online – damit steigt auch die Verpackungsflut. Um Abfälle zu vermeiden und die Wertstoffe noch konsequenter als bisher im Kreislauf zu führen, hat die Bundesregierung das Verpackungsgesetz (VerpackG) verschärft. Was bedeutet die Novelle, die im Sommer in Kraft treten soll, konkret für die Akteure des Online-Handels? Markus Müller-Drexel, Geschäftsführer der INTERSEROH Dienstleistungs GmbH und des dualen Systems Interseroh+, erläutert Hintergründe, Herausforderungen und Chancen.
„Stärkung des Recyclings für nachhaltigen Klima- und Ressourcenschutz“
64 Prozent der Online-Händler:innen verzeichneten 2020 steigende oder stark steigende Umsätze, die weiteren Prognosen sind laut der aktuellen „Jahresstudie E-Commerce 2020“ des Händlerbunds „so positiv wie nie zuvor“. Gute Nachrichten für die Unternehmen – für die Umwelt stellen die vielen Verpackungen dagegen eine Belastung dar. Wie kann das Verpackungsgesetz dazu beitragen, den Online-Versandhandel nachhaltiger zu gestalten?
Markus Müller-Drexel: Wer Verpackungen in Umlauf bringt, muss auch Verantwortung für das umweltschonende Recycling übernehmen – das ist die Grundidee des Verpackungsgesetzes. Wenn Industrie und Handel ihrer Produktverantwortung nachkommen und ihre Verpackungsmengen bei einem dualen System lizenzieren, können Wertstoffe weitestgehend im Kreislauf geführt werden. Seit Inkrafttreten des VerpackG Anfang 2019 wurde – auch durch die Arbeit der Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister (ZSVR) als Kontrollinstanz – bereits einiges erreicht. Immerhin konnte die Zahl der Unternehmen mit Systembeteiligung von 60.000 auf rund 200.000 gesteigert werden.
Dass die Novelle auch verstärkt Online-Marktplätze in die Pflicht nimmt, halte ich für einen konsequenten Schritt in die richtige Richtung. So lassen sich Wettbewerbsverzerrungen vermeiden – und das deutsche Modell des Verpackungsrecyclings wird transparenter und stabiler. Die steigenden Mengen an Verpackungen, die im Online-Handel anfallen, können in einem finanziell gesicherten Rahmen gesammelt und verwertet werden. Und eine Stärkung des Recyclings ist mit Blick auf nachhaltigen Klima- und Ressourcenschutz in jedem Fall eine gute Nachricht für uns alle.
Stichwort Online-Marktplätze: Welche neuen Verpflichtungen kommen konkret auf die Unternehmen zu?
Markus Müller-Drexel: Grundsätzlich gilt: Hersteller:innen und Händler:innen, die ihre Ware über Online-Marktplätze wie Amazon oder Ebay auf dem deutschen Markt vertreiben, müssen vor Inverkehrbringen der Ware eine Beteiligung der Verpackungen an einem dualen System sicherstellen – ganz genauso wie Online-Händler:innen, die beispielweise über den eigenen Online-Shop verkaufen. Außerdem muss eine Registrierung im Verpackungsregister LUCID vorliegen. Was mit einer Übergangsfrist bis Juli 2022 neu hinzu kommt: Die Online-Marktplätze sind künftig verpflichtet, die Systembeteiligung zu überprüfen. Nach aktuellem Kenntnisstand dürfte ihnen dazu die Vorlage einer Bestätigung des jeweiligen dualen Systems ausreichen. Sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, gilt ein Vertriebsverbot sowohl für die Händler:innen als auch für die Plattform-Betreiber:innen.
Novelle: Das ist künftig für Online-Händler:innen zu berücksichtigen
Kann die Verpackungslizenzierung nicht von Fulfilment-Dienstleister:innen übernommen werden?
Markus Müller-Drexel: Fulfilment-Unternehmen sind in Zukunft ausdrücklich nicht mehr lizenzierungspflichtig. Auch dann, wenn sie die Waren in systembeteiligungspflichtige Versandkartons verpacken, bleibt das beauftragende Unternehmen, das die Ware vertreibt, in der Pflicht. Das bedeutet in der Praxis, dass auch Fulfilment-Dienstleister:innen künftig vorab prüfen müssen, ob ihre Kund:innen entsprechend registriert und die Verpackungen lizenziert sind. Auch hier gilt eine einjährige Übergangsfrist, die alle Beteiligten nutzen sollten, um mit ihren Dienstleistern und Marktplätzen relevante Fragen zu besprechen: Wie erfahre ich als Händler die korrekten Verpackungsmengen? Wie genau plant mein Vertriebspartner die Systembeteiligung zu prüfen? Werden weitere Unterlagen benötigt?
Das klingt zunächst nach Mehraufwand für den Online-Handel. Worin liegen aus Ihrer Sicht die Vorteile der neuen Regelungen?
Markus Müller-Drexel: Mit den präziseren Vorgaben im Bereich Online-Handel schafft die Novelle einen klaren Handlungsrahmen und eindeutige Zuständigkeiten – im Grunde vereinfacht das die Spielregeln für alle Beteiligten. Dazu hat auch die ZSVR mit ihrem Expert:innenkreis „Versand- und Onlinehandel“ wesentlich beigetragen. Viele Fragezeichen sind nun ausgeräumt, auch für ausländische Unternehmen, die ihre Produkte über Online-Marktplätze oder Fulfilment-Dienstleister:innen auf dem deutschen Markt vertreiben möchten. Für sie gelten die beschriebenen neuen Regelungen ebenfalls. Ich denke, unter dem Strich bringt die Novelle des Verpackungsgesetzes für die Unternehmen mehr Planungssicherheit und ausgeglichene Wettbewerbsbedingungen. Und letztlich dürfen wir auch den übergeordneten Nutzen nicht aus den Augen verlieren: Es geht darum, die Verpackungsentsorgung in Deutschland nachhaltig weiterzuentwickeln – das heißt, markt- und wettbewerbsfähige Strukturen für eine Kreislaufwirtschaft zu schaffen, die Rohstoffe sichert und das Klima schont.
„Anreize schaffen, damit die Novelle gleichermaßen Vorteile für Unternehmen und die Umwelt bringt“
Wie können die dualen Systeme den Online-Handel konkret unterstützen?
Markus Müller-Drexel: Aufgabe der Systembetreiber ist die sichere Rücknahme, die Sortierung und das Recycling der Verpackungsmaterialien. Darüber hinaus halte ich es für wichtig, den Zugang zum System für die Unternehmen möglichst einfach zu gestalten und bürokratische Hürden abzubauen. Mit Lizenzero haben wir bereits vor mehr als zwei Jahren einen Webshop entwickelt, der es mit wenigen Klicks ermöglicht, die Pflichten aus dem Verpackungsgesetz unkompliziert zu erfüllen. Das gibt gerade kleineren Online-Händler:innen mehr Sicherheit – auch mit Blick auf die neuen Anforderungen der Novelle. Unter anderem steht unter www.lizenzero.de eine Rechenhilfe zur Verfügung, mit der sie ihre in Umlauf gebrachten Verpackungsmengen ermitteln und bei unserem dualen System anmelden können. Mittlerweile hat Lizenzero mehr als 20.000 Bestandskunden und entwickelt sich über die Verpackungslizenzierung hinaus zu einer gefragten Plattform.
Welchen Service bietet Lizenzero denn über die Verpackungslizenzierung hinaus?
Markus Müller-Drexel: Aktuell haben wir den Online-Shop um einen exklusiven Partnerbereich erweitert, das heißt: Wir vernetzen unsere Kund:innen mit branchenrelevanten Unternehmen und Dienstleistungen. Online-Händler:innen, die ihre Verpackungen über Lizenzero anmelden, erfüllen damit nicht nur ihre Pflichten aus dem Verpackungsgesetz, sondern profitieren zudem von besonderen Angeboten in den Bereichen Verpackung, Software, Logistik und Beratung. So können sie ihr Business optimieren und ihrer Produktverantwortung leichter nachkommen. Ich denke, es ist sinnvoll und notwendig, Anreize zu schaffen. Wenn es gelingt, die Novelle des Verpackungsgesetzes so umzusetzen, dass sie gleichermaßen Vorteile für Unternehmen und die Umwelt bringt, ist das eine echte Chance für mehr Nachhaltigkeit im Online-Handel.
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