1. Eine EU-Digitalsteuer ist gescheitert
2. EU-Mitgliedstaaten finden eigenen Weg – und bekommen Stress mit den USA
3. Nächster Halt: OECD und G20
4. Die globale Mindeststeuer soll es richten
5. Ab 2023 soll die globale Mindeststeuer in der EU gelten
6. Kritik an den Plänen: Lohnt sich die Mindeststeuer überhaupt?
Seit Jahren diskutieren die europäischen Staaten darüber, wie man eine faire Besteuerung großer Digitalkonzerne in der EU erreichen kann. Denn gerade durch die Digitalisierung, die die Globalisierung noch rasanter vorantreibt, stehen die EU-Mitgliedstaaten vor Herausforderungen. Innerhalb der EU werden international tätige Konzerne nämlich vor allem in dem Land besteuert, in dem der Konzern eine Betriebsstätte hat, und nicht im Land, in dem der Konzern Einkünfte erzielt.
Doch Digitalunternehmen kommen auch ohne Betriebstätte in einem Land aus und können dort trotzdem an Verbraucher verkaufen, enorme Gewinne erzielen, die jeweilige Infrastruktur und die rechtsstaatlichen Strukturen sowie Institutionen des Landes nutzen – und das ohne auch nur einen Euro an Steuern an die Landeskasse zu bezahlen.
So kommt es, dass Unternehmen wie Meta oder Amazon in der gesamten EU Umsätze in Milliardenhöhe erzielen, aber kaum bis keine Steuern zahlen, da sie sich als Sitz ihrer Betriebsstätte Niedrigsteuerparadiese innerhalb der EU – Irland und Luxemburg – ausgewählt haben. Klar ist also, dass es eine steuerliche Reform geben muss, die zum einen Steueroasen austrocknet und zum anderen dafür sorgt, dass die Gewinne von Digitalkonzernen gerecht am Ort der Gewinnerzielung besteuert werden.
Bisherige europäische und nationale Vorstöße für Digitalsteuern für die riesigen Konzerne sind gescheitert, wurden auf Eis gelegt oder haben zu starken Konflikten mit den USA geführt. Daher hoffen die meisten europäischen Staaten nun auf die sogenannte globale Mindeststeuer.
Eine EU-Digitalsteuer ist gescheitert
Innerhalb der EU gab es seit 2017 Debatten über eine Digitalsteuer, die nicht nur einigen wenigen, sondern allen EU-Staaten zugutekommen sollte. Die Idee war, eine Besteuerung digitaler Umsätze durch Geschäfte mit Kundendaten, also etwa personalisierte Werbung oder das Betreiben von Online-Plattformen, einzuführen.
Im März 2018 legte die EU-Kommission einen entsprechenden Gesetzentwurf vor, der auf Unternehmen abzielte, die weltweit mehr als 750 Millionen Euro Umsatz im Jahr erwirtschaften, von denen mindestens 50 Millionen Euro auf die EU entfallen. Insgesamt hätten diese Konzerne dann drei Prozent auf ihre digitalen Umsätze entrichten sollen.
Zwar nahm das EU-Parlament diesen Entwurf der Kommission im Dezember 2018 an, doch die Mitgliedstaaten blockierten das Vorhaben im März 2019. Insbesondere die Finanzminister aus Dänemark, Finnland, Schweden und Irland waren gehen die Pläne. Aber auch der damalige deutsche Finanzminister Olaf Scholz lehnte eine EU-Digitalsteuer ab, da er eine internationalere Lösung bevorzugte.
EU-Mitgliedstaaten finden eigenen Weg – und bekommen Stress mit den USA
Aus Ermangelung einer europäischen Lösung preschten einige EU-Staaten eigenständig vor. Frankreich, Österreich, Italien, Spanien und das aus der EU ausgetretene Vereinigte Königreich führten zwischen 2017 und 2020 nationale Digitalsteuern ein. Was folgte, war eine handfeste Auseinandersetzung mit den USA.
Da die Digitalabgaben vor allem auf US-amerikanische Unternehmen abzielen, reagierten die Vereinigten Staaten mit Vergeltung und drohten den Ländern mit Strafzöllen für ihre nationalen Produkte, sollten die Digitalsteuern nicht wieder abgeschafft werden. So wurde Frankreich etwa mit Strafzöllen in Höhe von insgesamt 2,4 Milliarden US-Dollar auf französische Produkte wie Käse oder Champagner gedroht.
Erst im Oktober 2021 konnte ein Deal zwischen den USA und den europäischen Ländern gefunden werden: Frankreich, Österreich, Italien, Spanien und das Vereinigte Königreich werden ihre Digitalsteuern abschaffen – aber erst, sobald eine globale Steuerreform in Kraft tritt.
Nächster Halt: OECD und G20
Mit dieser globalen Steuerreform ist die globale Mindeststeuer gemeint. Nachdem auch Verhandlungen zwischen EU und USA über eine einheitliche Digitalsteuer auf beiden Atlantikseiten gescheitert war, wurden die Bemühungen auf ein noch internationaleres Podest gehoben. Die Lösung sollte innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gefunden werden.
Die OECD ist eine internationale Organisation mit 38 Mitgliedstaaten, die ein hohes Pro-Kopf-Einkommen und einen hohen Entwicklungsstand gemeinsam haben. Innerhalb der OECD werden gemeinsame internationale Richtlinien und Standards zu fast allen wichtigen Themen erarbeitet. Daher wollen die EU und die USA eine globale Steuerreform über diese Organisation erreichen, um einen möglichst globalen Konsens zu finden.
Ein Meilenstein auf dem Weg zu dieser Steuerreform war die politische Einigung der Finanzminister der G20-Staaten, der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, auf eine globale Mindeststeuer, die im Sommer 2021 erzielt wurde. Somit wurde nach den gescheiterten Debatten über eine Digitalsteuer ein neuer Weg eingeschlagen, um das internationale Steuersystem fairer zu gestalten.
Die globale Mindeststeuer soll es richten
Nach dieser Einigung auf eine globale Mindeststeuer zwischen den G20-Ländern ist die Arbeit innerhalb der OECD weiter gegangen. Insgesamt haben sich bisher 136 Staaten unter Führung der OECD dazu bekannt, die Steuerreform zu erarbeiten und umzusetzen. Am 20. Dezember 2021 veröffentlichte die OECD nähere Details zu ihren Plänen.
Die Reform soll aus zwei Säulen bestehen. Die erste Säule kann als Ersatz für die Digitalsteuer verstanden werden, in dem die OECD erreichen möchte, dass Besteuerungsrechte neu zugeordnet werden. Das heißt nichts anders, als dass bei Digitalunternehmen mit mindestens 20 Milliarden Euro Umsatz und einer Umsatzrendite von mehr als 10 Prozent, auch Steuern dort fällig werden sollen, wo die Gewinne erwirtschaftet werden und nicht bloß im Staat, in dem der Konzern ansässig ist. 20 Prozent des Gewinns soll dann dort versteuert werden, wo er erzielt wird, statt am Firmensitz.
Die zweite Säule ist die globale Mindeststeuer. In allen Staaten soll das gleiche Mindeststeuerniveau für Unternehmensgewinne gelten, nämlich 15 Prozent. Durch einige komplizierte Regelungen soll die globale Mindeststeuer dafür sorgen, dass die Verlagerung von Gewinnen in günstige Steuerparadiese verhindert wird. Selbst wenn das Unternehmen seinen Sitz in einem Niedrigsteuerland hat, welches sich weigert, die globale Mindeststeuer umzusetzen, soll eine effektive Besteuerung gewährleistet werden, indem die Mindeststeuerländer dann einfach höhere Steuern einziehen können, um die Differenz wettzumachen.
Erfolg hatte die Mindeststeuer im Gegensatz zur reinen Digitalsteuer deswegen, weil die USA hiervon profitieren können. Zum einen werden nicht mehr ausschließlich US-amerikanische Digitalkonzerne unter die neuen Regeln gestellt, sondern alle Unternehmen, die über die Grenzwerte kommen, egal wo ihr Hauptsitz liegt. Zum anderen dürften die USA die Differenz an Steuern einziehen, wenn ein US-Unternehmen im Ausland zu niedrig besteuert wird. Durch die Menge an großen Unternehmen in den USA dürfte dies lukrativ für die dortigen Steuerkassen sein.
Ab 2023 soll die globale Mindeststeuer in der EU gelten
Zwei Tage nachdem die OECD ihre Pläne vorgelegt hatte, folgte die EU-Kommissionen am 22. Dezember mit einem konkreten Entwurf für eine Richtlinie, welche die zweite Säule für die EU umsetzt. Grundsätzlich deckt sich der EU-Entwurf mit den OECD-Maßnahmen, geht in einigen Punkten aber noch etwas weiter. Auf jeden Fall sollen Unternehmen innerhalb der EU in jedem Land einen Mindeststeuersatz von 15 Prozent zahlen müssen.
Der Zeitplan ist ambitioniert. Bereits Anfang 2023 soll die Mindeststeuer in der EU umgesetzt sein. Da eine EU-Richtlinie von den Mitgliedstaaten noch in nationales Recht umgesetzt werden muss, müssten die Länder also noch 2022 alles für die neue Steuer vorbereiten. Einen Vorschlag zur Umsetzung der ersten OECD-Säule – der Digitalsteuer – hat die EU noch nicht gemacht. Hierfür soll es einen multilateralen völkerrechtlichen Vertrag geben, der derzeit noch von der OECD erarbeitet wird.
Kritik an den Plänen: Lohnt sich die Mindeststeuer überhaupt?
Beobachtern und zivilgesellschaftlichen Organisationen wie dem Netzwerk Steuergerechtigkeit gehen die Pläne nicht weit genug. Sie kritisieren unter anderem, dass der Steuersatz von 15 Prozent viel zu niedrig sei. Dieser sei nicht viel höher als die niedrigsten Unternehmenssteuersätze innerhalb der EU und würde daher nicht viel Veränderung versprechen.
Zudem sei die Gefahr, dass andere Staaten mit höheren Unternehmenssteuersätzen wie Frankreich und Deutschland nun Druck hätten, ihre Sätze drastisch zu reduzieren, um im Wettbewerb mit den europäischen Steuerparadiesen zu bestehen. Schon jetzt bestehe ein „Wettlauf nach unten” bei Unternehmenssteuersätzen.
Zwei Forscher des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Christoph Spengel und Christopher Ludwig, mahnten im vergangenen Jahr in der Süddeutschen Zeitung davor, dass der Erfolg der Mindeststeuer damit stehe und falle, ob die Regeln konsequent global durchgesetzt werden können. Dem haben EU und OECD im Dezember aber Maßnahmen und Lösungen entgegengesetzt, um zu erreichen, dass Konzerne, die im Ausland mit weniger als 15 Prozent besteuert werden, mit einer Nachversteuerung rechnen müssen. Außerdem besteht die Hoffnung, dass die Unterstützung der großen Industriestaaten reichlich Gruppenzwang und Druck auf andere Staaten ausüben wird. Doch fraglich ist immer noch, wie gut sich diese Regeln durchsetzen lassen und ob sich die Kosten der Kontrolle gegenüber den zusätzlichen Steuereinnahmen lohnen.
Wird Amazon doch keine Steuern zahlen?
Und auch bei der ersten Säule der OECD-Steuerreform, die große Digitalunternehmen zur Versteuerung am Ort der Gewinnerzielung verpflichten soll, gibt es Zweifel. So sieht die vorgeschlagene Regelung vor, dass zunächst nur Konzerne davon betroffen sind, die mindestens 20 Milliarden Euro Umsatz und eine Umsatzrendite von mehr als zehn Prozent verzeichnen – das erreichen nur die 100 größten Unternehmen der Welt.
Und trotzdem könnte Amazon von diesem Aspekt der Steuerreform nicht betroffen sein. Denn der Konzern ist beispielsweise 2020 nicht über die geforderte Schwelle der Umsatzrendite gelangt. Amazons Rendite lag nur bei fünf Prozent.
Blockade im US-Kongress
Während in der EU schon ein Umsetzungsgesetz vorliegt, müssen die Befürworter der globalen Mindeststeuer derzeit noch an anderer Stelle zittern. Im US-Kongress ist das entsprechende Vorhaben aktuell blockiert. Somit droht doch noch das Scheitern einer globalen Reform. Deutschland will auch deswegen 2022 seinen Vorsitz in der G7-Gruppe für die Mindeststeuer nutzen. Bundeskanzler Olaf Scholz will über die G7-Präsidentschaft erreichen, dass die OECD-Beschlüsse fristgerecht umgesetzt werden.
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