Wer wollte im Oktober 2021, kurz bevor Facebook mit unfassbaren Aussagen konfrontiert wurde, in der Haut von Frances Haugen stecken? Mit Aussagen wie „Fast niemand außerhalb von Facebook weiß, was innerhalb von Facebook passiert“ machte vor gut einem Jahr die Amerikanerin von sich reden, die als Whistleblowerin interne Dokumente an Behörden und das Wall Street Journal geleakt hatte. Facebook würde den eigenen Profit über die Sicherheit der Menschen stellen, so ihr Vorwurf.
Solche Whistleblower (zu Deutsch: Hinweisgeber) wie Haugen leisten einen wichtigen Beitrag zur Aufdeckung und Ahndung von Missständen. Allerdings können solche Taten jedoch das Image eines Unternehmens ruinieren und der Druck, der auf den Hinweisgebern lastet, ist kaum vorstellbar. Das Gesetz der Bundesregierung unternimmt daher den Versuch, einen besseren Schutz hinweisgebender Personen einzuführen (Hinweisgeberschutzgesetz, kurz: HinSchG).
Auge um Auge
Es sind die eigenen Mitarbeiter, die Unternehmen künftig zum Feind werden könnten. Nämlich dann, wenn Datenschutzverstöße vertuscht, gefährliche Produkte bewusst auf den Markt gebracht oder anderen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten in einem Unternehmen begangen werden und nur intern bekannt sind.
Doch: Wer ausgepackt, fliegt, so bislang die Devise. Und dieses Argument zieht bei vielen Mitarbeitern. Die Angst vor einer Kündigung oder einer strafrechtlichen Verfolgung, beispielsweise einer drohenden Klage wegen Verleumdung, führen dazu, dass illegale Machenschaften und Gesetzesbrüche nicht gemeldet und somit auch nie verfolgt werden.
Besser geschützt werden sollen mit dem HinweisgeberschutzG nun all diejenigen Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben (z. B. Arbeitnehmer, Azubis) und diese an die Meldestellen melden oder offenlegen. Dabei geht man von einem sehr weiten Anwendungsbereich aus und zählt beispielsweise auch Mitarbeiter von Zulieferern oder Personen, die vor Beginn eines Arbeitsverhältnisses Kenntnisse von Verstößen erlangt haben. Geschützt werden auch Personen im öffentliche Bereich, also Angestellte in Behörden oder im öffentlichen Dienst, also beispielsweise auch Richter, Beamte oder Soldaten.
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Um Mitarbeiter nicht nur zu schützen, sondern sie sogar zu ermutigen, müssen Unternehmen ab einer bestimmten Unternehmensgröße Meldestellen (interne Meldestelle) einrichten: Unternehmen, die 50 oder mehr Mitarbeiter beschäftigen, müssen eine interne Meldestelle einrichten. Hinweisgeber können wählen, ob sie sich an eine interne oder externe Meldestelle wenden. Externe Meldestelle soll das Bundesamt für Justiz werden.
Gegen hinweisgebende Personen gerichtete Repressalien (z. B. eine Kündigung) sind verboten. Das gilt auch für die Androhung und den Versuch, Repressalien auszuüben. Erleidet eine hinweisgebende Person nach einer Meldung oder Offenlegung dennoch eine Benachteiligung, so wird vermutet, dass diese Benachteiligung eine Repressalie ist. In diesem Fall hat das Unternehmen zu beweisen, dass die Benachteiligung auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte oder dass sie nicht auf der Meldung oder Offenlegung beruhte.
Lücken und eine mögliche Überregulierung
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) berichtet, dass „die Sorge vor dem Gesetz“ gerade bei kleineren und mittleren Unternehmen sehr groß sei. Abhängig von ihrer Größe müssen nun zahlreiche Unternehmen Meldestellen einrichten, rund 45.000 sollen das laut dem Magazin Capital in Betrieben sein. Die Mehrkosten für die Wirtschaft und Staat sollen über 200 Millionen Euro pro Jahr betragen.
Auch in der Anhörung im September war sich alle einig: Das Gesetz ist gut, aber man hätte es besser machen können. So bemängelte die Vorsitzende des Whistleblower-Netzwerks, Annegret Falter, dass der Schutz nur bei Hinweisen auf Verstöße gegen bestimmte Rechtsnormen zur Geltung kommen solle, während zwar nicht strafwürdiges, aber unethisches Verhalten wie Vernachlässigungen in der Altenpflege nicht erfasst würden. Auch Verstöße gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (sog. Antidiskriminierungsgesetz) würden nicht hierunter fallen.
Das Gesetz befindet sich noch im Gesetzgebungsverfahren, ist also noch nicht beschlossen und verkündet. Drei Monate nach Verabschiedung, die dieses Jahr vermutlich nicht mehr kommen wird, tritt das Gesetz in Kraft, also frühestens im Frühjahr 2023. Für Unternehmen mit mindestens 50 Mitarbeitern und bis zu 249 Mitarbeitern gilt das Gesetz ohnehin erst ab dem 17.12.2023.
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